Nachwuchs- und Fachkräfte im Fokus

Ausbildungsbilanz 2021

Die Gewinnung von Nachwuchs- und Fachkräften wird für Unternehmen immer mehr zu einer Herausforderung. Das war schon vor Corona so. Allerdings hat das Virus die Situation auf dem Ausbildungsmarkt spürbar verschärft, da weder die Berufsorientierung noch die Nachwuchswerbung in gewohntem Rahmen stattfinden konnten. Eine Situation, die es junge Menschen und Unternehmen noch schwieriger macht, zueinander zu finden.
Deshalb geht es für die drei Ausbildungsakteure im Agenturbezirk Kassel (Wirtschaftsregion Kassel und Werra-Meißner-Kreis) darum, ihre eigenen Anstrengungen zu verstärken und die Unternehmen dabei zu unterstützen, trotz aller Schwierigkeiten weiterhin auf die Ausbildung junger Nachwuchskräfte zu setzen. Mit Blick auf das Jahr 2021 ziehen sie Bilanz.


Agentur für Arbeit Kassel: Ausbildungsmarkt als Sorgenkind

„Während sich der nordhessische Arbeitsmarkt in der Pandemie robust zeigte, wurde der heimische Ausbildungsmarkt zum Sorgenkind“, bilanziert Michael Schubert, Geschäftsführer operativ der Arbeitsagentur Kassel, das Ausbildungsjahr 2020/2021. „Schon im ersten Jahr der Corona-Krise waren die Kontaktaufnahme und Kommunikation zwecks Vermittlung von Bewerbern in Ausbildungsbetriebe stark eingeschränkt, im jüngsten Ausbildungsjahr verschärfte sich diese Lage. Frühere und längere Lockdowns, monatelanges Homeschooling und teils ungewisse wirtschaftliche Aussichten der Unternehmen führten zusätzlich zu einer Unsicherheit und Zurückhaltung auf beiden Seiten. Den Blick nach vorn zu bewahren, war deshalb die Devise, um trotz und gerade wegen dieser schwierigen Umstände dieser Schulabgänger-Generation einen erfolgreichen Berufsstart zu ermöglichen aber auch die Betriebe bei der Nachwuchsgewinnung zu unterstützen.“
Der deutliche Rückgang an Bewerbern ist, so Michael Schubert, aber auch nach wie vor auf die generell sinkende Anzahl von Schulabgängern sowie dem unverminderten Trend zum Besuch weiterführender Schulen zurück zu führen. Dass das Minus an gemeldeten Ausbildungsstellen mehr als doppelt so hoch wie ein Jahr zuvor ausgefallen ist, bereite angesichts des anhaltenden und demografisch zunehmenden Fachkräfte-mangels besondere Sorge. Positiv bleibe festzustellen, dass mehr als 11 Prozent weniger Bewerber unversorgt blieben.
Die Statistik meldet weniger Bewerber und Ausbildungsstellen als im Vorjahr für das abgelaufene Berichtsjahr für den Agenturbezirk Kassel, der die Stadt Kassel, den Kreis Kassel und den Werra-Meißner-Kreis umfasst. So zeigt die aktuelle Bilanz 3103 betriebliche Ausbildungsplätze, 277 oder 8,2 Prozent weniger als zum selben Zeitpunkt des Vorjahres. Parallel sank auch die Anzahl der Ausbildungsplatzsuchenden um 368 oder 10,7 Prozent auf jetzt 3068 Personen. Am Ende gab es 119 unversorgte Bewerber (minus 15 oder minus 11,2 Prozent).
Für die Stadt Kassel heißt das 1540 betriebliche Berufsausbildungsstellen (minus 153 bzw. 9 Prozent) und 1338 Bewerber (minus 159 bzw. 10,6 Prozent). Im Kreis Kassel sind es 1044 Angebote von Ausbildungsbetrieben (minus 30 bzw. 2,8 Prozent) und 1132 potentielle Berufsstarter (minus 198 bzw. 14,9 Prozent). Für den Werra-Meißner-Kreis zeigt die Jahresbilanz 519 Offerten heimischer Betriebe (minus 94 bzw. 15,3 Prozent) gegenüber 598 Ausbildungsplatzsuchenden (minus 11 bzw. 1,8 Prozent).
Im gesamten Agenturbezirk wurden die meisten Auszubildenden gesucht in den Berufsbereichen Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung (980), kaufmännische Dienstleistungen, Handel, Vertrieb und Tourismus (544) sowie Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung (468). 
Die Top 5 der gemeldeten Ausbildungsplätze belegen Kaufmann/frau im Einzelhandel vor Verkäufer/in, Kaufmann/frau Büromanagement, Fach-kraft Lagerlogistik und Industriemechaniker/in. Seitens der Bewerber rangieren Kaufmann/frau Büromanagement vor Kfz-Mechatroniker/in – Pkw-Technik, Kaufmann/frau Einzelhandel und Verkäufer/in auf der Beliebtheitsskala ganz oben.  

