Resolution der IHK: Stromversorgung sicherstellen

Die Versorgung mit Strom ist die Grundlage jeder wirtschaftlichen Tätigkeit. Ohne Strom sind immer Geschäftsprozesse unterbrochen, und es kommt zu wirtschaftlichen Einbußen, im Extremfall zu einer Aufgabe der Geschäftstätigkeit. Für die Vollversammlung der IHK Gießen-Friedberg ist deshalb die Verlässlichkeit der Stromversorgung oberstes Gebot.
Die Transformation der Energieversorgung von den fossilen Energieträgern zu einer CO2 freien Stromerzeugung erfordert eine große Umstellung für das Energiesystem. Viele Länder setzen dabei verstärkt auf Erneuerbare Energien (EE), allerdings dabei sehr oft auf Wasserkraft und Biomasse. Diese beiden Ressourcen sind in Deutschland nur sehr wenig nutzbar, weshalb sich die Bundesregierung bei der Energiewende im Schwerpunkt auf stark schwankende Erzeugung aus Wind und Photovoltaik fokussiert. Während Deutschland bei der Gasversorgung über Speicher verfügt, die eine Versorgung über mehrere Monate ermöglicht, reichen die Speicher im Stromsystem nur für wenige Minuten. Somit muss bei der Stromversorgung in jeder Minute die Leistung in Kraftwerken und EE-Anlagen erzeugt werden, die die Abnehmer genau in dieser Minute benötigen. Durch die volatile Verfügbarkeit des Stroms aus Wind und Sonne muss eine Absicherung der Stromversorgung über Energieerzeugereinheiten mit hoher gesicherter Leistung erfolgen, die immer dann liefern können, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Solche Phase treten besonders häufig an kalten Wintertagen auf, wenn Haushalte und Industrie einen hohen Strombedarf haben, Photovoltaik nachts immer ausfällt und tags auf Grund des tiefen Sonnenstandes kaum liefern kann und es oft mehrtägige Flauten in Mitteleuropa gibt. Natürlich kann an solchen Tagen der „kalten Dunkel-Flaute“, an denen sich Deutschland bereits heute im Rahmen des laufenden gleichzeitigen Ausstieges aus Kohle und Kernenergie nicht mehr zu jedem Zeitpunkt aus eigener Kraft selbst mit Strom versorgen kann, auch Strom aus dem europäischen Ausland gekauft werden.
Die Transformation der Energieversorgung findet europaweit statt. Da es sich um eine zusammenhängende Klimazone handelt, können die klimatischen Bedingungen ähnlich sein. Diverse Studien haben gezeigt, dass an Tagen mit minimaler Stromeinspeisung aus Sonne und Wind in Deutschland auch keine Überschüsse aus diesen Quellen in anderen Ländern auf dem Markt verfügbar sind. Sollte in Phasen der kalten Dunkelflaute Deutschland nicht mehr in der Lage sein, sich selbst aus eigenen Erzeugungsanlagen sicher mit Strom zu versorgen, ist somit nur noch ein Zukauf aus Kernkraftwerken oder Kohlekraftwerken anderer Länder möglich und damit genau aus den Quellen, aus denen man in Deutschland möglichst schnell aussteigen will. Gerade der Zukauf von Kohlestrom aus meist sehr alten Kraftwerken in Osteuropa führt zwar zur Entlastung der deutschen Ökobilanz, da die Emission in den Ländern gezählt werden, in denen die Kraftwerke stehen. Für die Reduktion der europäischen CO2 Emission bzw. das globale Klima ist ein solches Vorgehen höchst kontraproduktiv. Weiterhin sind die europäischen Stromnetze immer unter dem Blick der jeweils nationalen Versorgungsstruktur geplant und gebaut worden, und die grenzüberscheitenden Leitungen waren für Notfälle konzipiert worden. Im Falle eines grenznahen Ausfalles eines großen Kraftwerkes soll es dem jeweiligen Nachbarn möglich sein, bei der Bekämpfung dieser Versorgungsstörung mit einer gewissen Leistung helfen zu können. Und natürlich ist es richtig und sinnvoll, dass im Rahmen dieser Grenzkuppelleistung auch Energiehandel betrieben werden kann und soll. Allerdings reichen diese Transportkapazitäten bei weitem nicht aus, große Industrienationen zu wesentlichen Teilen aus dem Ausland zu versorgen. Somit gilt nach wie vor der Grundsatz, dass sich jedes europäischen Land zum überwiegenden Anteil und zu jedem Zeitpunkt selbst versorgen können muss. Die Argumentation der Bundesregierung, dass unsere Nachbarn ihre nationalen Netze und die Grenzkuppelleitungen im Rahmen des „europäischen Gedankens“ im Sinne der Mitversorgung stark ausbauen sollen, stößt dort auf wenig Gegenliebe. Deshalb muss immer in Betracht gezogen werden, dass ein Stromimport nur eingeschränkt möglich ist.
Der Preisentwicklung auf dem Strommarkt betrifft die gesamte Wirtschaft und erzeugt einen enormen Kostendruck. Wenn Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen, drohen Sie ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Durch die Steigerung der Verfügbarkeit von Strom kann eine Preissenkung erreicht werden.

