Standpunkt der Wirtschaft

Die IHK-Vizepräsidentinnen und –präsidenten kommentieren in monatlichen Standpunkten, was die Wirtschaft bewegt. Sie formulieren die Sichtweise der IHK Karlsruhe und geben auch ganz persönliche Einblicke in die jeweiligen Thematiken. Tauchen Sie ein in die vielfältigen Standpunkte des Ehrenamtes.

Im Zeichen der Wiedervereinigung

Am 1. Mai 2004 eröffneten die Außenminister Deutschlands, Joschka, Fischer, und Polens, Wlodzimierz Cimoszewics, symbolisch die Grenze zwischen Frankfurt/Oder und Slubice. Die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken, Estland, Lettland, Litauen sowie Polen Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien und die beiden Mittelmeer Staaten Malta und Zypern, traten damit der EU bei. Bulgarien und Rumänien folgten 2007 und Kroatien 2013. 
Dies war die größte Erweiterung in der Geschichte der EU. Insofern ist dieser Vorgang von säkularer Bedeutung. Er steht im Zeichen der Wiedervereinigung unseres Kontinents und der Rückkehr jener Länder nach Europa, die durch den eisernen Vorhang an der europäischen Integrations Entwicklung nicht teilhaben konnten. Den Beitrittsländern wurden durch die so genannten Kopenhagener Bedingungen von 1993, nämlich institutionelle Stabilität, eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten, Auflagen vorgegeben, deren Erfüllung die Basis der Mitgliedschaft wurde.
Hinzu kommen wirtschaftliche Kriterien, wie das Vorhandensein einer funktionierenden Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU Binnenmarktes stand zu halten. Ergänzt wurden diese Vorgaben durch das Acquisitions-Kriterium, die Fähigkeit, die gemeinschaftlichen Regeln, Standards und Politik der EU einzuführen und umzusetzen. In den folgenden Jahren bis einschließlich 2020 sind dann 360,2 Milliarden Euro an EU-Fördermitteln an die neue Mitglieder geflossen. Damit wurden unter anderem 24.400 km Autobahnen 3.400 km Schienen Wege oder 17.000 Forschungsprogramm ramme finanziert. Im Laufe der Zeit erreichte dann das BIP dieser Länder pro Kopf gemessen 84 Prozent des EU-Durchschnitts. 
Dabei haben auch die Länder Westeuropas entscheidend von der Osterweiterung der EU profitiert. Große Absatzmärkte und Standorte sind hinzugekommen. Neue Zulieferer in diesen Ländern bilden heute einen nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der Wertschöpfungskette für westeuropäische Unternehmen. Die leichtere kulturelle Kompatibilität, eine verbesserte Kommunikation, Kosteneinsparungen, zum Beispiel bei der Logistik, eine größere Flexibilität, kürzere Lieferzeiten und die damit verbundenen Effizienzsteigerung der Osterweiterung der EU ermöglichen damit auch ein Nearshoring auf dem europäischen Kontinent.
Auch die Länder Westeuropas haben entscheidend von der Osterweiterung profitiert. 
 

