Qualität hat ihren Preis: zu Gunsten der Beibehaltung der Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen

Die IHK Gießen-Friedberg hat in ihrer Vollversammlung vom 19. September 2017 folgende Position zur Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen beschlossen.
Die Industrie- und Handelskammer Gießen-Friedberg wendet sich gegen die Bestrebungen der EU-Kommission, die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze nach der deutschen Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) abzuschaffen. Als Folge einer Abschaffung der HOAI befürchtet die Industrie- und Handelskammer einen schrankenlosen Preiswettbewerb.
Die Leistungen von Architekten und Ingenieuren weisen ihrer Natur nach Besonderheiten auf, die es erforderlich machen, die Bevölkerung von einem schrankenlosen Preiswettbewerb im Bereich der Architekten- und Ingenieurleistungen zu schützen.
  1. Architekten und Ingenieure schaffen maßgeschneiderte Lösungen als Prototypen. Ihre Leistungen sind durch Unwägbarkeiten geprägt. Viele Faktoren, die für die Vertragsausführung maßgeblich sind, treten erst nach Vertragsabschluss zutage oder ändern sich im Laufe der Vertragsausführung. Ein streng am Preis orientierter Vertrag setzt dagegen die Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs voraus. Ein schrankenloser Preiskampf fördert die Bereitschaft, Risiken und Unwägbarkeiten bei der Preisbildung auszublenden und die Korrektur fehlerhafter Preisbildung in einen Haftungsprozess wegen Baumängeln zu verlagern.
  2. Der Markt für Architekten und Ingenieure zeichnet sich durch einen besonderen Wissensvorsprung des Leistungsanbieters gegenüber dem Leistungsempfänger aus. Insbesondere Verbraucher verfügen als Bauherren nicht über die notwendige Expertise, um die Relation zwischen Preis und Leistung verschiedener Anbieter zu vergleichen. Zugleich sind sie besonders schutzwürdig, weil sie sich mit dem Bauvorhaben oft an den Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bewegen. Die HOAI bietet dem Bauherrn ein Höchstmaß an Transparenz, indem darin definiert wird, welche Leistungen er für das vereinbarte Honorar üblicherweise erwarten darf.
  3. Leistungen der Bauplanung betreffen nicht nur den Bauherrn und den Architekten bzw. Ingenieur, sondern haben Auswirkungen auf die Allgemeinheit. Durch die Bauplanung wird die Umwelt gestaltet und den Städten und Orten ein Gesicht gegeben. Die Leistungen der Architekten und Ingenieure sind Ausdruck einer lokalen Baukultur. Um sie zu fördern und zu erhalten, bedarf es eines ausgewogenen Spektrums von Leistungsanbietern. Die HOAI verhindert einen ruinösen Wettbewerb und erhält dadurch die kulturelle Vielfalt des Erscheinungsbildes unserer Städte und Dörfer über Generationen hinaus.
  4. Ein schrankenloser Preiskampf führt zu Qualitätseinbußen. Ein zu knapp kalkulierter Preis bedingt notwendig, dass der Planer den Aufwand für die Planung verringert, wenn er nicht seine Existenz gefährden will. Der private Bauherr ist in der Regel nicht in der Lage, die Qualität von Planungsleistungen vor Fertigstellung des Objekts zu erkennen und sich vor schlechter Qualität zu schützen. Hier helfen die Berufsstandards der freien Berufe sowie Mindesthonorare, einen Qualitätsverfall und den Eintritt möglicher Risiken zu verhindern. Der Architekt verbürgt sich als Treuhänder des Bauherrn zu Loyalität. Darüber hinaus gewährleistet er ein Mindestmaß an Qualität und sichert den Projekterfolg.
Das Plädoyer zugunsten der Beibehaltung der HOAI dient insbesondere den mittelständischen Architekten- und Ingenieurbüros und folgt dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb findet im Rahmen von Spielregeln statt, die für einen fairen Interessenausgleich zwischen Bauherrn und Planer sorgen. Durch die Festlegung verbindlicher Mindest- und Höchstsätze schützt die HOAI Bauherren und Verbraucher vor Übervorteilung, sichert die Qualität der planerischen Leistungen und trägt maßgeblich zur Erhaltung regionaler Baukultur bei.
Stand: 20.09.2023