Abgeleitete Forderungen:

1) Stromerzeugung für den Spitzenverbrauch sicherstellen

Im Gassektor hat Deutschland einen Jahresverbrauch von 900.000 GWh bei einer Speicherkapazität von 250.000 GWh. Im Stromsektor liegt der Verbrauch bei 550.000 GWh bei einer Speicherkapazität von 40 GWh. Bei einem Total-Ausfall der Stromerzeugung könnte Deutschland nur im zweistelligen Minutenbereich mit Strom versorgt werden. Aufgrund der Volatilität der Leistung der EE ist bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kohle- und Kernenergie ist ein Absinken der gesicherten Leistung in Deutschland vorhersehbar. Unter den Randbedingungen aktuell gültiger Ausstiegsszenarien für Kernkraft und Kohleverstromung würden Ende 2022 etwa 15 GW, Ende 2030 etwa 30 GW und Ende 2038 etwa 45 GW gesicherte Leistung in Deutschland fehlen – das Ganze bei einem minimalen Strombedarf von 40 GW und einer Spitzenlast von ca. 85 GW in Deutschland. Die gesicherte Leistung erneuerbarer Erzeugereinheiten aus Photovoltaik und Wind liegt bei 0 und 1%. Nur die Biomasse hat 65% gesicherte Leistung, Laufwasser 25%. Im Vergleich dazu haben AKWs 93%, Braunkohle 92%, Steinkohle, Erdgas und Erdöl 86% gesicherte Leistung. Diese Angaben gelten natürlich für Kraftwerke in einem guten Wartungszustand und mit ausreichend Bevorratung an Primärenergie im oder vor dem Kraftwerk (Brennstäbe, Kohlelager, Gasspeicher). Somit haben die letzten verbliebenen 3 Kernkraftwerke aufgrund der stark abgebrannten Kernbrennstäbe im kommenden Winter sicherlich keine gesicherte Leitung von 93% der installierten Leistung. Auch die Leistungsverfügbarkeit der 12 für diesen Winter wieder reaktivierten Kohlekraftwerke, die teilweise bis zu 4 Jahren außer Betrieb waren, ist völlig offen. Fallen bei Flaute und Dunkelheit die Mehrzahl der EEs weg, muss die Stromversorgung trotzdem gesichert bleiben. Als Übergangslösung, wenn auch nur noch mit einem Stromerzeugungsanteil von 6 %, ist ein Weiterbetrieb der drei noch laufenden AKWs über das Frühjahr 2023 sicherzustellen, zumal dies die Netzstabilität in den süddeutschen Bundesländern sichern hilft.

2) Stromerzeugung an den steigenden Energiebedarf anpassen

Durch Energieeffizienzmaßnahmen wird es im Sektor Strom voraussichtlich zu Einsparungen kommen. Zukünftig ist aber mit massiven Steigerungen des Strombedarfs durch Verlagerung der Energiequellen im Bereich Wärme und Verkehr und der fortschreitenden Digitalisierung zu rechnen. Aufgrund der Gaskrise und den damit einhergehenden Preisen für fossile Energieträger wird künftig für die Wärmeerzeugung auf Wärmepumpen gesetzt werden. Weiterhin wird es eine Zunahme der Erzeugung von grünem Wasserstoff mit Elektrolyseuren geben. Damit steigert sich die Stromnachfrage. Ähnlich sieht es mit dem Verkehrssektor aus. Der zunehmende Einsatz von Elektrofahrzeugen trägt ebenfalls zu einem gesteigerten Strombedarf bei.

