Standortentwicklung

Impulspapier für den ländlichen Raum

Der ländliche Raum ist mehr als der Lebensmittel- und Energieversorger oder das Naherholungsgebiet für die Stadt. Der ländliche Raum ist ein aktiver und intakter Wirtschafts- und Lebensraum. Themen wie Klimaneutralität oder Mobilität machen nicht an Stadt- oder Verwaltungsgrenzen halt. Wir betrachten den Ländlichen Raum nicht als Gegenentwurf zur Stadt, sondern als engen und gleichberechtigten Partner. Stadt und Land sind für ihre Funktionsfähigkeit aufeinander angewiesen. Doch gerade in ländlichen Räumen gibt es Herausforderungen, an denen es weiter zu arbeiten gilt. Die Standortanalyse der IHK Kassel-Marburg liefert hierzu Erkenntnisse, auf deren Grundlage das nachfolgende Impulspapier entstanden ist. Dieses bezieht sich auf die drei Themenkomplexe Infrastruktur, Fach- und Arbeitskräfte und zukunftsorientierte Kommunen.

Infrastruktur

Das sagt die Analyse:
Die Bedeutung der Telekommunikationsinfrastruktur ist bei den Betrieben flächendeckend sehr hoch und allgemein der bedeutendste Standortfaktor, allerdings ist die Zufriedenheit mit diesem Standortfaktor in ländlicheren Gebieten auffällig niedrig. Demgegenüber ergibt sich eine allgemeine Zufriedenheit mit der vorhandenen und vor der Fertigstellung stehenden (A 49 und A 44) Straßenverkehrsinfrastruktur, lediglich im Frankenberger Raum gibt es Bedarf an einer besseren überregionalen Anbindung. Der Zustand der kommunalen Straßen offenbart ebenfalls Verbesserungspotential. Aufholbedarf besteht auch bei der Erreichbarkeit von Ladestationen für Elektro-, Gas- und Wasserstofffahrzeuge. Hier ist zwar im ländlichen Raum die Bedeutung noch recht gering, doch die Zufriedenheit liegt deutlich unterhalb des Bedeutungsniveaus.
Das muss sich ändern:
Für den ländlichen Raum ist eine flächendeckende und zuverlässige Telekommunikationsinfrastruktur ein entscheidender Standortfaktor, der die zukünftige Anschlussfähigkeit an den globalen Wirtschaftsraum mitbestimmt und für gleichwertige und attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen sorgt.
Der FTTH- Glasfaserausbau muss flächendeckend erfolgen. Eine leistungsfähige Internetleitung ist nicht nur für das operative Geschäft von Unternehmen enorm wichtig, sondern ist auch Grundlage für flexible Remote-Arbeitsmodelle (Home-Office, mobiles Arbeiten, etc) und attraktivere Wohnbedingungen für Fachkräfte.
Zusätzlich gilt es der lückenhaften Mobilfunkversorgung (siehe www.ihk-kassel.de/funklochsuche) zu begegnen. Zunächst bedarf es einer flächendeckenden Mobilfunkversorgung auf LTE-Niveau, die sukzessive auf 5G-Niveau ausgebaut werden muss. Die Nutzbarkeit von Zukunftstechnologien ist hiervon abhängig.
Neben einem bedarfsgerechten ÖPNV müssen auch zukünftige Mobilitätsformen im ländlichen Raum mitberücksichtigt werden. Ein leistungsfähiger, gut ausgebauter ÖPNV erhöht die Attraktivität des Arbeitgebers. So gilt es eine auf die Strukturen vor Ort abgestimmte Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zu implementieren und in Zusammenarbeit mit den Mobilfunkanbietern die Grundlagen für autonomes Fahren zu schaffen.  5G ist dabei nicht nur eine Technologie für technologieaffine Unternehmen sondern auch ein elementarer Baustein für den Lebensstandard der Zukunft im ländlichen Raum, für den jetzt die Weichen gestellt werden müssen. Der Netzausbau muss partnerschaftlich zwischen Kommunen und Netzbetreibern erfolgen. Die Stadt-Land Pendlerbeziehungen müssen insbesondere in der Verkehrsplanung der Städte Berücksichtigung finden (auch bzgl. Radwegen). Verkehrsreformen dürfen nicht allein aus der Perspektive des Ballungszentrums angestoßen werden.

