Erhebliche Nachteile für deutsche Apotheken
Gießen, den 8. Dezember 2016
Die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer begrüßt grundsätzlich den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU bei Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen und respektvoller Beachtung der jeweiligen Systeme der sozialen Sicherung und der Gesundheitsvorsorge in den EU-Mitgliedsstaaten.
Mit Skepsis und Sorge betrachtet die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.10.2016 (C-148/15), mit welchem die deutschen Vorschriften zur Gewährleistung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, für ausländische Versandapotheken aufgehoben werden. Mit dieser Entscheidung hat sich der EuGH nicht nur von vielen, von ihm bislang vertretenen Grundsätzen verabschiedet, sondern er hat gezeigt, dass seine Rechtsprechung, gerade für das Gesundheitswesen der Mitgliedsstaaten, unkalkulierbar geworden ist. Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, in diesem Falle die Apotheken, sind damit ungleichen Wettbewerbsbedingungen ausgesetzt.
Die Vollversammlung der IHK befürchtet, dass durch die Aufhebung der geltenden Preisvorschriften für ausländische Versandapotheken, erhebliche Nachteile für die bestehenden Apotheken und die beschäftigten Mitarbeiter in diesen Betrieben bestehen. Die Apotheken sind als Klein- und Mittelbetriebe integraler Bestandteil der Gesundheits- und Arzneimittelversorgung. In einem dichten Netz von Apotheken mit ca. zwölftausend Mitarbeitern in Hessen, stellen sie vielerorts die lokalen und regionalen Versorgungsstrukturen sicher. Vor allen Dingen im Bereich außerhalb der Ballungsräume sind die Apotheken als Handelsbetriebe ein wesentlicher Bestandteil der klein- und mittelständischen Wirtschaft in der Region. Als solche übernehmen die Apotheken nicht nur die Funktion der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung an sich, sondern sie sind als soziale Komponente der Versorgungswirtschaft ein wichtiger Faktor für ein funktionierendes Gemeinwesen. Im Gegensatz zu ausländischen Versandapotheken nehmen die vor Ort-Betriebe zahlreiche Dienstleistungen wahr, wie z. B. die individuelle Herstellung von Rezepturarzneimitteln, den 24-Stunden-Notdienst, die Unterhaltung von Rezeptsammelstellen und Hol- und Bringdiensten auf dem Lande sowie die individuelle, persönliche Beratung.
Mit der Aufhebung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus ausländischen Versandapotheken greift der EuGH zum Nachteil des bestehenden Versorgungssystems und der darin beheimateten Betriebe drastisch in das Wirtschaftsgeschehen ein. Damit einhergehend wird eine Schwächung der regionalen Wirtschaftsstruktur bis hin zum Verlust von qualifizierten Arbeitsplätzen befürchtet.
Die Vollversammlung der IHK schließt sich daher der Forderung nach einem Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel an, wie es im Übrigen auch in der überwiegenden Zahl aller EU-Mitgliedsstaaten besteht.
Stand: 20.09.2023