Nordamerika

In Zukunft Kanada?

Ahornblatt oder Sternenbanner? Kanada oder USA? 38,5 Millionen Kanadier kontra 338,3 Millionen Amerikaner. Ein Bruttoinlandsprodukt von 2,3 Bio. US-Dollar versus 26,2 Bio. US-Dollar. Für viele deutsche Unternehmen heißt Nordamerika erst einmal und vorwiegend USA. Das schlägt sich auch in den Handelszahlen wieder: 2021 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von 122 Milliarden Euro in von Deutschland in die USA exportiert; in Richtung Kanada waren es gerade einmal 10,1 Milliarden Euro. Doch das Blatt scheint sich zu wenden.
Die Attraktivität Kanadas, einem bisher nicht ganz so aufregenden, dafür aber soliden Handelspartner, nimmt zu. Vielleicht brauchte man sich noch nie so sehr wie heute. In aktuellen Fragestellungen zur Sicherheitspolitik, Klimaschutz oder dem Fachkräftemangel findet Deutschland in Kanada einen Gesprächspartner auf Augenhöhe. Vielleicht empfand man Kanada als Handelspartner aber auch noch nie so anziehend wie heute: Im Zuge der Zunahme geopolitischer Spannungen erscheint Kanada vielen Unternehmen als „sicher Hafen“. CETA, das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union ist nun offiziell ratifiziert; zahlreiche andere Abkommen mit Ländern und Staatenverbunden in Mittel- und Südamerika oder Asien öffnen deutschen Unternehmen außerdem die Möglichkeiten ihre Lieferketten zu diversifizieren. Kanada verfügt über große natürliche Ressourcen wie Öl, Gas und kritische Mineralien. Arbeitskräfte mit hohem Bildungsniveau findet man hier auch. Und grüne Energie. Vor allem grüne Energie.
Kanada – die neue Liebe der deutschen Unternehmen? Die aktuellen Meldungen aus der Wirtschaft lassen den Schluss nah: BASF hat im letzten Jahr Investitionen für einen zukünftigen Produktionsstandort für Kathodenmaterialien und Batterierecycling in Québec angekündigt; 2025 soll das Projekt in den Betrieb genommen werden. Volkswagen will in der Provinz Ontario sein weltweit größtes Batteriewerk in Kanada stehen haben. Maximale Fertigungskapazität: bis zu 90 Gigawattstunden. Genug um mehr als eine Million Elektroautos im Jahr mit Batterien zu versorgen. Das Photovoltaik-Unternehmen Goldbeck Solar hat in Kanada bereits einige Vorhaben realisiert, macht in Alberta nun weiter. Die Optikerkette Fielmann wagt mit einer Übernahme des kanadische Unternehmen Eyevious Style und dessen Online-Plattform Befitting den Sprung nach Kanada. Duravit, Mittelständler aus dem Schwarzwald will die erste grüne Fabrik für Sanitärkeramik in Québec errichten. Von Matane aus will man dann schon im nächsten Jahr vor allem den US-Markt mit Toiletten und Waschtischen bedienen.
Warum Kanada und nicht USA? Warum Kanada und nicht Deutschland?
Für BASF bietet der neue Standort mit seiner idealen Lage am Sankt-Lorenz-Strom zwischen Montreal und Quebec City günstige Bedingungen für eine hocheffiziente Logistik. Der Konzern setzt auf wettbewerbsfähige Wasserkraft, um den CO2-Fußabdruck seiner Produkte im Vergleich zum Branchendurchschnitt weiter zu verringern. VW bezieht sich bei seiner Entscheidung auf ideale Voraussetzungen wie etwa die Versorgung mit lokalen Rohstoffen und der Zugang zu Grünstrom. Auch bei Duravit punktet Kanada mit seinem grünen Strom. Québecs Versorger Hydro-Québec erzeugt seinen Strom zu 99,6 Prozent mit erneuerbaren Energien, 90 Prozent mit Wasserkraft, 9 Prozent mit Windkraft. Für die Kilowattstunde muss Duravit vorerst vier kanadische Cent zahlen.
Grüner Strom also. Vor allem grüner Strom. Aber es gibt auch diverse weitere Vorteile, die Kanada deutschen Unternehmen bietet. Sonst würden Unternehmen wie Adidas, Bayer, Continental DHL, Heidelberg Cement oder SAP, Siemens und ThyssenKrupp nicht zu den größten Arbeitgebern im Land zählen. Sonst hätte Dr. Oetker seine erste eigenständige Auslandsniederlassung in Nordamerika nicht bereits 1961 in Toronto aufgebaut und den Schritt in die USA erst Jahrzehnte später, nämlich im Jahr 2009, gewagt.
Solide, wertschätzend und ohne allzu viel Spektakel – so könnten die deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen sicherlich in der Vergangenheit beschrieben werden. Als solide und wertschätzend würden wir sie heute immer noch beschreiben. Und als aufsehenerregend.  
Stand: 27.09.2023