Erreichbare Wohlfühloasen

Die Transformation unserer Innenstädte wird maßgeblich von der Digitalisierung, dem Klimawandel, der Urbanisierung und sich verändernden gesellschaftlichen Strukturen vorangetrieben. Die COVID-19-Pandemie hat diese Veränderungen beschleunigt und Szenarien möglich gemacht, die zuvor undenkbar erschienen. Die Zukunft der Städte ist daher zunehmend schwer vorhersehbar. Trotzdem lassen sich bestimmte Merkmale identifizieren, die die Stadt der Zukunft prägen werden. Eine davon ist die Notwendigkeit einer diversifizierten und widerstandsfähigen Wirtschaft als Grundlage für starke und produktive Städte. Gerade wenn man die Bedürfnisse der jungen Generation betrachtet, muss die Innenstadt zu einem Ort der Begegnung werden. 
Unser IHK-Innenstadtberater nimmt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der regionalen Zentren ein, nicht nur, aber auch für junge Menschen. Er ist Vermittler zwischen lokalen Unternehmen, der Stadtverwaltung, den Werbegemeinschaften und der Bevölkerung. Die IHK ist aber auch darüber hinaus Anwalt für die Interessen der lokalen Wirtschaft und setzt sich unter anderem im Ausschuss für Immobilien und Standortentwicklung für eine ganzheitliche, zukunftsorientierte Entwicklung der Innenstädte ein.
Ich persönlich würde an dieser Stelle gerne zwei Appelle in Richtung Verwaltung und Hausbesitzende aussprechen: Bitte sorgt für moderate Gebühren für Stände, die vor den Geschäften aufgestellt werden und für die Außengastronomie in den Straßen. Nur so kann Innenstadt zum Erlebnis- und Wohlfühlort werden. Von den Vermieterinnen und Vermietern würde ich mir wünschen, dass sie möglichst humane Mieten verlangen, um weitere Leerstände zu vermeiden.
Ein Thema, das mir persönlich ebenfalls sehr am Herzen liegt, ist die Erreichbarkeit der Innenstädte. Neben der guten Anbindung an den ÖPNV sollten auch für die Autofahrerinnen und -fahrer ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen. Die Suche nach Park & Ride Parkplätzen ist oft umständlich und langwierig. Für diejenigen, die in die Innenstadt kommen, um zu flanieren, mag das weniger problematisch sein. Die Kundinnen und Kunden aber, die größere Einkäufe tätigen, die es zu verstauen gilt, sind auf das Auto angewiesen. 
Gäste sollten differenziert betrachtet werden, wenn es um sinnvolle Lösungen für eine funktionierende Innenstadt geht. 
IHK-Vizepräsident Roland Fitterer
Wird das Auto komplett aus dem Zentrum verbannt, könnte die Gefahr drohen, dass die Innenstadt mit ihrer lebendigen Vielfalt an Geschäften ausstirbt. 

Wir brauchen eine genderorientierte Unternehmenskultur

Die IHK Karlsruhe hat drei Vizepräsidentinnen, eine stellvertretende Hauptgeschäftsführerin, drei Geschäftsbereichsleiterinnen und acht Teamleiterinnen. Damit sind exakt 50 Prozent der Führungskräfte weiblich. Ich denke, das kann sich sehen lassen. Betrachtet man aber die Frauenquote in den DAX-Konzernen, so stagniert sie bei 23 Prozent nach Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben. Deutschland befindet sich im internationalen Vergleich nach wie vor im letzten Drittel. Und das, obwohl uns diverse Studien wissen lassen, Frauen sind besser qualifiziert, Frauen in Top-Führungsebenen beeinflussen die betriebswirtschaftlichen Erfolgszahlen positiv und in geschlechtergemischten Gremien werden nachhaltigere Entscheidungen getroffen. Eine Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen ist außerdem eine geeignete Strategie gegen den Fachkräftemangel.
Die Ursachen für die immer noch zu geringen Zahlen an weiblichen Führungskräften sind allseits bekannt: Schon mit der Ausbildungs- und Studienwahl werden erste Weichen gestellt, denn während mathematisch-technische Berufe karriere- und gehaltstechnisch vorteilhaft sind, scheinen sich Geistes- oder Sozialwissenschaften und Pflegeberufe weniger für eine Karriere zu eignen. Aber auch die so genannte „gläserne Decke“ erschwert den Weg an die Spitze. Männer werden durch Männer und durch ihre ebenfalls männlichen Vorgesetzten gefördert, während Frauen oftmals außen vor bleiben. Zudem findet der berufliche Aufstieg meist zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr statt. Für Frauen liegt genau dieser Zeitpunkt mitten in einer möglichen Familienplanung. Tatsächlich müssen viele Frauen auch heute noch die Entscheidung treffen: Karriere oder Familie. Fehlende Kita-Plätze, eine noch immer ungleiche Verteilung von Vollzeit und Teilzeit, und nicht zuletzt auch der Gender Pay Gap spielen eine nicht unerhebliche Rolle.
Eine genderorientierte Unternehmenskultur geht meiner Meinung nach über die bloße Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften. Sie ist wirtschaftlich sinnvoll und hat ausschließlich positive Auswirkungen. Maßnahmen wie gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit und flexible Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, sind nur einige gute Beispiele für eine moderne Führungskultur.
Eine genderorientierte Unternehmenskultur geht meiner Meinung nach über die bloße Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften.
IHK-Vizepräsidentin Victoria Denner-Rauh

