Wirtschaft übernimmt Verantwortung für nachhaltige Lieferketten

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten wurde vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 22. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Ab 2023 wird das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft treten.
Davon betroffen werden Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern sein, ab 2024 sogar schon mit mehr als 1.000 Mitarbeitern.
Auf europäischer Ebene gibt es Bestrebungen regulierend, mittels einer EU-Lieferkettenrichtlinie, in internationale Lieferketten einzugreifen.

Positionspapier der IHK Gießen-Friedberg

a. Die regionale Wirtschaft steht zu der Verantwortung, die Achtung der Menschenrechte in ihren Geschäftsaktivitäten sicherzustellen. Ein Wirken in die Wertschöpfungskette hinein ist das Ziel.
b. Die Gesetzesinitiativen auf Bundes- und EU-Ebene stellen ein starkes Misstrauen gegenüber den heimischen Unternehmen dar. Staatliche Verantwortung wird auf die regionale Wirtschaft in einem ungleichen Maße verteilt.

c. Die regionale Wirtschaft sorgt bereits mit ihren Investitionen im Ausland für höhere Standards.

d. Konstruktiven und praktikablen Lösungsansätzen für eine EU-Lieferkettenrichtlinie steht die regionale Wirtschaft offen gegenüber.

e. Ein deutsches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und eine EU-Lieferkettenrichtlinie, welche der heimischen Wirtschaft misstrauen,    unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden und Nachteile im internationalen Wettbewerb erzeugen, sind kritisch zusehen.

f. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die kommende EU-Lieferkettenrichtlinie müssen die Komplexität von Lieferketten und die Einflussmöglichkeit einzelner Unternehmen innerhalb der Lieferketten anerkennen und Bürokratie vermindern.
g. Auf politischer Ebene wird regelmäßig das Ziel der Entbürokratisierung postuliert. Das aktuelle Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die Vorschläge für eine EU-Lieferkettenrichtlinie tragen dazu bei, dass die Politik zunehmend unglaubwürdiger für die Wirtschaft wird. Aus Sicht unserer regionalen Wirtschaft sind die folgenden Punkte von Relevanz. Im politischen Entscheidungsprozess sollten diese stärker als bislang eine Berücksichtigung finden.

1) Wirtschaft in Verantwortung für das, was kontrollierbar ist
Eine Verantwortung in der Lieferkette kann nur übernommen werden, wenn Einfluss und Kontrolle ausgeübt werden kann. Für das eigene Unternehmen kann eine Garantie gegeben werden, um dem deutschen Lieferkettensorg-faltspflichtengesetz und der kommenden EU-Lieferkettenrichtlinie nachzukommen. In direkten Zuliefervertragsverhältnissen können entsprechende Bestim- mungen getroffen werden. Der deutsche Gesetzgeber definiert eine Erwar- tungshaltung an die Unternehmen auch auf weitere Glieder in der Lieferkette einzuwirken, ohne konkret zu nennen, was Unternehmen tatsächlich leis- ten sollen, um dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden.
2) Belastung für kleine und mittelständische Betriebe (KMUs) minimieren
Entgegen den Zusicherungen auf Bundesebene, dass KMUs von dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nicht betroffen sein werden, fin- den sich Regelungen, die eine Betroffenheit des Mittelstandes zur Folge haben. Hauptgrund hierfür ist, dass die Lieferkette umfassend definiert wurde. So existiert keine Abgrenzung zu mittelbaren Zulieferern. Unklar bleibt in welcher Breite Produktionsprozesse von Gütern und Dienstleistungen betroffen sind. Sollen alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, einfließen? Was ist mit produktionsfremden Leistungen wie Finanzierung, Transport oder Lage- rung? Bei dieser interpretationsoffenen Regulierung werden größere Unter- nehmen den Rechenschaftsdruck in der Lieferkette an die KMUs weitergeben. Die Regelungen sollten eine Überprüfung ausschließen, wenn der Anteil eines bestimmten Rohstoffes am Endprodukt marginal wäre. Weiterhin sollte auf die Nachweisführung verzichtet werden, wenn diese einen unverhältnismäßig ho- hen Arbeitsaufwand bedeuten würde.
3) Keine unpräzisen Regeln
Der Grundsatz Genauigkeit vor Schnelligkeit muss gelten. Die unpräzisen For- mulierungen im bundesdeutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz lösen bei den Unternehmen Fragen und Unsicherheit aus. Es werden unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt. Hierzu zählen Begrifflichkeiten wie „substantiierte Geltendmachung“ und „substantiierte Kenntnis“, deren Definition sehr vage und nicht konkret sind. Unternehmen für das Handeln von Zulieferern ab der zweiten Stufe verantwortlich zu machen, mit denen sie in keinem Vertragsverhältnis stehen, ginge zu weit. In Bereichen fern der unmittelbaren Kontrolle auf Zulieferer sollten tragfähige Lösungen im Sinne von Praxislösungen zusammen mit der Wirtschaft erarbeitet werden.
4) Handlungsrahmen festlegen
Wenn der Gesetzgeber wünscht, dass aufgrund der politischen Situation, regi- onalen Gegebenheiten oder Umweltschutzüberlegungen kein Handel mit bestimmten Ländern oder Produkten erfolgen soll, muss dieser selbst dies er- mitteln. Mit den betroffenen Staaten können Abkommen über die Voraussetzungen und Nachweise für einen Export nach Deutschland / EU vereinbart werden. Eine europäische Lösung ist erstrebenswert. Ein Handlungsrahmen für Unternehmen mit dem Ausweis von Risikoregionen und Produkten durch den Gesetzgeber verhindert unnötige Bürokratie.
5) Wettbewerbsfähigkeit im Blick behalten
Der Im- und Export ist momentan stark geprägt von Lieferkettenproblemen durch die Corona-Pandemie. Zunehmende Handelshemmnisse mit zusätzlichen Zertifizierungsanforderungen erschweren den internationalen Handel. Das bundesdeutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verursacht unmittelbar bei betroffenen Unternehmen hohe Kosten, die gegenüber der internatio-nalen Konkurrenz zu weiteren Wettbewerbsnachteilen führen.
6) Forderungen der regionalen Wirtschaft

a. Die regionale Wirtschaft im Bezirk der IHK Gießen-Friedberg plädiert für längere Übergangsfristen beim bundesdeutschen Lieferkettensorgfalts- pflichtengesetz (Gültigkeit des Gesetzes erst ab 2024) sowie höhere Mitarbeiterzahlen (von 3.000 auf 5.000 / ab 2024 und von 1.000 auf 3.000 / ab 2025). Unterhalb der Grenze von 3.000 Mitarbeitern ab 2025 sollte das bundesdeut-sche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz keine unmittelbare Betroffenheit auslösen.

b. Die kommende EU-Lieferkettenrichtlinie muss die Punkte Verantwortung und Kontrolle, Vermeidung von Belastungen, präzise Regeln, Handlungsrahmen und Wettbewerbsfähigkeit aufgreifen.

c. Ein bürokratischer Mehraufwand für die betroffenen Unternehmen muss verhindert werden. Die beabsichtigten niedrigen Schwellenwerte bei der Unternehmensgröße sind nicht praktikabel und würden den Mittelstand belasten. Sollte der EU-Gesetzgeber eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen fest- legen, so müssen die EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Haftungsri- siko nicht unverhältnismäßig ausfällt.

12. April 2022
Stand: 03.08.2022