Zweite Auflage von IHK am Puls

Auf Einladung der IHK-Geschäftsstelle Marburg fand Ende September die zweite Auflage von „IHK am Puls. Unternehmen. Vernetzen. Region.“ statt. Die hatte für die rund 100 Gäste bemerkenswerte Impulse parat.
Keynote-Speakerin Kerstin Hochmüller, CEO der Marantec-Gruppe, erläuterte, warum es wichtig ist, sich vom „Hidden Champion“ zum „Open Champion“ zu entwickeln – und welch ungewöhnliche Wege der renommierte Torantrieb-Hersteller dafür gegangen ist.
Die Initialzündung für den Wandel lag im globalen Umbruch, dem Branchenwettbewerb und zunehmenden Disruptionen: „Der Mittelstand wird permanent disruptiert – und wir als Technikunternehmen besonders.“ Kerstin Hochmüller beschreibt, dass die Lösungen der Vergangenheit in schnellen Marktzyklen überholt wurden – immer mehr Technologietrends, Digitalisierung und Megatrends verlangten nach Offenheit und Vernetzung. Sie warnt: „Wir kämpfen nicht mehr gegen Unternehmen, sondern teilweise gegen ganze Länder. Es gibt auch keine Nischen mehr, in denen man sich verstecken kann.“ Die klassische Denkweise, alles selbst zu entwickeln und zu besitzen, stieß bei Marantec zunehmend an ihre Grenzen. Produkte wurden vergleichbarer, Margen sanken, Innovationen erfolgten immer schneller und Kundennutzen wurde zur entscheidenden Währung.
Ein schleichender, aber absehbarer Niedergang auf Raten war für Hochmüller keine Option. Also leitete sie einen Transformationsprozess ein – „auf allen Ebenen und ohne Denkverbote“.

Auch überraschende Stärken aufgedeckt

Dieser Prozess war tiefgreifend: Zu den ersten Schritten zählte das Öffnen der eigenen Organisation für externe Impulse. So stellte sich Marantec beispielsweise einem Stresstest durch ein Start-up. Dieses prüfte „mit einer komplett anderen Denkweise“ das Geschäftsmodell auf Herz und Nieren, deckte Schwächen und überraschende Stärken auf.
Hochmüller sieht diesen Perspektivwechsel als Kraftquelle: „Sich von Außenstehenden stressen zu lassen, ist ein super Ansatz. So entdecken wir, was wir wirklich besser können – und wo wir radikal nachjustieren müssen.“
Diese Offenheit wurde zum Leitmotiv: Die Belegschaft entwickelte gemeinsam mit dem Management ein neues Selbstverständnis, geprägt von Netzwerkdenken, Auflösung klassischer Hierarchien und einer Du-Kultur auf Augenhöhe. „Wir setzen auf Rollen statt Positionen und die Weisheit der Vielen, feiern die Ideen von anderen“, beschreibt Hochmüller.

Einen entscheidenden Schritt weiter gehen

Das könnte in zahlreichen Unternehmen schon schwierig zu vermitteln sein. Doch die Managerin ging noch einen entscheidenden Schritt weiter: Der alte Grundsatz, 100 Prozent der Anteile besitzen zu müssen, wurde aufgegeben. Stattdessen setzt man auf „Creation“ – die Zusammenarbeit mit Firmen, ohne diese zu kaufen. Die Vorteile liegen laut Hochmüller in der Geschwindigkeit und im gegenseitigen Interesse, auch, um sich beispielsweise gegenüber dem immensen Wettbewerb aus China durchzusetzen. Es entstanden Sy nergieprojekte mit Wettbewerbern, etwa das gemeinsame Nutzen und Entwickeln von Komponenten.