HWK: Die Ausbildungsbereitschaft bleibt groß 

„Die Ausbildungsbereitschaft im Handwerk in Nord-, Ost- und Mittelhessen ist nach wie vor groß“, bewertet Andreas Schönebeck, stellvertretender Leiter der Abteilung Berufsbildung der Handwerkskammer Kassel, die aktuelle Ausbildungssituation im Handwerk. „Auch wenn wir das Niveau von 2019 noch nicht wieder erreicht haben, konnte der Rückgang bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen, den wir 2020 coronabedingt zu verzeichnen hatten, gestoppt und sogar in ein leichtes Plus umgewandelt werden. Für diese Entwicklung sprechen auch die aktuell 270 offenen Ausbildungsplätze in unserer digitalen Lehrstellenbörse.“
So kann die Handwerkskammer zum 31. Oktober einen Zuwachs bei den neu eingetragenen Lehrverträgen melden, deren Zahl von 2.559 (2020) auf 2.579 (2021) und damit um 0,8 Prozent (20 Verträge) gestiegen ist. „Diese Zahlen zeigen, dass die Handwerksbetriebe in ihren Ausbildungsanstrengungen nicht nachgelassen haben. Sie sind in dieser besonderen Situation neue Weg gegangen und werben heute mehr denn je online für ihre unbesetzten Ausbildungsplätze.“ Aber auch die Kammer hat ihre Aktivitäten noch einmal verstärkt und ausgeweitet, sich noch mehr in die Berufsorientierung eingebracht. „Egal, ob online oder in Präsenz, es geht uns darum Lehrer, Schüler und ihre Eltern ins Boot zu holen. Wir wollen sie über die ganz unterschiedlichen Karrieremöglichkeiten im Handwerk informieren und sie für die Vielfalt der Handwerksberufe sensibilisieren“, sagt Schönebeck weiter. 
Dazu hat die Kammer ihre digitalen Angebote wie die Online-Plattform „Komm ins Team Handwerk“ weiter ausgebaut. Dort besteht jetzt nicht nur die Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler sowie Betriebe miteinander ins Gespräch zu kommen. Mittlerweile bietet die Plattform vielfältige Informationen rund um die Ausbildung im Handwerk, samt 15 Filmen, die mit einer VR-Brille gesehen, einen eindrucksvollen Einblick in das Arbeitsleben junger Handwerkerinnen und Handwerker geben. 
Darüber hinaus bietet die Handwerkskammer ihren Betrieben die Möglichkeit, sich zum attraktiven Ausbildungsbetrieb zu qualifizieren, beispielsweise mit dem mehrteiligen Bildungsgang zum Azubi-Coach. „Wir wollen unsere Betriebe dabei unterstützen, ihr Ausbildungsmarketing zu professionalisieren, damit sie sicher auf junge Menschen zugehen und zielgerichtet für sich und ihre Ausbildung werben können“, erläutert der Bildungsexperte. Dazu gehört auch das neueste Angebot der Kammer, Azubis im zweiten und dritten Lehrjahr zu Azubi-Botschaftern zu schulen, damit auch sie gekonnt in Schulen für eine Ausbildung im Handwerk werben können.
„Wir werden in unseren Anstrengungen also nicht nachlassen und unser digitales Angebot weiter ausbauen. Und wir werden weiterhin unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, von Jugendlichen mit Startschwierigkeiten über junge Geflüchtete und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bis hin zu Abiturienten und Studienaussteigern. Im Vordergrund stehen dabei nach wie vor die Vorteile einer dualen Ausbildung im Handwerk samt der vielfältigen Karrierewege, die sie eröffnet“, beschreibt Schönebeck die Zielsetzungen der Handwerkskammer in Sachen Nachwuchswerbung.

