Resolution der IHK Gießen-Friedberg

Das bedeutet, dass die Werte, die für die Höhe der Besteuerung maßgeblich sind, automatisch jährlich an die Inflation angepasst werden sollen. Das soll sowohl für den Grundfreibetrag und die Grenzwerte, ab denen die nächst höhere Stufe in der Steuerprogression erreicht wird, als auch die Freigrenzen, Freibeträge und Pauschalen gelten. Es darf keiner Einzelfallentscheidung des Gesetzgebers mehr bedürfen, ob und in welcher Höhe der Steuertarif an Kaufkraftverluste angepasst wird. Vielmehr soll der jeweilige Steuertarif nur noch jedes Jahr von der zuständigen Behörde entsprechend dem Lebenshaltungskostenindex neu berechnet und per Verordnung bekanntgegeben werden. Dadurch bleibt sichergestellt, dass das Verhältnis zwischen der Steuerbelastung und der Kaufkraft des Einkommens immer gleichbleibt. Die Kalte Progression wird verhindert.

Begründung

Der Einkommensteuertarif ist progressiv gestaltet. Je höher das Einkommen ist, desto höher ist der Prozentsatz der Einkommensteuer, die darauf zu entrichten ist. Der Tarif richtet sich aber allein nach den nominalen Beträgen. Die Geldentwertung findet keine Berücksichtigung. Das führt zur „Kalten Progression“. Die Steuerbelastung steigt mit dem Nominalbetrag des Einkommens, auch wenn die Kaufkraft des Einkommens gleichbleibt oder sogar sinkt. Die Kalte Progression macht den Steuerpflichtigen zum Verlierer, den Staat zum Gewinner der Inflation. Gerade die Steuerpflichtigen mit geringen Einkommen leiden unter diesem Effekt am stärksten. Das derzeitige System, nach dem der Gesetzgeber alle zwei Jahre über eine Anpassung des Steuertarifs an die Inflation entscheidet, ist unzureichend. Inflation ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern die Regel. Dazu passt es nicht, dass die Auswirkungen der Inflation nur alle zwei Jahre ermittelt werden und ein Ausgleich der Kalten Progression eines aktiven Eingreifens des Gesetzgebers bedarf. Die Kalte Progression ist eine heimliche Steuererhöhung. Sie wird aber nicht vom Parlament beschlossen, und kein Politiker muss sich dafür gegenüber seinen Wählern rechtfertigen. Allein durch Untätigkeit kommt es zu Mehreinnahmen des Staates zulasten der Steuerpflichtigen. Ein Ausgleich der Kalten Progression ist Spielball der Politik. Unternehmen und Bürger müssen sich aber darauf verlassen können, dass Veränderungen der Leistungsfähigkeit auch zu Veränderungen der Besteuerung führen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese Verlässlichkeit nach dem derzeitigen System nicht gegeben ist. Wiederholt hat der Gesetzgeber den Steuertarif unvollständig und zeitverzögert angepasst. Zudem wurden inflationsbedingte Korrekturen gegenüber den Wählern als Steuerentlastungen präsentiert, obwohl die reale Belastung nicht geringer wurde. Für die Unternehmen führt die Kalte Progression gegenwärtig zu einer besonderen Belastung. Aufgrund des Fachkräftemangels sind sie hohen Lohnforderungen ausgesetzt. Um wenigstens einen gleichbleibenden Reallohn zahlen zu können, müssten die Unternehmen die Löhne so weit erhöhen, dass sowohl die Inflation als auch die höhere Steuerbelastung aufgrund der Kalten Progression ausgeglichen werden. Zugleich sind die Unternehmen stetig steigenden Einkaufspreisen und Energiekosten ausgesetzt, während der Binnenkonsum aufgrund sinkender Kaufkraft zurückgeht. Viele Staaten der OECD haben Konsequenzen aus den schädlichen Wirkungen der Kalten Progression für die Wirtschaft gezogen und einen Einkommensteuertarif auf Rädern eingeführt. Dies gilt beispielsweise für die skandinavischen Staaten, Belgien, Großbritannien, die USA und Kanada. Zuletzt hat Österreich eine Indexierung des Steuertarifs ab dem Veranlagungsjahr 2023 eingeführt. In der Schweiz ist der regelmäßige Ausgleich der Kalten Progression sogar in der Verfassung verankert. Diesen Vorbildern sollte Deutschland folgen.

IHK-Initiative auf dem Weg nach Berlin

Als federführende IHK zum Thema Steuern für Hessen hatte die IHK Gießen-Friedberg im Kreis der hessischen IHKs den Vorschlag eingebracht, eine IHK-Initiative zur Einführung eines Einkommensteuertarifs auf Rädern zu starten. Der Vorschlag war im Juni 2023 von der Versammlung der Hauptgeschäftsführer und der Mitgliederversammlung des Hessischen Industrie- und Handelskammertages einstimmig befürwortet worden. Am 28. September 2023 hat die Vollversammlung der IHK Gießen-Friedberg als erste IHK eine entsprechende Resolution verabschiedet. Das Ziel ist es, mithilfe der DIHK rechtzeitig vor dem Bundestagswahlkampf 2025 eine entsprechende gemeinsame Forderung möglichst aller IHKs in den politischen Prozess einzubringen.


VON  ELKE DIETRICH

Stand: 06.12.2023