Baden-Württembergische Wirtschaft trotzt der Krise

Geschäftserwartungen der Unternehmen deutlich besser als im Herbst 

Die Wirtschaft in Baden-Württemberg stemmt sich gegen die Krise. Die hohen Energiepreise und die steigende Inflation haben die Lage weniger deutlich eingetrübt als noch im Herbst erwartet. „Die Unternehmen im Südwesten sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, fasst Marjoke Breuning, Vizepräsidentin des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) und Präsidentin der IHK Region Stuttgart, die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage zusammen.
Demnach geben 42 Prozent der Unternehmen an, dass ihre aktuelle Geschäftslage gut ist. Im Herbst 2022 waren das 36 Prozent der Betriebe. Zehn Prozent sagen, die Lage sei schlecht, drei Prozentpunkte weniger als im Herbst. Auch der Blick in die Zukunft hat sich erhellt. „Die Zahl der Optimisten steigt wieder an“, so Breuning. Während im Herbst 2022 noch 44 Prozent der Unternehmen düster auf die Geschäftserwartungen der kommenden zwölf Monate blickten, sind es jetzt aktuell noch 23 Prozent. 22 Prozent der Betriebe hoffen auf bessere Geschäfte, 55 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Lage aus.
„Im Herbst hatten die hohen Gaspreise, die steigende Inflation und eine mögliche Gasknappheit die Betriebe in Baden-Württemberg fest im Griff. Die Stimmung der Wirtschaft war dementsprechend im Keller“, sagt Breuning. Nur noch jedes achte Unternehmen blickte optimistisch in die Zukunft. „Viele Unternehmen sind einen massiven Sparkurs gefahren und haben in Energieeffizienz investiert. Mit Erfolg.“ Eine Gasmangellage scheint vorerst abgewendet, die Einführung des Gaspreisdeckels hat den Unternehmen zudem mehr Planungssicherheit gebracht. Zum Jahresbeginn 2023 sehen 65 Prozent der Unternehmen die Energiepreise als ein wirtschaftliches Risiko – im Herbst 2022 waren es noch 78 Prozent.

Deutliche Unterschiede in den Branchen

Allerdings gibt es deutliche Unterschiede. In den Branchen mit niedrigen Gewinnmargen bleiben die Sorgen groß. „Allen voran im eh schon stark gebeutelte Gastgewerbe, hier haben Corona-Pandemie und der Fachkräftemangel besonders deutliche Spuren hinterlassen“, erklärt die BWIHK-Vizepräsidentin. Nach einem konjunkturellen Hoch im Sommer trifft die Hotel- und Gastro-Betriebe jetzt die Sorge, die Energiepreise nicht zahlen zu können. Neun von zehn Unternehmen sehen die Energiepreise als ein wirtschaftliches Risiko. Jedes vierte Unternehmen empfindet die aktuelle Ertragslage als schlecht.
Ebenso im Einzelhandel. Viele Einzelhändler stehen bereits mit dem Rücken zur Wand. Jetzt kommen die hohen Energiepreise hinzu, die bei den geringen Gewinnmargen nicht komplett an die Kunden weitergegeben werden können. Die Inlandsnachfrage wird weiterhin von 66 Prozent der Unternehmen als ein Geschäftsrisiko gesehen.
Aber auch in der Industrie sehen drei Viertel der Unternehmen ein Risiko bei den hohen Energiepreisen – im Herbst 2022 waren es 88 Prozent der Betriebe.