Neue Technologien verantwortungsvoll nutzen

Können Sie sich noch an Ihren ersten Taschenrechner erinnern? Oder an Ihr erstes Navigationsgerät im Auto? Plötzlich waren komplexe Denkleistungen und Kartenmaterial für ganz Europa auf Knopfdruck verfügbar! Ich erinnere mich noch gut an den Mai 1997, als der damalige Schachweltmeister Garri Kasparow in einem Wettkampf über sechs Partien vom IBM-Schachcomputer Deep Blue geschlagen wurde: Man hatte schon damals den Eindruck, der Wettbewerb „Mensch gegen Maschine“ sei nun endgültig verloren – erst recht jetzt, da kein Mensch mehr eine Chance gegen die Schach-Engines hat.
Heute beeindrucken uns die Denkmaschinen aber noch viel umfassender: Chat GPT und andere Programme leisten, was bisher dem Menschen vorbehalten war. Längst ist das Schlagwort von der „Künstlichen Intelligenz“ in aller Munde. Tatsache ist: Die Leistungsfähigkeit der aktuellen Programme überrascht uns, und Quantencomputer werden bald alles bisher Bekannte übertreffen. Die „Künstliche Intelligenz“ ermöglicht nicht nur das Sammeln von unzähligen Daten, sondern auch deren Auswertung, die Interpretation und die Steuerung komplexer Prozesse. Längst haben KI-Technologien die Wirtschaft erobert, längst profitieren wir davon: Denken Sie zum Beispiel an neue Formen der Diagnostik in der Medizin, bei der tausende Vergleichsbeispiele in Sekundenschnelle eine Entscheidungsgrundlage anbieten. Denken Sie an die zunehmend besser werdende Wettervorhersage, bei der unzählige Messwerte mit unzähligen Vergleichssituationen abgeglichen werden können. Neue Technologien verantwortungsvoll nutzen Klar ist, dass wir diese Technologien verantwortungsvoll nutzen müssen, sonst besteht die Gefahr, dass vorhandene Probleme durch sie verstärkt werden: Fake News, gefälschte Bilder und Töne, Cyber-Kriminalität und Stromausfälle sind Erscheinungsformen bereits bestehender und kommender Risiken. Außerdem wird es schwieriger werden, an belastbare Informationen zu kommen und schwieriger, andere über relevante Sachverhalte zu informieren – und das, obwohl Wissen und Daten noch nie so schnell verfügbar waren!
„Ich bin sicher, dass die Wirtschaft einen großen Teil dieser Aufgabe selbst lösen kann, selbst lösen muss und selbst lösen wird – ob mit oder ohne staatliche Begleitung.“ 
IHK-Präsident Wolfgang Grenke
Wir müssen Werkzeuge entwickeln, um negative Auswirkungen zu vermeiden, und dafür brauchen wir technische Innovationen und gemeinsame Standards. Eine aktuelle Studie belegt, dass KI die Bruttowertschöpfung in Deutschland um 300 Milliarden Euro erhöhen könnte, – sobald die KI in mindestens 50 Prozent der Unternehmen eingesetzt wird. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.
Die IHK Karlsruhe gehört deutschlandweit zu den Vorreitern, wenn es darum geht, KI in die Unternehmen zu bringen: Seit 2019 gibt es einen Arbeitskreis „KI und digitale Innovationen“ mit aktuell rund 50 Mitgliedern. Erstberatungsangebote und Veranstaltungen für kleine, mittelständische Unternehmen ermöglichen eine effektive Strategie zur Implementierung von KI im Betrieb. Gerade hier in der TechnologieRegion Karlsruhe, wo ein starkes Cluster zur KI existiert, brauchen wir noch mehr Begeisterung für dieses Thema. Die Türen für Innovationen stehen weit offen!
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