IHKplus 11/2022

Mehr als Impfstoffe

Die neuartigen Corona-Impfstoffe haben den Blick auf die Biotechnologie gelenkt. Auch in der Kölner Region gibt es erfolgreiche Unternehmen in diesem spannenden Feld zwischen Forschung, Laboren und neuen Produkten.
Text: Lothar Schmitz
Alle Augen sind auf Mainz gerichtet. Dort hat BioNTech seinen Sitz, das seit zwei Jahren größte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mit neuen Impfstoffen, die speziell auf die Omikron-Variante des Corona-Virus zugeschnitten sind, punktet das innovative Unternehmen im Herbst erneut. Doch alle Augen könnten auch auf die Region Köln gerichtet sein. Auf Bergisch Gladbach beispielsweise. Dort hat die Miltenyi Biotec B. V. & Co. KG ihren Sitz. Das Unternehmen produziert zwar keine Impfstoffe, aber auf seine Produkte vertrauen Impfstoffanbieter weltweit. Miltenyi Biotec hat sich auf alles spezialisiert, was mit Zellen zu tun hat. Mit der Zeit hat sich das von Stefan Miltenyi vor über 30 Jahren gegründete Unternehmen damit einen Namen in der Krebstherapie gemacht.
„Anfang 2020 haben wir dann begonnen, diese Expertise auf Verfahren zur Produktion von Impfstoffen zu übertragen“, berichtet Holger Bülow, Pressesprecher des Bergisch Gladbacher Unternehmens. Es bietet medizinischen Fachleuten das, was sie für die Arbeit mit Zellen brauchen: von Reagenzien – das sind nährstoffreiche Flüssigkeiten, die Zellen für ihr Wachstum benötigen – bis hin zu komplexen Laborgeräten für die Analyse von Zellen. Außerdem: Testverfahren, die unverzichtbar bei der Impfstoffentwicklung sind.
Miltenyi Biotec wächst beständig, derzeit erzielt das Unternehmen einen Jahresumsatz von rund 700 Millionen Euro und zählt mehr als 4.000 Beschäftigte an über zwei Dutzend Standorten weltweit, davon rund 1.000 Mitarbeitende in der Forschung und Entwicklung. Wichtigster Einzelmarkt sind die USA. Aktuell hat das Unternehmen 500 offene Stellen. Gesucht sind Forscherinnen und Forscher, aber auch Absolventinnen und Absolventen von IT- und Ingenieurstudiengängen. Dabei kommt dem Unternehmen der Hauptstandort in NRW zugute. „NRW und die Region Köln sind eine Exzellenzlandschaft in Sachen Biotech“, betont Bülow, „die Nähe zu den vielen Unikliniken und Hochschulen ist hervorragend für gemeinsame Entwicklungen, aber auch fürs Recruiting.“ 

Starker Biotech-Standort vor der Haustür 

In der Tat hat sich die Region Köln im vergangenen Jahrzehnt zu einem starken Biotech-Standort entwickelt, international führende Biotech-Unternehmen wie Miltenyi Biotec, Amaxa AG (heute Lonza), Bayer oder Lanxess haben hier ihren Ursprung, dazu kommen innovative kleine und mittlere Unternehmen sowie zwei bis fünf Biotech-Start-ups pro Jahr. Gerade Letztere sind wichtig für die Weiterentwicklung des Standorts. 
Was diesen auszeichnet, sind die gute Vernetzung der Unternehmen sowie zahlreiche exzellente Universitäts- und Forschungseinrichtungen in den Lebenswissenschaften – ein guter Nährboden für Kooperationen. Ein Beispiel: die Phytowelt GreenTechnologies GmbH mit Verwaltungssitz in Nettetal. 18 der 20 Mitarbeitenden arbeiten aber in Köln, denn hier – auf dem BioCampus Cologne mit vielen weiteren Biotech-Betrieben – ist die Forschung und Entwicklung angesiedelt. 
„Würde man ein Gramm natürliches Aroma aus der Himbeere extrahieren wollen, bräuchte man dazu 111 Tonnen Himbeeren.”
Dr. Peter Welters, Gründer von Phytowelt
Dort betreibt das Unternehmen auch eine Anlage für die Fermentation von Pflanzeninhaltsstoffen. Phytowelt hat sich auf die Herstellung von natürlichen Aromen spezialisiert. Vor allem Himbeeraroma. Abnehmer ist die Lebensmittelindustrie, die damit ihre Produkte geschmacklich verbessert. „Würde man ein Gramm natürliches Aroma aus der Himbeere extrahieren wollen, bräuchte man dazu 111 Tonnen Himbeeren“, erläutert Gründer und Geschäftsführer Dr. Peter Welters. „Wir benötigen für ein Gramm natürliches Himbeeraroma nur den Zucker einer Zuckerrübe oder eines Maiskolbens. Damit füttern wir Mikroorganismen, die das Aroma erzeugen.“ Der Vorteil: Die Industrie kann natürliche statt künstlich hergestellter Aromen einsetzen – zugleich ist die Aromaproduktion mittels Biotechnologie sehr ressourcenschonend: Für die 111 Tonnen Himbeeren wäre eine Anbaufläche von 40 Fußballfeldern nötig – pro Gramm Aroma. 

Ein Manko: Fehlende Laborflächen

Vom Himbeeraroma allein kann Phytowelt nicht leben und hat deshalb zwei weitere Standbeine. Zum einen bietet es anderen Unternehmen Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen an. So entwickelte man mit Evonik ein Patent zur Produktion von Polyamid 12 – ein Nylon, das etwa in Bremsleitungen von Lkws zum Einsatz kommt – aus Pflanzenöl, also einem nachwachsenden Rohstoff. Zum anderen können Pflanzenzüchter das Know-how und die Laborkapazitäten nutzen.
Und Laborkapazitäten sind sehr begehrt: „Die sind im Raum Köln und in ganz NRW aus“, sagt Dr. Frauke Hangen, Geschäftsführerin des Vereins BioRiver, des größten Branchenverbands der Biotech- und Life-Science-Industrie in NRW. Mit dem BioCampus und dem RTZ gebe es in Köln zwei wichtige Laborstandorte, doch die würden aus allen Nähten platzen. „Jedes zweite Biotech-Unternehmen in der Region braucht mehr Labor- und Produktionsflächen“, betont Hangen. Firmen könnten nicht expandieren, Gründende würden sich für den Wegzug entscheiden. Immerhin: Der Stadt und dem Land sei das Problem bewusst. 
„Klar ist: Diese Infrastruktur zu fördern, ist derzeit unser wichtigstes Anliegen. Wir denken an die Zukunft und wollen weiterhin führender Biotech-Standort bleiben“, sagt Dr. Frauke Hangen. 
Biotechnologie in der Region
Die Region Köln gilt als wichtiger Biotechnologie-Standort. In der medizinischen Biotechnologie gehört das Rheinland nach Ansicht von Dr. Frauke Hangen vom BioRiver e. V. zusammen mit den Wirtschaftsräumen Rhein-Neckar und Region München zu den drei wichtigsten deutschen Standorten. In der Region Köln gibt es rund 50 Biotechnologie-Unternehmen und -Dienstleister.
Podcast: Forschung hören 
Mehr zu den Innovationen von Phytowelt können Sie auch im firmeneigenen Podcast hören. 
Detlef Kürten
Innovation und Technologie
Wirtschaft und Politik