Da steckt viel Liebe drin

Aus dem Reparaturbetrieb seines Großvaters Otto Liebe hat Thomas Peckruhn eine Autohaus-Gruppe mit 300 Mitarbeitern und neun Filialen in vier Bundesländern gemacht. 2024 wird er die Geschicke der Firma in die Hände seiner drei Söhne legen.
Es ist eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film: Ein Škoda Fabia wird in eine runde, futuristisch anmutende Kabine gefahren. Dann schließen sich die Kabinentüren, und die Scanner und Kameras machen sich automatisch ans Werk. Innerhalb von fünf Minuten entsteht ein „digitaler Zwilling“ des Autos – mit einer detailreichen 360-Grad-Ansicht des Innenraums, des Unterbodens und der äußeren Hülle. Selbst das Profil der Reifen wird auf den Zehntelmillimeter erfasst. „Der Twin zeigt mehr, als Sie sehen können, wenn Sie vor dem Fahrzeug stehen“, erklärt Thomas Peckruhn. „Keine Schramme, keine nachlackierte Stelle bleibt verborgen.“
Peckruhn ist Geschäftsführer der Liebe-Gruppe, dem größten Škoda-Vertragshändler in Mitteldeutschland mit neun Autohäusern. 2016 hat er das Gebrauchtwagengeschäft am Stammsitz Sangerhausen zentralisiert, und er war einer der ersten überhaupt in Deutschland, bei denen der „Twinner“ – so heißt der gigantische Scanner – installiert wurde. Per Knopfdruck können die erstellten Daten in die einschlägigen Verkaufsportale im Internet hochgeladen werden, ohne aufwändige Fotografie und manuelles Einpflegen der Fahrzeuginformationen. „Wir betrachten das Internet als unsere zehnte Filiale“, sagt Thomas Peckruhn. „Der Kunde will zuhause eine Kaufentscheidung treffen und soll dafür mit allen relevanten Informationen und Ansichten versorgt werden.“

Alles begann mit einer kleinen Reparaturwerkstatt

Als Otto Liebe 1954 in Sangerhausen eine Werkstatt eröffnete, war die Welt noch komplett analog. Mit zunächst sechs Mitarbeitern reparierte er vorwiegend Landwirtschaftsmaschinen und Lkw. 1958 schloss Liebe einen Vertrag für die Instandsetzung der im thüringischen Waltershausen gebauten Multicar, im Volksmund damals nur „Dieselameise“ genannt. 1971 kam dann die Reparatur von Motorrädern aus Zschopau hinzu – der „Multicar- und MZ-Dienst Otto Liebe“ wurde zur festen Größe in der Region. Zehn Mitarbeiter hatte die Firma zu dieser Zeit, mehr waren in der DDR für Privatbetriebe nicht erlaubt. Dennoch gab es wiederholte Versuche, das Unternehmen zu verstaatlichen, die jedoch am vehementen Widerstand des Firmengründers scheiterten.
1976 stirbt Otto Liebe, und Wolfgang Peckruhn übernimmt die Geschäftsführung. Der Meister des Kfz-Handwerks hatte – aus Liebe natürlich – eine Liebe geheiratet, Ottos Tochter Monika nämlich. Das Geschäft indes war oft weniger romantisch: Das sozialistische System erwies sich immer mehr als Mangelwirtschaft, Ersatzteil- und Materialbeschaffung wurden zur größten Herausforderung. 1982 trat dann auch Wolfgangs Sohn Thomas in das Unternehmen ein, nachdem er eine Ausbildung im Kfz-Instandsetzungswerk Roßla absolviert hatte. Später legte auch er – wie zuvor sein Vater – die Prüfung zum Kfz-Meister ab.

Škoda war ein Glücksgriff

Die Wende 1989 brachte neue Möglichkeiten, zunächst aber auch neue Sorgen: In kürzester Zeit brach das Motorradgeschäft zusammen. Thomas Peckruhn: „In der DDR war eine MZ kein Spaßmobil, sondern Alltagsfahrzeug. Und die Leute stiegen nun aufs Auto um.“ Die Firma hielt sich mit der Instandsetzung des Multicars über Wasser, schloss einen neuen Vertrag mit dem Hersteller. Die Lücke, die MZ gerissen hatte, versuchte man mit dem Yugo zu schließen, doch mit Ausbruch des Krieges in Jugoslawien war dieses Kapitel beendet
Die erneute Suche nach einer Alternative war dann ein wahrer Glücksgriff für das Unternehmen: 1991 wurde die Otto Liebe OHG Vertragshändler der Marke Škoda. „Škoda etablierte sich gerade auf dem deutschen Markt und startete Mitte der 90er Jahre richtig durch“, sagt Thomas Peckruhn. Die Geschäftsräume in Sangerhausen waren bald zu klein – ein großzügiger Neubau direkt an der B80 wurde geplant und 1994 eingeweiht. Vier Jahre später wird Thomas Peckruhn, inzwischen Geschäftsführer der Firma, ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes der deutschen Škoda-Vertragspartner, weil er „von der Zukunft der Marke überzeugt ist“, wie er sagt.

Ein eher seltener Fall: Ost übernimmt West

Wie sehr er damit Recht hatte, zeigt die beinahe kometenhafte Entwicklung der Liebe-Gruppe: 1998 wurde das zweite Autohaus in Eisleben eröffnet, 2001 das dritte in Erfurt, mit dem Peckruhn nun erstmals das Kundenpotenzial einer Großstadt
erschließt. 2006 folgt die Übernahme eines Škoda-Autohauses in Sondershausen, 2008 die eines Händlers in Halle (Saale), wo das Unternehmen 2017 einen Neubau am Göttinger Bogen eröffnet. Mit dem siebten Standort in Leipzig expandiert Peckruhn 2018 in den sächsischen Markt. Und damit nicht genug: Seit wenigen Monaten gehören auch die Autohäuser Beyerlein in Braunschweig und Salzgitter zur Liebe-Gruppe – der eher seltene Fall, dass ein westdeutsches von einem ostdeutschen Unternehmen übernommen wird.
Neun Standorte, ein Gebrauchtwagenzentrum, fast 300 Mitarbeiter – das Lebenswerk Thomas Peckruhns ist beeindruckend. Wenn sich die Gründung des Unternehmens 2024 zum 70. Mal jährt, wird der heute 57-Jährige die Geschäftsführung in die Hände seiner Söhne legen: Christoph verantwortet bereits heute den Vertrieb, Sebastian ist Finanzchef der Firmengruppe, und Johannes wird nach seinem Betriebswirtschaftsstudium das Gebrauchtwagenzentrum leiten. Thomas Peckruhn ist davon überzeugt, dass seine Nachfolger die Erfolgsgeschichte des Unternehmens fortschreiben werden. Mit Tatkraft, Geschick und natürlich – mit Liebe.
Otto Liebe OHG
Gegründet:

1954
Standorte:
9 in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen
Mitarbeiter:
269
Verkaufte Fahrzeuge:
5074 (2019)
Umsatz:
93,52 Millionen Euro (2019) 
www.liebeautos.de 
Matthias Münch