Apotheken im freien Fall

Auf bundespolitischer Ebene hat sich leider nichts getan. Wir haben noch immer mit schlechten Rahmenbedingungen zu kämpfen.
So bedauert es Mira Sellheim, Inhaberin der Apotheke am Ludwigsplatz in Gießen. Die tägliche Arbeit werde wie gehabt durch Bürokratie, steigende Energie- und Lohnkosten sowie eine stagnierende Honorierung erschwert.
dunkelhaarige Frau mit Brille sitzt an Tisch: Mira Sellheim
Mira Sellheim bedauert, dass sich auch nach den Protesten der Apotheken nichts getan hat. © privat
Auch die Lieferengpässe bei Medikamenten seien nicht beseitigt. „Statt Fiebersaft für Kinder mangelt es uns nun unter anderem an Psychopharmaka, Antibiotika und Prostatamitteln. Insgesamt fehlen bei mir aktuell 250 Artikel, die offizielle Zahl liegt bei über 800 Präparaten“, bedauert sie. Mindestens sechs Stunden pro Woche benötigt die Apothekerin für das Management von Lieferengpässen. Hierzu gehöre in enger Absprache mit den jeweiligen Arztpraxen auch die Suche nach möglichst wirkungsgleichen Alternativprodukten. Ein angemessener Engpass-Ausgleich für personellen Mehraufwand werde noch immer nicht gezahlt, sagt Mira Sellheim. Auch der vom 1. Februar 2023 bis 31. Januar 2025 von 1,77 auf 2 Euro pro Päckchen erhöhte Kassenabschlag – auch „Treuerabatt“ genannt –, den Apotheken gesetzlichen Krankenkasse gewähren müssen, sei nicht rückgängig gemacht worden, bedauert sie.

Soziale Zentren

„Die Apotheken befinden sich im freien Fall“, unterstreicht Mira Sellheim. Auch in Gießen mussten bereits sieben Apotheken schließen. Besonders davon betroffen sei allerdings der ländliche Raum. „Im Schwalm-Eder-Kreis befinden sich auf 100 Quadratkilometern nur noch 2,5 Apotheken“, nennt sie ein erschreckendes Beispiel. Dabei seien Apotheken oftmals die ersten Anlaufstellen für kranke Menschen. Gerade auf dem Land stellten Apotheken „kleine soziale Zentren“ dar, in denen eine gute Beratung stattfinden würde. „Apotheken kaputtzusparen heißt, die flächendeckende, niedrigschwellige und wohnortnahe Arzneimittelverordnung kaputtzusparen“, kritisiert Mira Sellheim. Auch für die Angestellten – 90 Prozent von ihnen seien Frauen – bedeuteten die Schließungen einen schweren Schlag. Generell mangele es nicht nur an qualifiziertem Nachwuchs, auch immer mehr ausgebildete Fachkräfte würden in die Industrie abwandern, wo deutlich mehr gezahlt werden könnte, beobachtet die Apothekerin. Die bislang letzte, minimale Erhöhung des Apothekenhonorars war 2013 und liegt inzwischen elf Jahre zurück. Eine Zeitspanne, in der nicht nur die Inflation, sondern auch die Kosten für Personal, Energie und den Wareneinsatz deutlich gestiegen sind.

Funktionierendes System zerstört

Das Kaputtsparen des Systems habe bereits vor 20 Jahren begonnen, als Karl Lauterbach Staatssekretär im Ministerium von Ulla Schmidt gewesen sei, erinnert sich Mira Sellheim. Damals sei der Grundstein für die Arzneimittel-Rabattverträge zwischen Herstellern und den gesetzlichen Krankenkassen gelegt worden, der letztendlich zu einer Monopolisierung geführt habe. „Lauterbach hat ein super gutfunktionierendes System allmählich zerstört“, erklärt die Apothekerin. Hoffnung setzt Mira Sellheim hingegen auf den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein. „Eine wohnortnahe Versorgung durch Apotheken ist im hessischen Koalitionsvertrag verankert“, weiß sie. Nachdem ein im Dezember von der Bundesregierung veröffentlichtes Eckpunkte-Papier „nicht viel Sinn“ ergeben habe, würden die Apotheker nun mit Spannung auf einen Referentenentwurf hoffen, der in ein Gesetz münden soll. „Wir alle warten auf ein Signal, dass die Politik unseren Berufsstand nicht ganz zerstören will“, betont Mira Sellheim.
VON PETRA A. ZIELINSKI

Forderungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)

  1. Erhöhung des Fixums in der Arzneimittelpreisverordnung
  2. Regelung zur indexierten Erhöhung des Fixums
  3. Einführung einer zusätzlichen regelmäßigen Pauschale für jede Betriebsstätte
  4. Handlungsfreiheit für Apotheken für die schnelle Patientenversorgung
  5. Reduzierung von Retaxationsverfahren auf das sachlich gebotene Maß
  6. Angemessener Engpass-Ausgleich
  7. Beseitigung der finanziellen Risiken aus dem Inkasso des Herstellerrabatts für die Krankenkassen
  8. Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Arzt-Apotheker-Kooperation beim Medikationsmanagement
  9. Einschränkung des Präqualifizierungsverfahrens
  10. Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau
Stand: 04.04.2024