Forderungen der IHK-Vollversammlung

Resolution zur Energiekrise

Um die Energieversorgung sicherer zu machen und die Energiekostenbelastung für die Unternehmen zu verringern, verabschiedet die Vollversammlung der IHK Kassel-Marburg nachfolgende Resolution zur Energiekrise und empfiehlt folgende Maßnahmen:

1.    Alle verfügbaren Kohle- und Ölkraftwerke in den Markt zurückholen

Sämtliche verfügbaren Stein- und Braunkohlekraftwerke sowie Ölkraftwerke sollten schnell zurück in den Markt geholt werden, um die Versorgung mit Strom zu erhöhen, Gaskraftwerke zu ersetzen und damit die Strompreise zu dämpfen. Mit dem Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz hat die Bundesregierung zwar bereits die rechtliche Grundlage geschaffen, um zusätzliche Kraftwerkskapazitäten aus Kohle und Öl dem Strommarkt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die tatsächliche Kapazitätsausweitung bisher aufgrund restriktiver Vorgaben und mangelnder Planungssicherheit sehr gering. Entscheidend ist jetzt ein schneller und unbürokratischer Weg für zusätzliche Kapazitäten über die gesamte Krisenzeit hinweg.

2.    Verfügbare Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterbetreiben

Die Nutzung der Kernkraft zur Stromerzeugung ist in der Wirtschaft umstritten, angesichts der aktuellen Notsituation und der Notwendigkeit, das Energieangebot zu erhöhen, steht allerdings eine Mehrheit der Unternehmen hinter einer an die energie- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen angepasste Weiternutzung der verfügbaren Kernkraftwerke auch über den vereinbarten Abschalttermin von Mitte April 2023 hinaus. Dies könnte dazu führen, die Strompreise zu dämpfen, die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken zu verringern und die Versorgung und Systemstabilität in Deutschland zu sichern. 

3.    Strom- und Gaspreisbremse schnellstmöglich umsetzen

An den Märkten für Strom und Gas haben sich aufgrund der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland, der andauernden Trockenheit, der Einspeicherverpflichtungen für Gas sowie der Probleme der französischen Kernkraftwerke extreme Preise gebildet. Die Wettbewerbsfähigkeit weiter Teile der Wirtschaft ist damit nicht mehr gegeben. Ein kurzfristiger Eingriff auf europäischer Ebene erscheint daher gerechtfertigt – unter anderem sollte das „Merit-Order-Prinzip“ überprüft werden –, solange er auf die Krise begrenzt bleibt und die Funktionsfähigkeit des Terminmarkts nicht beeinträchtigt. Nationale Alleingänge hinsichtlich der Änderung des Strom- und Gasmarktdesigns sind hingegen nicht zielführend: Sie gefährden die Versorgungssicherheit, weil Anbieter aus dem europäischen Ausland sich dann vom deutschen Staat subventioniert mit günstigem Strom und Gas versorgen könnten und diese Mengen dann hierzulande fehlen würden. Anders stellt sich die Situation bei der Abschöpfung sogenannter Zufallsgewinne dar. Auch hier wäre eine europäische Lösung sinnvoll, wobei die Umsetzung den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben sollte.
Die Vorschläge der Expertenkommission Gas und Wärme zur Entlastung der Gaskunden sowie die Strompreisbremse sind begrüßenswert. Um die betroffenen Unternehmen im Sinne eines Preisdeckels wirksam zu entlasten, ist der Vorschlag eines vergünstigten Grundkontingents für Strom und Gas positiv zu bewerten. Wichtig ist, dass die Hilfe unmittelbar bei den Betrieben ankommt sowie für die Dauer der Energiekrise geleistet wird. 
Es ist positiv, dass die Bundesregierung die Empfehlungen der Expertenkommission Gas und Wärme grundsätzlich umsetzt und die Unternehmen dadurch Klarheit über den Gas- und Wärmepreis bekommen. Positiv ist auch, dass der Start der Gas- und Wärmepreisbremse auf den 1. Januar 2023 vorgezogen werden soll. Problematisch sind vor allem die zahlreichen Meldepflichten, die bereits ab einem Entlastungsbetrag von 100.000 Euro greifen. Hier sollte über höhere Schwellenwerte nachgedacht werden. Zudem erscheint hinsichtlich der Eingruppierung der Stromverbraucher eine Unterscheidung nach privaten Haushalten einerseits sowie Gewerbe und Industriekunden andererseits sinnvoll.
Begrüßenswert ist ferner, dass die Bundesregierung die Strompreisbremse zum 1. Januar 2023 starten möchte. Dies hilft vielen Unternehmen und sichert ihnen das kurzfristige Überleben. Die Anforderungen und Restriktionen zur Inanspruchnahme der Strompreisbremse sind ebenfalls zu hoch und fordern viele Ressourcen in den Unternehmen. Dies gilt ebenfalls für die Melde-, Berichts- und Prüfpflichten sowie die Anforderung zum Arbeitsplatzerhalt, die viele Unternehmen, vor allem im Mittelstand, überfordern werden. Die Nachweispflichten sollten daher verschlankt und die entsprechenden Grenzen deutlich angehoben werden. Das Bezugsjahr für krisenbedingte Energiemehrkosten sollte für Unternehmen, die sich im monate-langen pandemiebedingten Lockdown im Jahr 2021 befanden, angepasst werden, z. B. durch alternative Bezugszeiträume bzw. durch Aufschläge auf das Kontingent. Darüber hinaus ist besonders wichtig, dass die LNG-Terminals schnellstmöglich errichtet werden.

