Mit Zusatzwissen aus der Krise

Die Auftrags- und Verbundausbildung eröffnet Azubis neue Bereiche
Die duale Ausbildung lebt von ihren praktischen Lerninhalten. Doch in Zeiten der Pandemie lassen sich diese in manchen Ausbildungsberufen kaum vermitteln: Für wen kochen, wenn das Restaurant geschlossen? Für wen Urlaub planen, wenn Reisen nicht möglich? Eine Lösung ist die sogenannte Auftrags- und Verbundausbildung. Ein Beispiel aus einem Reisebüro.
Louisa Höll arbeitet in ihrem Traumberuf. Die 21-Jährige macht eine Ausbildung zur Tourismuskauffrau für Privat- und Geschäftsreisen. „Vor beinahe drei Jahren stand sie plötzlich in meiner Tür und fragte nach einem Ausbildungsplatz“, erinnert sich Dirk Dufner. Er ist das Herz von Cooltour Reiseservice in Sasbachwalden, ein kleines familiengeführtes Reisebüro mit Schwerpunkt Event- und Flugreisen für überregionale Kunden. „Ich mache das immer so“, sagt Höll schulterzuckend zu dieser eher ungewöhnlichen Art der Bewerbung. „Eine Anfrage per Mail ist einfach zu schnell weggeklickt.“ Dufner imponierten Einstellung und Courage von Louisa und so begann sie ein sechsmonatiges Praktikum bei Cooltour Reiseservice, das zum September 2019 in ihre Ausbildung mündete.
Aus heutiger Sicht war das Praktikum das Beste, was Höll passieren konnte. „In dieser Zeit habe ich den normalen Betrieb im Reisebüro erlebt“, berichtet sie. Denn kein halbes Jahr nach Ausbildungsbeginn kam die Pandemie und mit ihr Reiseeinschränkungen, Stornierungen, Erstattungen. Dufner: „Unser Geschäft ging auf null runter.“ Seit 1998 gibt es das Reisebüro, das Geschäft lief immer gut, rote Zahlen gab es nie. Nun hatte sich der Umsatz schon innerhalb der ersten drei Monate der Krise um eine Million Euro reduziert.
Und auch für Louisa änderte sich alles. Ab November 2020 war sie in Kurzarbeit. Das konnte und sollte jedoch keine Dauerlösung sein, sonst hätte die junge Frau mangels praktischer Erfahrungen im Betrieb das Ausbildungsziel verfehlt. „Aber hier im Reisebüro war ja nichts zu tun, wir waren nur mit Rückabwicklungen beschäftigt“, erzählt Dufner. Christiane Möller aus dem Bereich Aus- und Weiterbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein machte ihn dann auf die Auftrags- und Verbundausbildung aufmerksam. „Ein Bundesprogramm in Zeiten von Corona, um Ausbildungsplätze zu sichern“, erklärt Möller. „Dabei wechselt der oder die Auszubildende in einen anderen Betrieb, der ihn oder sie vorübergehend, mindestens vier, maximal 18 Wochen, ausbildet – finanzielle Förderung durch das Bundesprogramm inklusiv.“ Dufner gefiel die Idee und begab sich auf die Suche nach einem geeigneten Partner. Fündig wurde er schließlich in der Tourist-Info Sasbachwalden.
Ganz begeistert war Höll von der Idee zunächst nicht. „Ich habe mich erst gefragt, was ich da soll.“ Heute, vier Monate später und zurück im Reisebüro, klingt das ganz anders. „Ich habe Erfahrungen gesammelt, die ich bei Cooltour Reiseservice nicht gemacht hätte, habe mich beispielsweise um die Campingstellplätze hier im Ort gekümmert und die Homepage gepflegt.“ Auch Dufner erkennt einen Gewinn aus der Zeit – für Louisa sowie für sich selbst: „Ich merke eine deutliche Persönlichkeitsentwicklung bei ihr. Die Kundengespräche in der Tourist-Info waren eine sehr gute Weiterbildung.“ Das sieht die Auszubildende genauso: „Auf die mündliche Prüfung fühle ich mich schon jetzt gut vorbereitet.“ Christiane Möller hört die Aussagen mit Begeisterung. „Solche Möglichkeiten sollten Betriebe und Auszubildende viel öfter nutzen, nicht nur in der Krise – zumal diese in Baden-Württemberg auch unabhängig von Corona gefördert werden.“
Im kommenden Sommer steht nun die Abschlussprüfung für Louisa an. Während sie Zusatzwissen außerhalb des Reisebüros sammelte, ist ihre Berufsschulklasse in Ettlingen geschrumpft – 15 statt 30 angehende Tourismuskaufmänner und -frauen sind noch da. Für Louisa Höll hingegen sind die Weichen für die Zukunft bereits gestellt: Dufner wird sie nach der Ausbildung übernehmen. Für ihn steht fest: „Wer diese zwei Krisenjahre geschafft hat, der soll bleiben!“
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