IHKplus 08/2022

Die unendliche Geschichte

Rund 15 Jahre nach dem Umzugsbeschluss ist die Zukunft des Kölner Großmarktes weiter unklar, das aktuelle Gelände ist in einem üblen Zustand. Der Gesprächsfaden zwischen Stadt und Unternehmen scheint abgerissen. Die IHK Köln arbeitet mit an einer Lösung – kurzfristig wie langfristig.
Text: Werner Grosch
Im Jahr 2007 fegt der Sturm „Kyrill“ über Köln, das Richter-Fenster im Dom wird eingeweiht, und in der Arena wird Deutschland Handball-Weltmeister. Lange her. Genauso lange ist es her, dass der Rat der Stadt die Verlagerung des Großmarktes von Raderberg im Süden nach Marsdorf beschloss. Heute ist der Großmarkt immer noch in Raderberg, und vor 2025 wird sich daran nichts ändern.
Am Großmarkt decken sich viele kleinere Supermärkte, Gastronomie und die fast 40 Kölner Wochenmärkte mit Waren ein. Aktuell sind etwa 180 Firmen mit rund 2.000 Beschäftigten hier aktiv. Seit vielen Jahren wissen sie nicht, wie es weitergeht, und beobachten den fortschreitenden Verfall des gesamten Geländes, der sofort ins Auge fällt. „Hier wird nichts mehr getan“, sagen viele Händlerinnen und Händler, und nicht wenige mutmaßen: „Die wollen uns hier einfach weghaben.“
Die? Wer ist das? Die Stadtverwaltung, die Politik? Alle bekennen sich doch zum Großmarkt, und auch den Umzug nach Marsdorf stellt niemand in Frage. In einem Ratsbeschluss von 2015 heißt es: „Ein modernes Frischezentrum leistet einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der regionalen Wirtschaft des Standortes Köln und sichert die Lebens- und Versorgungsqualität der Bürgerinnen und Bürger. Für einen Großteil der Kölner Lebensmittel-Einzelhändler, Hotels und Gaststätten, Großkantinen und Beschicker von Kölner Wochenmärkten ist das Frischezentrum von hoher Bedeutung, wenn nicht sogar alternativlos.“ Das Fazit: „Die weitere Planung eines Frischezentrums liegt trotz der prognostizierten Deckungslücke im Interesse der Stadt.“

Bekenntnis zum Großmarkt erneuert

Das Bekenntnis zum Großmarkt hat der Rat im vergangenen Jahr sogar noch mal erneuert.  Doch die weitere Planung schleppt sich dahin, und das sorgt inzwischen für „Endzeitstimmung“ bei den betroffenen Unternehmen. So jedenfalls drückt es Michael Rieke aus, der als Sprecher der Interessengemeinschaft (IG) Großmarkt mit sehr vielen Firmen in Kontakt steht und deren Interessen gegenüber der Stadt artikuliert. Dabei geht es vor allem um eines: „Wir wollen endlich eine Perspektive.“
Selbst das Datum 2025 steht nach Einschätzung der IG inzwischen in Frage, weil sich in Marsdorf einfach noch nichts tut. Hinzu kommt, dass  CDU und Grüne Ende vergangenen Jahres im Rat der Stadt Köln eine Verkleinerung des geplanten Geländes von 24 auf 10 Hektar durchgesetzt haben. Der größere Teil wurde dem 1. FC Köln angeboten, damit der Klub vor allem sein Nachwuchszentrum dort ausbauen und auf die umstrittene Erweiterung im Grüngürtel verzichten kann. Bislang wehrt sich der FC gegen diese Lösung und wirft der Kölner Politik vor, auf Zeit zu spielen.
Die IHK hat diese plötzliche Wendung ebenfalls scharf kritisiert. Zugleich setzt sie sich seit Jahren für die Belange des Großmarktes ein. Mit der „kleinen Lösung“ in Marsdorf sei „nicht nur die Zukunft des Frischemarkts in akuter Gefahr, sondern die Glaubwürdigkeit der Kölner Politik insgesamt“, sagte IHK-Präsidentin Dr. Nicole Grünewald.

CDU: Zehn Hektar sind genug

Nach Einschätzung der CDU, die die Verkleinerung initiiert hat, reichen zehn Hektar aus. Und das, obwohl der Rat selbst schon in seinem Beschluss von 2007 festhielt, dass eine Fläche von 16 Hektar notwendig sei: „Der Vergleich mit anderen Großmärkten und die Analyse des Kölner Großmarktes belegen, dass ein Areal von ca. 160.000 m² mit einer zentralen Großmarkthalle von 20.000 m² ausreichend ist.“ Als „optimal“ wird eine Fläche von 16 bis 20 Hektar beschrieben. „Mit diesen ursprünglichen Plänen konnten wir uns anfreunden, aber auf 10 Hektar wird der Großmarkt, auf dem pro Jahr etwa 2,1 Millionen Tonnen Waren umgeschlagen werden, nicht funktionieren“, sagt Rieke.
Eine Einschätzung, die die Handelsunternehmen ebenso bestätigen wie die so genannten affinen Betriebe, die gleichermaßen vom Großmarkt abhängen. Dazu gehört zum Beispiel ein Entsorgungszentrum mit rund 30 Mitarbeitenden. Das Unternehmen BWE Balthasar macht rund 30 Prozent seines Geschäfts mit der Entsorgung der Großmarktabfälle. „Wir entsorgen jeden Tag etwa zehn Tonnen Abfälle vom Großmarkt. Das funktioniert nur durch die unmittelbare Nähe“, sagt Geschäftsführerin Nathalie Balthasar.
Allein die Fläche des Entsorgers umfasst knapp einen Hektar. „Die brauchen wir auch mindestens, aber wir können ja nicht ein Zehntel der Fläche in Marsdorf beanspruchen“, sagt die Unternehmerin. Wenn die Verlagerung wie aktuell geplant umgesetzt werde, bedeute das, dass sie sich einen neuen Standort außerhalb Kölns suchen und ihr Geschäft völlig neu aufbauen müsse.