Fachkräftemangel trübt den Blick in die Zukunft

Deutlich getrübt wird der Blick in die Zukunft in allen Branchen vom Fachkräftemangel. Er hat im Vergleich zum Herbst die Energiepreise im Ranking der größten Geschäftsrisiken vom ersten Platz verdrängt. „Dieser Trend wird anhalten“, so Breuning. „Besonders in den kommenden Jahren werden einige Arbeitsstellen unbesetzt bleiben und die geburtenstarken Jahrgänge werden in Rente gehen.“ 66 Prozent der Unternehmen sehen im Fachkräftemangel derzeit ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung, im Herbst waren es 61 Prozent, im Frühsommer 2022 rund 58 Prozent. „Die Entwicklung wird zusätzlichen Druck auf die Löhne ausüben. Jedes zweite Unternehmen sieht bei den Arbeitskosten ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung. 
„Wir sehen durch den Fachkräftemangel aber auch wichtige Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz und Digitalisierung in Gefahr“, warnt Breuning. Die Betriebe befänden sich mitten im Transformationsprozess, dafür seien die richtigen Fachkräfte unabdingbar. „Die Politik muss jetzt ihre Hausaufgaben machen und die Berufliche Bildung noch attraktiver gestalten. Vor allem aber muss sie bei der Berufsorientierung den Turbo einlegen“, fordert Breuning. „Wir erwarten aber auch, dass Kita-Ausbau und Ganztagsbetreuung an Schulen schneller vorangetrieben werden.“  Würden die mehr als eine Million in Teilzeit arbeitenden Frauen in Baden-Württemberg jedes Jahr wöchentlich nur eine Stunde mehr arbeiten, entspräche dies jährlich mehr als 30.000 Vollzeit-Beschäftigten im Südwesten, rechnet Breuning vor. „Damit das gelingen kann, müssen wir die Betreuungssituation deutlich verbessern. So wäre ein erheblicher Teil des Fachkräfteproblems gelöst.“ 
Die Unternehmen in der Industrie wurden in den vergangenen Jahren gleich mit mehreren Krisen konfrontiert: Erst die Corona-Pandemie, die die Schwächen in den Lieferketten zeigte, dann der Krieg in der Ukraine, der die mangelnde Diversifizierung von Gaslieferanten offenbarte. Die Einführung des Gaspreisdeckels führte in den Industriebetrieben zumindest zu mehr Planungssicherheit. Neben den hohen Energiekosten haben die Industriebetriebe aber nach wie vor mit Störungen in den Lieferketten und mangelnden Angeboten zu kämpfen. Dies wirkt sich deutlich negativ auf die Rohstoffpreise aus. 70 Prozent der Unternehmen sehen hier ein Geschäftsrisiko. Auf dem dritten Platz der Risiken bleibt bei den Industriebetrieben der Fachkräftemangel mit 63 Prozent Nennungen. „Die Auftragsbücher füllen sich wieder, wenn auch weiterhin zögerlich“, sagt Breuning. Insgesamt bezeichnen rund 42 Prozent der Industriebetriebe ihre Lage als gut, 47 Prozent stufen sie als befriedigend ein, elf Prozent als schlecht. 24 Prozent hoffen auf bessere Geschäfte in den kommenden zwölf Monaten, 56 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Lage aus und 20 Prozent blicken eher pessimistisch nach vorn. 
Ein Hoffnungsschimmer in der Industrie ist der konjunkturelle Aufschwung in der Weltwirtschaft, dieser spiegelt sich in den Exporterwartungen der Unternehmen wider. 34 Prozent der Betriebe erwarten, dass die Exporte zunehmen werden – im Herbst 2022 waren es 21 Prozent. Besonders hoch sind die Erwartungen für die Exporte nach Nordamerika.
Die Sonderkonjunktur in der Bauwirtschaft hat ein Ende gefunden. Die derzeit noch gute Geschäftslage wird vor allem von noch laufenden Aufträgen und Bauprojekten getragen. Der Wegfall der Wohnbauförderungen und die Anhebung des Leitzinses wirken sich deutlich negativ auf die Nachfrage aus, vor allem beim Wohnungsbau. Drei Viertel der Unternehmen in der Baubranche melden hier eine fallende Tendenz. Hinzu kommen die hohen Energie- und Rohstoffpreise. Die Inlandsnachfrage wird von 59 Prozent der Unternehmen als ein Geschäftsrisiko empfunden. Eine baldige Besserung ist nicht in Sicht. Jedes zweite Unternehmen geht von einer fallenden Bauproduktion aus.
Das Weihnachtsgeschäft sowie die Einführung eines Gaspreisdeckels haben vielen Einzelhändlern eine kleine Verschnaufpause gebracht. „Das Weihnachtsgeschäft war im Vergleich zu den Vorjahren gut, aber da hatten wir auch eine extrem schlechte Lage. Wenn wir die Umsätze mit dem Vor-Corona-Niveau vergleichen, sind wir immer noch deutlich im Minus. Das reicht nicht, um die Kostensteigerungen an anderen Stellen auszugleichen“, so Breuning. 43 Prozent der Einzelhändler melden, dass ihr Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist, bei den Großhändlern sind es 45 Prozent. Vor allem in den Bereichen Textil, IT sowie Sport- und Spielwaren liefen die Geschäfte gut, auch im KFZ-Bereich machte sich die bessere Verfügbarkeit von Fahrzeugen bemerkbar. Die KFZ-Händler melden wieder schwarze Zahlen. Die Zukunft im Einzelhandel bleibt dennoch ungewiss. Jedes zweite Unternehmen empfindet das Kaufverhalten als zurückhaltend. Jedes dritte Unternehmen blickt eher düster auf die Geschäftsentwicklung in den kommenden zwölf Monaten, nur 15 Prozent hoffen auf bessere Geschäfte.
Der Sommer 2022 war für das Hotel- und Gaststättengewerbe ein kleiner Lichtblick am Ende des langen Corona-Tunnels. Zu Jahresbeginn sieht es nun deutlich düsterer aus. Hohe Energie- und Gaspreise dämmen die Ertragslage bei den Unternehmen des Gastgewerbes, jedes vierte Unternehmen beurteilt die Erträge trotz der hohen Umsätze als schlecht. Nur noch 31 Prozent der Unternehmen empfinden die Geschäftslage als gut – im Herbst 2022 waren es noch 39 Prozent der Betriebe. Auch der Fachkräftemangel trifft das Hotel- und Gaststättengewerbe mit voller Wucht. „Wenn Öffnungszeiten reduziert und Ruhetage eingeführt werden müssen, ist die Lage wirklich dramatisch. Das spüren die Betriebe auch deutlich in der Kasse“, sagt Breuning. „Viele stehen nach wie vor mit dem Rücken zur Wand.“ Zumal der Fachkräftemangel auch den Lohndruck deutlich befeuere. 73 Prozent der Unternehmen sehen den Fachkräftemangel als ein Geschäftsrisiko, 71 Prozent die hohen Arbeitskosten.
Unternehmen des Transport- und Verkehrsgewerbes sind eher verhalten in das neue Jahr gestartet, der konjunkturelle Abschwung in der Industrie ist deutlich zu spüren. Hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und sinkende Auftragseingänge wirken sich negativ auf die Geschäftserwartungen für das kommende Jahr aus. Ein Drittel der Unternehmen geht von einer verschlechterten Geschäftssituation aus, nur 14 Prozent erwarten eine Besserung der Geschäftslage. Neben den hohen Energiepreisen bleibt der Fachkräftemangel, mit 79 Prozent Nennungen, das Toprisiko in der Transport- und Verkehrsbranche. Besonders der Mangel an LKW-Fahrern treibt die Betriebe um. Der demographische Wandel ist spürbar und nur unter erschwerten Bedingungen können Fachkräfte aus dem Ausland eingestellt werden.
Die Dienstleister befinden sich im Aufwind. Die Corona-Pandemie scheint nun endgültig überwunden zu sein und auch die mögliche Rezession wird nicht ganz so dramatisch ausfallen, wie im Herbst 2022 noch befürchtet. Vor allem personenbezogene Dienstleister können nach den letzten Pandemie-Jahren allmählich wieder schwarze Zahlen schreiben. Aber auch die unternehmensnahen Dienstleister empfangen positive Signale von der Industrie.
Der Auftragseingang bei den Dienstleistern wird allgemein als steigend wahrgenommen. Die Ertragslage wird von einem Drittel der Dienstleister als gut beurteilt. Die Geschäftserwartungen fallen im Gegensatz zum Herbst 2022 auch wieder positiv aus.

