#GemeinsamKlimaSchützen

Forderung: Mehr Tempo aufnehmen!

Politik und Wirtschaft müssen mehr miteinander reden, um die Klimaziele Deutschlands zu erreichen. Darüber herrschte Einigkeit bei einer Netzwerkveranstaltung der Unternehmensallianz für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig stand die Frage im Raum: Wie kriegen wir mehr Tempo in den Prozess? 
„Es gibt heute kein einziges klimaneutrales Unternehmen“, konstatierte Prof. Dr.-Ing. Jens Hesselbach von der Universität Kassel, am Mittwoch im Südflügel des Kasseler Kulturbahnhofs: Die Gründe: Strom sei nicht klimaneutral erhältlich. Und wer habe eigentlich klimaneutrales Abgas? Oder kaufe global etwa Aluminium oder Stahl klimaneutral ein? Ganz abgesehen davon gebe es in Deutschland noch keine genaue Definition, was Klimaneutralität überhaupt sein solle. Trotzdem, so Hesselbach, dürfe das Ziel nicht aus dem Fokus verloren werden – und er informierte die rund 70 Gäste darüber, welche Richtung für verschiedene Branchen eingeschlagen werden kann. 
Neben deutschen Klimaschutzzielen und Normen müssten Unternehmen vor allem die EU-Taxonomie im Blick behalten. Dort ist Klimaschutz nur eines von sechs vorgegebenen Nachhaltigkeitskriterien, die bilanziert werden und aus der dann eine ÖkoBonität abgeleitet wird. „Das haben viele nicht gar nicht auf dem Schirm, weil sie gerade erst anfangen, sich nur mit Klimaschutz zu beschäftigen.“ Eine schlechte ökologische Bonität bedeute aber zugleich eine schlechte ökonomische Bonität. Die wiederum führe zu schwierigeren oder teureren Krediten, warnte der Leiter des Fachgebiets „Umweltgerechte Produkte und Prozesse“. 
Geld aber brauchen die Unternehmen, wenn sie Treibhausgase reduzieren wollen und dazu idealerweise schrittweise auf Techniken zur effektiven Vermeidung von Treibhausgasen umstellen, die sich über ihre Lebensdauer wirtschaftlich rechnen: Hochbehälter, Photovoltaik, Wärmepumpen, Fernwärme und Elektrodenkessel. 
„Wir müssen kontinuierlich daran arbeiten“, appellierte Hesselbach und stellte mit dem sogenannten Intracting ein Finanzierungskonzept für Energiesparmaßnahmen vor, in dem durch energetische Verbesserungen gesparte Kosten in weitere Maßnahmen reinvestiert werden können. 
Aus der politischen Praxis berichtete Dr. Christian Hey, Leiter der Abteilung II „Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Immissions- und Strahlenschutz“ im Hessischen Umweltministerium. Seinen Vortrag leitete er mit einem Zitat des ehemaligen USPräsidenten Lyndon B. Johnson ein, in dem dieser bereits 1965 von einer Generation sprach, die die Atmosphäre in globalem Ausmaß durch die Verbrennung fossiler Kraftstoffe verändert habe. 
„Wenn wir die Zeit seitdem wirklich genutzt hätten, dann hätten wir nicht so ein großes Problem wie jetzt“, so Hey. Nun aber sei das globale Klimabudget für eine Temperaturerhöhung von lediglich 1,5 bis 2 Grad bereits fast aufgebraucht: „Wir können noch genau sieben Jahre so weitermachen wie bisher.“ 
Klimaneutral zu werden bedeute für Deutschland, bis 2045 aus der Nutzung fossiler Energieträger in allen Bereichen auszusteigen. Diese Transformation sei ehrgeizig und schwierig, gleichwohl aber möglich, so Heys optimistische Prognose. Laut einer Studie der KfW müssten dafür im Industriebereich in den nächsten 23 Jahren 462 Milliarden Euro investiert werden. Heruntergebrochen auf Hessen bedeute dies 1,5 Milliarden Euro pro Jahr an Investitionsbedarf. Plus etwa ein Drittel ergänzt um Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Dies sei zwar „eine Hausnummer“, so Hey, aber darstellbar im Bereich der Gesamtinvestitionen der Unternehmen: „Wer Co2 durch Investitionen vermeidet, der schaut voraus und das entwickelt sich auch zu einem Geschäftsmodell.“ 
Hey lobte die im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg erfolgte Umstellung der Energieträger und die Energieeffizienz in der Industrie. Die Politik wiederum spare nicht mit komplexen Gesetzespaketen, um den Ausbau der erneuerbaren Energie zu beschleunigen und die Bedingungen auch für die Wirtschaft zu verbessern, etwa mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. 
Während EU und Bund die harten Rahmenbedingungen setzten, spiele die Landespolitik eine zentrale Rolle, wenn es um die Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gehe. Mit dem neuen Klimaplan 2025 solle das intensiviert werden. Dieser adressiere den Fachkräftemangel, formuliere eine Ausbauoffensive für Erneuerbare Energien, treibe die Wasserstoffstrategie voran, erweitere die Energieeffizienzberatung und schaffe mit der Servicestelle WirtschaftsWandel eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmen bei der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit.
„Wir haben das gemeinsame große Ziel: unseren Beitrag zur Rettung des Planeten zu leisten“, so Hey. Es sei die Rolle der Industrie, neue Geschäftsmodelle zu finden, das Change-Management voranzutreiben und zu investieren. Der Staat wiederum müsse die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich Klimaschutz auch lohnt und dafür Hürden und Hemmnisse aus dem Weg räumen. 
Der abschließende Dank des Sprechers der Unternehmensallianz, Dr. Hans-Friedrich Breithaupt, galt den Referenten aus der Wissenschaft und der Politik: „Wir werden das Dialogfenster weiter öffnen.“ 

Hintergrund

Unternehmensallianz Die Unternehmensallianz für Klimaschutz und Nachhaltigkeit für die Region Nordhessen ist eine Initiative der Industrie- und Handelskammer Kassel-Marburg, der Handwerkskammer Kassel und der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände Nordhessen (VhU). Sie unterstützt regionale Unternehmen und Akteure dabei, einen Beitrag zu einer wirtschaftsfreundlichen, lebenswerten und nachhaltigen Region zu leisten und will einen institutionenübergreifenden Austausch über den Beitrag der Wirtschaft zur Klimaneutralität ermöglichen.
Weitere Informationen finden Sie unter www.gemeinsamklimaschuetzen.de