Arbeits- und Fachkräfte

Das sagt die Analyse:
Die Diskrepanz zwischen Bedeutung und Zufriedenheit mit den Standortfaktoren „Arbeitskräfteangebot vor Ort“, „Qualifikation der Arbeitskräfte“ , Angebot an Auszubildenden und Qualifikation der Auszubildenden ist insgesamt sehr hoch, woraus sich ein hoher Handlungsbedarf ergibt. Dahingegen wurde im Themenbereich Arbeitskräfte die Frage nach der Lebensqualität und den Freizeitmöglichkeiten sowohl bei der Bedeutung als auch bei der Zufriedenheit fast deckungsgleich als hoch bewertet
Das muss sich ändern:
Einer sinkenden Anzahl von Nachwuchskräften steht ein ansteigender altersbedingter Ersatzbedarf gegenüber. Hinzu kommt der Umstand, dass junge Menschen zum Studium oder zur Ausbildung in die Ballungsräume abwandern. Die konjunkturelle Entwicklung kann diesen Prozess verlangsamen oder dynamisieren, jedoch nicht umkehren. Schon heute liegt das Durchschnittsalter der Beschäftigten im Bezirk der IHK Kassel-Marburg bei 45 Jahren.
Die Unternehmen der Region versuchen dieser Entwicklung durch duale Ausbildung im Betrieb entgegenzuwirken. Mit fast 12.000 Ausbildungsverträgen und 2.617 Ausbildungsbetrieben ist der IHK-Bezirk eine ausbildungsstarke Region. Um branchenübergreifend und flächendeckend die duale Ausbildung jungen Menschen in ihrem Wunschberuf zu ermöglichen, gilt es die Berufsschulinfrastruktur zu erhalten und durch eine weitere Digitalisierung der Schulen auch Inhalte standortunabhängig vermitteln zu können.
Die Entscheidung, seinen Lebensmittelpunkt im ländlichen Raum einzurichten, hängt von mehr Faktoren ab, als nur einen sicheren Job bei einem guten Arbeitgeber zu haben. Hier gilt es die Stärken der Region nach vorne zu stellen. Die Lebensqualität wird als hoch bewertet, Freizeitmöglichkeiten sind durch die gute touristische Infrastruktur vorhanden. Für den nordhessischen Teil ist die Marke Grimmheimat Nordhessen auch für die Ansprache und Anwerbung von auswärtigen Arbeits- und Fachkräften zu nutzen.
Über die Lebensqualität und die Freizeitmöglichkeiten hinaus muss eine Kommune auch fachkräftefreundlich aufgestellt sein. Hierzu zählen neben einer Infrastruktur, die Auszubildenden das Erreichen der Betriebe ermöglicht, unter anderem lukrative ausgewiesene Baugebiete und ein an Arbeitszeiten orientiertes Kinderbetreuungsangebot. Durchdachte Konzepte sollten auf neue Formen der Arbeit eine Antwort finden.

Zukunftsorientierte Kommunen

Das sagt die Analyse:
Der Handlungsbedarf bei den politischen Zukunftsstrategien, den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten, der institutionellen und politischen Unterstützung bei Zukunftsthemen, und den vorhandenen Netzwerken ist auffallend. Hier liegt die Bedeutung jeweils hoch, die Zufriedenheit mit diesen Themen ist aber vergleichsweise schwach. Weiterhin besteht eine Unzufriedenheit bei der Höhe der Gewerbesteuern, der Akzeptanz von Wirtschaftsprojekten und der Verlässlichkeit der Verwaltung.
Das muss sich ändern:
Der ländliche Raum und seine Kommunen sind auf Grund der Bereitstellung einer flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur oft finanziell stark eingeschränkt. Diese Last darf aber nicht allein auf die Schultern der Unternehmen gegeben werden.
Betrachtet man die Höhe der Gewerbesteuerhebesätze in unserem Kammerbezirk fallen große Unterschiede ins Auge, die nicht immer plausibel sind. Auch wenn es sich um eine Steuer und keine Gebühr handelt, sollte darauf geachtet werden, dass hohen Gewerbesteuerhebesätzen auch entsprechende Standortbedingungen gegenüberstehen. Die Gewerbesteuer sollte darüber hinaus durch eine gewinnabhängige Kommunalsteuer mit eigenem Hebesatzrecht ersetzt werden, die alle in der Gemeinde wirtschaftlich Tätigen einbezieht. Dies schafft stabile wirtschaftskraftbezogene Einnahmen für die Gemeinden und stärkt zudem das starke Band zwischen Wirtschaft und Kommunen.
Neben der politischen Mitwirkungsmöglichkeit fehlt es der Wirtschaft an politischen Zukunftsstrategien und der Unterstützung bei Zukunftsthemen, sowie an Netzwerken. Die Unternehmen wollen bei den Themen Digitalisierung, Investitionen, Innovationsförderung, Netzwerke und Fachkräftegewinnung operativ unterstützt werden. Hier benötigen sie die passenden Rahmenbedingungen, und möchten miteinbezogen werden. Das IHK Ehrenamt zeigt, wie rege und meinungsstark die Unternehmen in unserer Region sind, diese Energie gilt es in die politischen Entscheidungsprozesse stärker einzubinden. Die Wirtschaft ist bereit an diesen Veränderungsprozessen aktiv mitzuarbeiten. Hier ist der Einklang zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem ein Leitbild für die zukunftsorientierte Wirtschaft.
Es besteht kein Dreiklang zwischen Unternehmen, Bevölkerung und Kommunen, sondern ein symbiotischer Einklang, der von allen Seiten gepflegt werden muss. Die Akzeptanz von Wirtschaftsprojekten beispielsweise bei Bauvorhaben ist abhängig von der Qualität dieses Miteinanders. Gegenseitiges Verständnis muss immer wieder erarbeitet werden.