Zusammenarbeit als Chance begreifen

Kooperationen nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen: Das Unternehmen öffnete sich für Partner aus unterschiedlichen Branchen, für Wettbewerber und neue Netzwerke. Dieser Paradigmenwechsel wurde in einer neuen Firmenkultur verankert. Und diese wurde nicht nur offen kommuniziert, sondern auch gemeinsam mit hoher Beteiligung entwickelt. Für ein „Mindset-Programm“ für Mitarbeitende hatte das Unternehmen 100 Plätze angeboten. „Schon vor der ersten Informationsveranstaltung hatten sich 50 Leute angemeldet. Das war ziemlich cool“, so Hochmüller.
Und wichtig, wie sie weiß. Denn: Öffnung und Zusammenarbeit mit Wettbewerbern, Start-ups und Partnern erfordern eine umfassende Kulturveränderung. Hochmüller erklärt, dass es sehr viel Anstrengung erfordert, den Spirit des Regelbrechens und der Offenheit in die Organisation zu bringen: „Das ist extrem anstrengend.“ Ohne breite Akzeptanz könne es zu Widerständen und Subkulturen kommen, die den Wandel bremsen.
Der Weg, den Marantec eingeschlagen hat, ist nicht ohne Risiken. Die Zusammenarbeit mit Wettbewerbern und anderen Partnern ist „knallharte Arbeit“, die Vertrauen erfordert. Es besteht das Risiko, dass Investitionen oder Know-how von Partnern nicht gewürdigt werden oder Kooperationen scheitern. Auch der Vertrieb muss überzeugt werden: „Unsere Vertriebsexperten finden die Produkte vom Partner natürlich nicht so toll wie die eigenen.“ Darüber hinaus kam in der Diskussion die Frage auf, ob mit Blick auf neue globale Kooperationserfordernisse das deutsche Kartellrecht noch zeitgemäß sei.
Der Wandel bringt laut Hochmüller messbare Erfolge. Marantec entwickelt neue Produkte und erschließt neue Märkte, die technische Innovationsgeschwindigkeit steigt, interne Innovationsprogramme und nachhaltige Geschäftsmodelle oder ein Circular- Economy-Projekt zahlen auf den Firmenerfolg ein. Um schneller zu entwickeln, „brauchen wir eine Start-up-Kultur in unseren Unternehmen. Wir sagen aus Spaß: Wir wollen 50 Prozent Start-up sein und 50 Prozent Mittelstand.“

„Wir sind Macher, nicht nur Getriebene“

Man sehe potenzielle Risiken nicht als Hemmnis, sondern als integralen Bestandteil des Wandels: „Es gibt immer eine Chance, wenn man offen ist“, so Hochmüller. Die Transformation zum Open Champion soll andere Mittelständler ermutigen, mit Offenheit, Mut und Ausdauer neue Wege zu beschreiten – denn Resilienz und Innovationskraft entstehen am stärksten im Netzwerk. Kerstin Hochmüller resümiert: „Wir sind Macher unserer Zukunft. Wir sind nicht nur Getriebene.“
Zum Einstieg in das Netzwerkevent „IHK am Puls“ hatten sich Landrat Jens Womelsdorf, Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Uni-Präsident Professor Dr. Thomas Nauss, IHK-Präsidentin Désirée Derin-Holzapfel und Hauptgeschäftsführer Dr. Arnd Klein-Zirbes den Fragen der Vorstandsmitglieder der IHK-Regionalversammlung Marburg, Andreas W. Ditze und Thomas Winzer, gestellt.
„IHK am Puls steht für Unternehmergeist, Austausch und Vernetzung in der Region“, betonte Udo Diehl, Vizepräsident und Vorsitzender der Marburger Regionalversammlung. „Der Abend bietet dafür die ideale Plattform.“ Oskar Edelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer und Leiter der IHK-Geschäftsstelle Marburg, ergänzte: „Wir freuen uns, wenn IHK am Puls künftig fest im Kalender der Unternehmen der Region steht.“ Der Termin für 2026 lässt sich bereits eintragen: Am Donnerstag, 24. September, heißt es wieder „IHK am Puls. Unternehmen. Vernetzen. Region.“
Anika Dorndorf
Referentin Unternehmensservice