Händler sehen ihre Existenz bedroht

Ähnlich ist die Situation für Jörg Zimmermann, der mit seinem Unternehmen Obst und Gemüse handelt und zwölf Beschäftigte hat. „Ich brauche alleine Lagerfläche für rund 200 Paletten und Platz zum Kommissionieren. Das ist bei der geplanten Größenordnung in Marsdorf gar nicht denkbar. Dann bin ich raus.“
Dem Vernehmen nach soll der Flächenverlust in Marsdorf durch eine mehrgeschossige Architektur ausgeglichen werden. Die IG Großmarkt hat indes große Zweifel, dass das funktionieren kann: „Das erfordert eine viel komplexere Bauweise auch angesichts der hohen Lasten, die da getragen werden müssen, und auch die Logistik wird schwieriger“, sagt Rieke.
Die aktuellen, reduzierten Pläne für Marsdorf hält auch Obst- und Gemüsehändler Fermin Montaner für „total unrealistisch“. Er sieht ein hohes Risiko selbst für diejenigen Unternehmen, die noch dort unterkommen könnten: „Wenn dort nicht genug verschiedene Firmen vielfältige Angebote machen können, dann verlieren wir an Attraktivität für die Kunden, und das bedroht unsere Existenz.“
Auch die Mare Atlantico Delikatessen GmbH, die ihren Standort direkt an der Hauptzufahrt hat und unter anderem die Gastronomie mit Lebensmitteln aus aller Welt versorgt, sieht die Zukunft unter diesen Bedingungen mindestens skeptisch: „Wir haben keine Glaskugel, aber eins ist klar: Unsere Kunden bleiben uns sicher treu, solange unser Standort einigermaßen zentral in der Stadt ist. Marsdorf würde einen völligen Neubeginn bedeuten“, sagt Petro Papadopoulos von Mare Atlantico.

Gezielter Verfall? Stadt weist Vorwurf zurück

Aber Neubeginn ist zumindest ein Begriff, der Hoffnung vermittelt. Aktuell fehlt die Perspektive, und viele Händler werfen der Stadt als Betreiber vor, das Gelände verfallen zu lassen – bewusst, wenn nicht gar gezielt. Ein Vorwurf, den die Stadt zurückweist. Der Rat habe die Verwaltung vor gut einem Jahr beauftragt, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung des Großmarktbetriebes bis 2025 durchzuführen, und dazu gehörten unter anderem erhöhte Sauberkeit, sinnvolle Parkraumüberwachung, Zufahrtskontrolle und Verkehrssicherheit. Außerdem sollten Gebäudeschäden behoben und funktionsfähige, saubere Toilettenanlagen zur Verfügung gestellt werden. „Ein Teil dieser Maßnahmen wurde bereits umgesetzt, weitere werden im Rahmen der Planung und Realisierung notwendiger Sanierungen bearbeitet“, erklärt die Stadt auf Anfrage von „IHKplus“ heute.
Auch die Verkehrssituation aufgrund der Großbaustelle an der Bonner Straße, die die Zufahrt stark einschränkt, bringt die Händlerinnen und Händler auf die Palme, teils unterstellen sie sogar absichtliche Schikane. Dazu erklärt die Stadtverwaltung, man habe im Gegenteil die Unternehmen am Großmarkt frühzeitig in die Planung einbezogen und die Alternativroute von Westen her eigens vor Beginn der Bauarbeiten ausgebaut.

IHK: Beschlüsse einhalten und Dialog suchen

Es scheint, als stünden sich da zwei Lager mit sehr unterschiedlichen Positionen gegenüber. Klar ist aber, dass nur gemeinsam eine gute Zukunft für den Großmarkt zu erreichen ist. Claudia Betzing, Leiterin Wirtschaft und Politik der IHK Köln, fordert deshalb: „Die Unternehmen brauchen dringend Planungssicherheit. Für den neuen Standort bedeutet Planungssicherheit: ein Gelände, das Großmarkt-geeignet ist, politische Beschlüsse, die Wahlperioden überdauern, und einen Umsetzungsplan, der eingehalten wird. In der Zwischenzeit muss den Händlerinnen und Händlern am jetzigen Standort in Raderberg die Fortführung ihrer Geschäfte möglich sein. Hier bedeutet Planungssicherheit: dass die Sorgen und Schmerzpunkte der Händlerinnen und Händler ernst genommen, im Dialog Lösungen gefunden und verabredete Umsetzungen eingehalten werden.“
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