Inlandsinvestitionen

Die hohen Energie- und Strompreise lassen die Investitionen bei den Industriebetrieben wieder ansteigen. 60 Prozent der Unternehmen versuchen ihnen durch Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen entgegenzuwirken. Auch in die Digitalisierung wird vermehrt investiert. Anders im Baugewerbe. Hier mildern die getrübten Zukunftsaussichten auch die Investitionspläne für die kommenden zwölf Monate ab. 43 Prozent der Unternehmen geben an, dass ihre Investitionen zurück gehen werden. Wenn investiert wird, dann zunehmend in Umweltschutz und Energieeffizienz.

Exporterwartungen

Positive Signale gibt es in der Exportindustrie. Die Konjunktur auf dem Weltmarkt zieht langsam wieder an. Rund 30 Prozent der Unternehmen erwarten ein zunehmendes Auslandsgeschäft. Das sind acht Prozentpunkte mehr als noch im Herbst 2022. Ein deutlicher Anstieg in den Exporten wird nach Nordamerika erwartet. Joe Bidens Konjunkturpaket und ein geschwächter Euro gegenüber dem Dollar wirken sich positiv auf die Nachfrage nach baden-württembergischen Exportgütern aus. Aber auch innerhalb der Eurozone liegen die Exporterwartungen im positiven Bereich. Die Ausfuhrerwartungen nach Asien sind stark von der weiteren Entwicklung des Corona-Virus in China abhängig. China hat die Zero-Covid-Strategie aufgegeben und hohe Infektionswellen treffen in der Folge die chinesische Bevölkerung. Mögliche Lieferkettenengpässe werden deshalb noch nicht ganz abgeschrieben. Trotzdem erwartet die baden-württembergische Exportindustrie eine positive Entwicklung auf dem asiatischen Markt.