3) Ausbau der Erneuerbaren Energien durch Regulationsabbau beschleunigen

Immer wieder wird der geplante Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen durch langwierige Verfahren verzögert. Für die gesteigerte Stromversorgung durch EE ist eine stärkere Priorisierung und konsequente Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren nötig.

4) Ausbau des Übertragungsnetzes steigern

Um den steigenden Strombedarf mit der Integration weiterer EEs und zukünftig Elektrofahrzeugen zu gewährleisten, ist ein gewaltiger Ausbau des Übertragungsnetzes (bis zu 40% bis 2035) erforderlich, genauso, wie ein massiver Ausbau der Verteilnetze. Auch dafür müssen Genehmigungsverfahren dringend beschleunigt werden.

5) Mit Technologieoffenheit und Diversität der Stromerzeugung in der Zukunft Flexibilität erhalten

Die Sicherheit der Stromversorgung muss Priorität haben. Deshalb sollten alle Optionen geprüft werden. Die Notwendigkeit der CO2-Einsparung sollte zukünftig auch Überlegungen zur Installation von AKWs der vierten Generation erlauben. Auch die Kohleverstromung heimischer Ressourcen oder erdgasgefeuerter Gaskraftwerke mit nachgeschalteter CO2 Abscheidung muss möglich sein, um so über die Methanisierung von grünem Wasserstoff bzw. der Herstellung von eFuels für den Verkehrssektor in einem Kohlenstoffkreislauf zu kommen, bevor in vielen Jahrzehnten vielleicht ein Wasserstoffkreislauf in einer Größenordnung installiert worden ist, der die deutsche Volkswirtschaft dann mit Energie aus importiertem oder heimischen Wasserstoff über eine dann aufgebaute Pipeline- und Speicherstruktur und Wasserstoff-Gasturbinen, Wasserstoff-Motoren oder Brennstoffzellen sicher versorgen kann. Keine andere Technologie garantiert zurzeit die klimaneutrale Sicherstellung von elektrischer Leistung bei ungünstigen Wetterbedingungen. Gerade die aktuelle Krise zeigt, wie wichtig eine Unabhängigkeit der Energieversorgung ist. Der Zukauf von Strom aus AKWs aus den europäischen Nachbarstaaten bedeutet weiterhin Abhängigkeit und vermutlich steigende Strompreise.

6) Anreize für einen schnell wachsenden Wasserstoffmarkt setzen

Regelbare Gaskraftwerke, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden, stellen eine weitere Möglichkeit dar, in der Zukunft CO2-neutral eine gesicherte Leistung zu erhalten. Doch auch der Aufbau einer (grünen) Wasserstoffwirtschaft wird mehrere Jahrzehnte brauchen, bis die für eine Industrienation erforderlichen Größenordnung erreicht sein wird. Um den Aufbau zu beschleunigen müssen schnell funktionelle Strukturen und Regularien gefunden werden. Ein Anreiz sollte durch eine Absicherung der Investitionen in regelbare Gaskraftwerke, die mit grünem Wasserstoff betrieben gesetzt werden. Wichtig sind außerdem der Erhalt und die Anpassung der Gasnetze, um trotz einer dezentralen Produktion eine leichte Verteilung des Wasserstoffs zu erhalten.

7) Rahmenbedingungen für eine Integration flexibler Speicher schaffen

Nach Abschalten der großen Erzeuger von gesicherter Leistung muss zukünftig auf ein flexibles Netz sehr kleiner Speicher zurückgegriffen werden. Möglichkeiten bieten die Batterien der Elektrofahrzeuge, aber auch kleinere stationäre Speicher. Um ein bidirektionales Laden zu ermöglichen, ist es wichtig, die Netze entsprechend vorzubereiten und auszugestalten. Zusätzlich muss der Betrieb von Verbrauchern in Zeiten mit einem hohen Angebot an Strom mit finanziellen Anreizen gelenkt werden.
Resolution verabschiedet durch die Vollversammlung der IHK Gießen-Friedberg am 29. November 2022

Stand: 20.09.2023