Harzer Handarbeit

Zwei Weltkriege hat Friwi überstanden, nicht aber die Verstaatlichungspolitik in den 70er Jahren. Heute ist der traditionsreiche Backwarenhersteller wieder eine feste Größe in der Region – geführt von Nadja Witte, der Urenkelin des Firmengründers.

Wer das alte Printenlager betritt, dem fallen sofort zehn messingfarbene, mit Gravuren versehene Walzen ins Auge, die als Dekoration an einer der Wände hängen. Wer genauer hinschaut, erkennt, dass es sich bei den Gravuren um Negativformen für Gebäckstücke handelt. Denn auch wenn die Walzen heute nur noch Zierde sind – einst wurden mit ihrer Hilfe täglich zehntausende Spekulatius, Plätzchen und Butterkekse produziert.
So wie nahezu alles bei Friwi trägt der Raum die Handschrift von Nadja Witte, der Geschäftsführerin des Stolberger Unternehmens: rustikale Tischplatten aus schwerem Eichenholz mit eingebranntem Firmenlogo, Stühle und Deckenlampen, die die Industriearchitektur des Gebäudes elegant unterstreichen. „Der Raum kann für Feiern gemietet werden, oft bewirten wir hier auch Busreisende, die ihren Besuch der Stadt mit einer Werksbesichtigung verbinden“, erzählt die 53-Jährige. „Stolberg und Friwi – das gehört einfach zusammen.“

Aus einer Konditorei wird eine Gebäckfabrik

Friwi ist das Kürzel von Friedrich Wilhelm Witte, dem Urgroßvater Nadja Wittes, der das Unternehmen 1891 gründete. In der Niedergasse betrieb er eine kleine Konditorei, die so gut gedieh, dass er gemeinsam mit seinem Sohn Georg 35 Jahre später ein neues Fabrikgebäude in derselben Straße baute – ausgestattet mit einer großen Ofenanlage, modernen Maschinen und eigener Strom- und Gaserzeugung. Mit Keksen, Waffeln, Lebkuchen und Zwieback belieferten die Wittes bald den gesamten mitteldeutschen Raum. 
Zwei Weltkriege hat Friwi überstanden, nicht aber die Enteignungspolitik der DDR: 1972 wurde aus dem erfolgreichen Familienbetrieb der VEB Feingebäck Stolberg, der später zum Kombinat Nahrungsmittel und Kaffee Halle gehörte. Die Zwangsverstaatlichung hat Spuren hinterlassen – nicht nur auf den Butterkeksen, die fortan keinen „Friwi“-Schriftzug mehr trugen, sondern auch bei den einstigen Besitzern: „Meine Großeltern sind daran zerbrochen“, erzählt Nadja Witte. 1979 verließ auch ihr Vater Ludwig, Konditormeister und Produktionsleiter, das Unternehmen – über ein Jahrzehnt arbeitete kein Witte mehr bei Friwi.
Nadja und Ludwig Witte hatten mit diesem Kapitel der Familiengeschichte abgeschlossen, als die Mauer fiel. Die studierte Biochemikerin hatte eine Doktorandenstelle in Nordhausen angenommen, ihr Vater arbeitete in einem Fuhrbetrieb. Auf die Idee, Friwi wieder zu übernehmen, wurden sie von Nachbarn gebracht. Dass es ein fast drei Jahre währender Kampf um die Rückübertragung werden würde, ahnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht: Dem ersten Antrag beim Rat des Bezirkes folgten weitere bei der Treuhand. Die Produktion kam zum Erliegen, zu groß war die Konkurrenz aus dem Westen. Dann die Nachricht aus Berlin: Die Wittes können den Betrieb kaufen, zum Restwert. „Für zwei heruntergewirtschaftete Backstraßen mit Knetern und Öfen sollten wir 720.000 D-Mark bezahlen“, erinnert sich Nadja Witte. Unerwartete Hilfe kam aus den alten Bundesländern: Ein befreundeter Bäcker kaufte eine der Anlagen – für weniger als 10.000 D-Mark – und schenkte sie den Wittes. Es konnte wieder losgehen bei Friwi.

Auf den Butterkeksen steht wieder Friwi

Heute ist Friwi wieder eine feste Größe – in Stolberg sowieso, weil es hier sonst kein produzierendes Gewerbe gibt. 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie drei Auszubildende beschäftigt das Unternehmen. Etabliert ist Friwi-Gebäck inzwischen auch in den Regalen der großen Handelsketten, zumindest in der Harzregion. Über 40 Produkte hat Friwi im Sortiment, darunter Klassiker wie Sultan-Zwieback, Bärentatzen und die Harzer Perle. Und die typisch gezackten Butterkekse, auf denen wieder Friwi steht. Wenn im September die Weihnachtsproduktion anläuft, kommen noch Stollen, Spekulatius und Printen dazu. 
Bei den Rezepturen verlässt Nadja Witte sich ganz auf ihren Urgroßvater Friedrich Wilhelm: Er hatte in einem handgeschriebenen Buch jede Zutat und jeden Verarbeitungsschritt penibel notiert, und glücklicherweise ist dieses Rezeptbuch im Familienbesitz der Wittes geblieben. Deshalb schmecken die Printen zum Beispiel noch genauso gut wie vor 90 Jahren – auch wenn sie nicht mehr im Printenlager, dem heutigen Event-Café, sondern in modernen Edelstahlbehältern reifen.
Wachstum um jeden Preis ist nicht die Devise bei Friwi. Das geben zum einen die historischen Backsteingebäude nicht her: „Wir produzieren auf zwei Etagen, was für
die Logistik etwas ungünstig ist“, erzählt Nadja Witte. „Und durch unsere 3,60 Meter hohe Einfahrt passen keine Sattelzüge.“ Außerdem ist hier vieles Handarbeit, nicht nur das Verpacken sämtlicher Kekse mit Schokoüberzug. Friwi fertigt Torten und Kuchen auf Bestellung, macht Pralinen und Eis und beliefert damit Hotels und Cafés in der Umgebung. Und natürlich auch das eigene Friwi-Café in der Niedergasse 21 – dem Ort, an dem 1891 alles begann.
„Stolberg und Friwi – das gehört einfach zusammen.“
Nadja Witte
FRIWI-WERK Stolberg Harz Witte OHG
Gegründet: 

1891
Standort: 
Stolberg (Harz)
Mitarbeiter: 
33
www.friwi.de
Matthias Münch