IHK: Stabile Ausbildungsbilanz 2021

Im Jahr 2020 und 2021 haben die Unternehmen im gesamten IHK-Bezirk Kassel-Marburg 4206 beziehungsweise 4202 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Die Situation kann daher als stabil bezeichnet werden. Hessenweit gingen die Neuverträge bei den IHKs um 2,5 Prozent zurück.
„Angesichts der Corona-Krise und der ungebrochenen Studierneigung ist das ein gutes Ergebnis“, kommentiert Dr. Thomas Fölsch, Bereichsleiter Aus- und Weiterbildung, die Ausbildungsbilanz 2021. 
Das Grundproblem des Ausbildungsmarktes bleibe jedoch bestehen. Die Unternehmen erhielten bereits seit Jahren deutlich weniger Bewerbungen als in den Vorjahren. Dieser Trend werde sich fortsetzen und das Fachkräfteproblem verstärken. „Wir müssen bei jungen Menschen noch intensiver für einen Karriereeinstieg über eine duale Ausbildung werben, die Attraktivität der beruflichen Bildung erhöhen und zugleich die Integration weiterer Zielgruppen vorantreiben. Es gibt keinen wirkungsvolleren Karrierestart als derjenige über Arbeit und Ausbildung“, so Fölsch weiter.
Innerhalb der Regionen Kassel-Stadt, Kassel-Land und im Werra-Meißner-Kreis verlief die Entwicklung der Anzahl der Ausbildungsplätze regional unterschiedlich positiv. Der Landkreis Kassel liegt mit einem Plus von 4,0 Prozent im Vorjahresvergleich an der Spitze. Es folgt der Werra-Meißner-Kreis mit einem Plus von 2,2 Prozent sowie dem Bereich der Stadt Kassel mit einem Plus von 1,7 Prozent.
Auch in den einzelnen Berufsgruppen gab es Unterschiede. Während im kaufmännischen Bereich eine leichte Steigerung in der Stadt Kassel (1,2 Prozent) und im Landkreis Kassel (3,3 Prozent) verzeichnet wurde, ging die An-zahl im Werra-Meißner-Kreis um 0,6 Prozent zurück. In den gewerblich-technischen Berufen ist die deutliche Steigerung um 9,2 Prozent im Werra-Meißner-Kreis, um 4,8 Prozent im Landkreis Kassel und um 2,7 Prozent in der Stadt Kassel als positiv zu bewerten.
Die Bildungsberater der IHK unterstützen Unternehmen im gesamten Kammerbezirk bei Fragen zur dualen Ausbildung und helfen Jugendlichen bei der Berufswahl. „Wir müssen Schüler und Eltern davon überzeugen, dass eine betriebliche Berufsausbildung gleich gute Karrierechancen bietet wie ein Studium“, so Fölsch abschließend.
Ansprechpartner: Unternehmen und Jugendliche können sich direkt an die Bildungsberatung der IHK-Kassel-Marburg wenden (Tel. 0561 7891-288, per E-Mail: bildungsberatung@kassel.ihk.de)