4.    Zuschuss zu Netzentgelten einführen

Eine Übernahme der Stromumlagen (§19 StromNEV-, Offshore-Netz-, AblaV- und KWK-Umlage) in den Staatshaushalt würde die Wirtschaft entlasten und Bürokratie abbauen. Im Rahmen der Einigung über den Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde für den Zeitraum ab 2023 ein Zuschuss zu den Netzentgelten vereinbart, der Preiseffekte ausgleicht. Hier sollte eine schnelle Umsetzung erfolgen.

5.    Stromsteuer und Energiesteuer auf Gas auf europäische Mindestsätze senken

Die europäische Energiesteuer-Richtlinie sieht lediglich Mindeststeuersätze für die verschiedenen Energieträger vor. Daher kann die Stromsteuer in Deutschland im Einklang mit europäischen Vorgaben von 2,05 auf 0,05 ct/ kWh abgesenkt werden. Die Energiesteuer für Gas sollte ebenfalls auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. 

6.    Entlastungen bei den CO2-Handelssystemen schaffen

Der nationale und der europäische Emissionshandel sind und bleiben zentrale Elemente, um die Treibhausgasminderungsziele zu erreichen. In der Energiekrise sollte das nationale Emissionshandelssystem (BEHG) jedoch bis mindestens Ende 2024 ausgesetzt und die Aufnahme von Kohle und Abfall in die nationale CO2-Bepreisung ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verschoben werden. Die aktuellen Beschaffungspreise sind so hoch, dass eine zusätzliche Lenkung nicht mehr stattfindet. Zudem sollte das BEHG so rasch wie möglich durch ein europäisches System ersetzt werden, um Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen im europäischen Binnenmarkt zu vermeiden.

7.    Dauerhafte Ersatzversorgung Strom und Gas einführen sowie Liquidität der Energieversorger sichern

Zunehmend erhalten Unternehmen keine Angebote mehr für die Belieferung mit Strom und / oder Gas. Ohne Energie kann weder produziert, noch können Waren oder Dienstleistungen verkauft werden. Damit es nicht zu zahlreichen Unternehmensschließungen kommt, sollte die Bundesregierung rasch Möglichkeiten schaffen, wieder Energieangebote zu ermöglichen, z.B. durch Bürgschaften der KfW oder andere geeignete Maßnahmen. Vertreten wird grundsätzlich auch das Recht, die Ersatzversorgung auf alle Spannungsebenen und Druckstufen auszuweiten, wozu die Energieversorger auch in die Lage zu versetzen sind. Die Ersatzversorgung könnte z. B. über eine Belieferung zum jeweils aktuellen Spotmarktpreis umgesetzt werden.
Damit Energieversorger wieder in der Lage sind, Terminangebote zu machen, ist das KfW-Programm zum sogenannten „Margining“ dringend einfacher zu gestalten.

8.    Zusätzliches Gasauktionsmodell einführen

Das von der Bundesregierung konzipierte Gasauktionsmodell ist sinnvoll, aber nicht ausreichend: Es kommt erst zum Einsatz, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen und eine Gasmangellage unmittelbar bevorsteht. Daher ist zusätzlich und kurzfristig ein Modell notwendig, das darauf abzielt, Gas für die Einspeicherung verfügbar zu machen. Größere Gasabnehmer bekommen so weitere Anreize, ihren Verbrauch zu reduzieren und eine weitere Befüllung der Speicher zu ermöglichen. Zusätzlich sollte die Bundesregierung eine Härtefallregelung für besonders betroffene Unternehmen zügig auf den Weg bringen, welches nach Einzelfallprüfung die Lücke trotz Energiepreisbremsen decken soll. Das Programm sollte so flexibel wie möglich gestaltet werden und für alle Branchen, Größenklassen und Verbrauchsmuster offenstehen. Ein KfW-Sonderprogramm sollte den am stärksten betroffenen Unternehmen mit Hiskrediten zur Verfügung stehen.

9.    Heimische Ressourcen stärker nutzen

Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nach wie vor durch zu viel Bürokratie und behindernde Vorschriften belastet. Dadurch kann heimische Energie nicht oder nur weniger effizient genutzt werden: Z.B. müssen Windkraftanlagen zu oft abgeschaltet werden, Genehmigungen für Geothermie sind zu aufwendig, Stromspeicher, die zur Systemstabilität beitragen können, werden nicht aufgebaut. Zudem wird der Wechsel von Gas auf andere Energieträger immer noch durch Genehmigungsverfahren behindert. Gesetzliche Ausnahmeregelungen sollten erweitert werden – etwa für Flüssiggas- oder Heizöltanks –, damit der Fuel-Switch in größerem Umfang möglich ist.
Auch die Genehmigungen für neue Windparks und Stromnetze sollten beschleunigt werden. Parks, die sich bereits im Genehmigungsverfahren befinden, sollten unverzüglich ans Netz gehen. Zudem sollten neue PV-Freiflächenanlagen zumindest bis Ende 2026 privilegiert werden. Regulatorische Hürden für die stärkere Nutzung neuer und bestehender EE-Anlagen – dazu zählen auch Biogasanlagen, die zur regionalen Strom- und Wärmeerzeugung verstärkt beitragen könnten – sollten ebenfalls kurzfristig beseitigt und die Eigenenergieversorgung gestärkt werden.
Zudem sieht ein großer Teil der Wirtschaft in einer stärkeren Förderung heimischer Gase inklusive Schiefergas einen wichtigen Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage. Auch hierfür sollten gesetzliche Hürden abgebaut werden.
Zugleich sollte die staatliche Förderung Zukunftstechnologien, wie beispielsweise die Kernfusion, verstärkte Aufmerksamkeit widmen und den Export entsprechender Technologien schützen.
Kassel / Marburg
07.12.2022