Bürokratie belastet heimische Unternehmen

„Mit Bürokratie habe ich leider reichlich Erfahrung gemacht“, erklärt Frank Sommerlad. „Und die Herausforderungen werden immer größer.“ Als Beispiel nennt der Geschäftsführende Gesellschafter der Möbelstadt Sommerlad als Erstes das „Bürokratiemonster“ Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). „Ohne unseren Verband im Hintergrund könnten wir dem nicht nachkommen.“ Zwei bis drei Mitarbeiter des Einkaufsverbandes würden sich ausschließlich mit dem Lieferkettengesetz auseinandersetzen. „Als das LkSG am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, waren Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern davon betroffen, seit Beginn dieses Jahres gilt das Gesetz für alle mit mehr als 1.000“, so der Unternehmer. Auch beim Thema Import erhalte die Möbelstadt Unterstützung vom Verband.
Eine Hürde nach der anderen
Mit Bürokratie muss Frank Sommerlad auch bei seinem Plan, Büroräume im Gießener Flutgraben in Studentenwohnungen umzubauen, kämpfen. „Die Idee wurde von allen Seiten positiv aufgenommen, doch als es dann an die Umsetzung der Nutzungsänderungen ging, kam eine Hürde nach der anderen.“ Bereits im Juli vergangenen Jahres habe er die Nutzungsänderung beantragt und noch immer sei keine Genehmigung erfolgt. Der Unternehmer wagt keine Prognose, wann es so weit sein wird. Aus Angst, die neue Nutzung als Wohnraum könne die Nutzung des Nachbarn verdrängen, müsse ein Gutachten nach dem anderen vorgelegt werden. Da sich nebenan ein Parkhaus befände und auch Einkaufsmärkte wie Rossmann in der Nähe lägen, befürchte man, dass die potenziellen Mieter sich nach dem Einzug beschweren könnten. Aus diesem Grund seien nacheinander ein Schallschutz-Gutachten sowie ein Rüttelgutachten erstellt worden. „Damit möchte man möglichen Klagen zuvorkommen“, erklärt Sommerlad. „Der rechtliche Gesamtüberblick in den Behörden fehlt“, bedauert der Unternehmer. Nötig sei ein bei der Stadt oder dem Regierungspräsidium angesiedelter Koordinator, bei dem alle Fäden zusammenliefen. „Dann hätte man alles auf einmal abarbeiten können und nicht scheibchenweise, wie in diesem Falle geschehen.“
Kein Volksfest ohne Absagen
Mit praxisfremden Vorschriften hat auch die in Altenstadt ansässige Schaustellerfamilie Roie zu kämpfen. „Es gibt so viele Auflagen, dass keine Spontanität mehr möglich ist“, bedauert Peter Roie. Schnell mal mit einem Fahrgeschäft für einen Kollegen einzuspringen sei mittlerweile ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Grund hierfür ist unter anderem das Verfahrensmanagement für Großraum- und Schwertransporte VEMAGS, wie seine Tochter Lena schildert. Auf bis zu acht Seiten gelte es hier, technische Fragen, wie beispielsweise nach der Belastung der Anzahl der einzelnen Fahrzeugachsen, zu beantworten. „Dabei ist doch die Gesamtlast entscheidend“, weiß sie. Der Antrag müsse vor jedem Transport online ausgefüllt werden. „Kommt man mal nicht weiter, hat man ein Problem, da seit 2021 kein Ansprechpartner mehr vor Ort ist.“ Bis zu zwei Stunden benötigt die Familie für einen Antrag. Bis dann eine Genehmigung erteilt werde, könnten Wochen vergehen. „Wenn man allerdings ohne fährt, kommt dies einem Fahren ohne Versicherungsschutz gleich“, unterstreicht Lena Roie und ihr Vater ergänzt: „Seit Mitte vergangenen Jahres gab es deutschlandweit kaum ein Volksfest ohne Absagen von Kollegen. Auch wir selbst konnten einige Veranstaltungen nicht wahrnehmen.“
Mehr Freiräume
Gerade für Kleinunternehmen müssen mehr Freiräume geschaffen werden“, fordert Peter Roie. Seine Frau Bettina nennt konkrete Beispiele: „Minijobber müssen angemeldet werden können, ohne dass ein vorheriges Probearbeiten möglich ist.“ Derzeit koste ein Verstoß gegen die bestehende Regel 700 Euro. Um einen Minijobber an- oder abzumelden, müsse ein etwa fünfseitiger Antrag mit Fragen, beispielsweise nach dem Anteil der Sozialabgaben, ausgefüllt werden. „Das sind Angaben, die der Agentur für Arbeit doch eigentlich vorliegen müssten“, erklärt sie. Der Schaustellerbetrieb arbeitet auch mit ausländischen Saisonkräften zusammen. Früher habe es gereicht, wenn der Steuerberater den Mitarbeiter bei der Krankenkasse abgemeldet habe, heute müsse dieser zum Beispiel eine Erklärung abgeben, dass er nach der Saison ausgereist und nicht mehr weiter versichert werden wolle, ansonsten laufe die Versicherung einfach weiter.
Geänderte Prozesse
„Ohne einen Steuerberater, der uns rund um die Uhr zur Verfügung steht, könnten wir nicht mehr arbeiten“, sind sich die Roies einig. Auch Prozesse hätten sich geändert. „Früher ist in der Regel ein Mitarbeiter des Landratsamtes zur Bauabnahme eines Fahrgeschäftes rausgefahren, heute muss man sich vielerorts einen Stempel auf dem Amt holen“, sagt Peter Roie. Nicht selten müsse man den Verantwortlichen erst noch ausfindig machen. Im Unterschied zu vielen Kollegen ist Peter Roie durch eine Zertifizierung beim TÜV Süd befähigt, diese Kontrolle selbst vorzunehmen. Auch die umfangreichen Konzepte zur Terrorabwehr machen den Schaustellern das Leben schwer. „Nicht selten bekommen die Veranstalter das nicht auf die Reihe“, bemängelt er. Zum Teil würden dann eigene Kollegen die Organisation übernehmen. Auch der Fachkräftemangel mache sich bei den Schaustellern erheblich bemerkbar. „Uns fehlen Fahrer, Gerüst- und Messebauer, Maler, Schreiner, Lackierer und Elektromonteure“, zählt er auf.
Betrieb generationsfähig machen
Die Folge einer zunehmenden Bürokratie ist, dass die Familie Roie ihren Betrieb nicht nur verkleinert, sondern auch umstrukturiert, beispielsweise mit einer neuen Berg-und-Tal-Bahn sowie einer neuen Drehbar. „Diese sogenannte Vinothek ist kompakter und lässt sich somit besser transportieren“, macht er deutlich. Im Hinblick auf die gestiegenen Energiekosten habe man den Entschluss gefasst, den Unternehmensschwerpunkt auf das Rhein-Main-Gebiet zu legen. „Unser Ziel ist es, den Betrieb generationsfähig zu machen“, unterstreicht Peter Roie

Zitate
„Die Herausforderungen werden immer größer.“ Frank Sommerlad, Geschäftsführender Gesellschafter Möbelstadt Sommerlad
„Es gibt so viele Auflagen, dass keine Spontanität mehr möglich ist.“ Peter Roie, Schausteller in sechster Generation

VON PETRA A. ZIELINSKI

Stand: 09.02.2024