29.01.2025
Kürzlich habe ich von der sogenannten „Bettkantenentscheidung“ gehört. Diese beschreibt den Moment, in dem Beschäftigte mit leichten Krankheitssymptomen abwägen, ob sie trotz Arbeitsfähigkeit eine Krankmeldung einreichen. Laut einer Studie „Arbeiten 2023“ der Pronova BKK entscheiden sechs von zehn Beschäftigten in Deutschland zugunsten einer Krankmeldung, obwohl sie arbeitsfähig wären. 2022 lag die Zahl der Krankschreibungen in Deutschland bei 24,9 Fehltagen. Im EU-Durchschnitt waren es nur acht Krankheitstage. Kein Wunder – Deutschland ist das einzige Land, in dem die Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % über sechs Wochen vom Arbeitgeber getragen wird. Die Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung haben sich von 2010 bis 2023 nahezu verdoppelt, auf insgesamt 76,7 Mrd. Euro.
IHK-Präsident Dieter Bauhaus: Wohlstand braucht Leistungsbereitschaft
Ein Meinungsbeitrag von Dieter Bauhaus, Präsident der Industrie- und Handelskammer Erfurt
In einer Welt, die immer stärker von Globalisierung und technologischen Veränderungen geprägt ist, entscheidet nicht nur die Innovationskraft von Unternehmen, sondern auch die gesellschaftliche Bereitschaft, sich anzustrengen und Verantwortung zu übernehmen, über den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes. Ohne diese Grundhaltung wird Deutschland im globalen Wettbewerb langfristig an Boden verlieren.
Dieter Bauhaus, Präsident der IHK Erfurt
© Michael Reichel / arifoto.de
Auch der steigende Anteil von Teilzeit treibt mich um. Im Jahr 2023 arbeiteten 31 Prozent der Angestellten hierzulande in Teilzeit. Im Jahr 2010 waren das noch 27 Prozent. Und Teilzeit geht schon lange nicht mehr nur mit Kinderbetreuung oder Pflege einher, sondern dient der inzwischen weit etablierten work-life-Balance. Solange trotz Teilzeit mehrere Auslandsurlaube pro Jahr möglich sind, vielleicht dazu noch eine Kur, scheint ja alles in Ordnung zu sein. Man möge mir den Sarkasmus verzeihen, aber der Wandel in unserer Gesellschaft erscheint mir drastisch.
Und auch wenn selbstverständlich der Schutz werdender Mütter unantastbar bleiben muss, sollten wir gleichzeitig vermeiden, Schwangerschaft per se als eine Phase darzustellen, die selbst bei leichten Bürotätigkeiten immer öfter mit einem Beschäftigungsverbot verbunden sein muss, sofern dies medizinisch nicht erforderlich ist. Sicherlich wollen wir nicht mehr in die Zeit unserer Großmütter zurück, die die Kinder z.T. noch am Feldrand entbunden haben. Aber ich möchte mir auch keine Zeit vorstellen, wo es mal heißt, dass früher die Frauen noch gearbeitet haben, wenn sie schwanger waren.
Großzügige Homeoffice-Regelungen und die telefonische Krankschreibung tun ihr Übriges und gehören deutlich eingeschränkt bzw. abgeschafft, so dass ich mir immer öfter die Fragen stelle: Wo sind eigentlich Leistungsbereitschaft und Aufstiegswille hin? Sind Führungsverantwortung und Karrierebereitschaft mittlerweile zu Schimpfwörtern geraten?
Meines Erachtens ist die Vorstellung von einer „anstrengungslosen Gesellschaft“, in dem Wohlstand durch geringe eigene Anstrengung oder übermäßige staatliche Fürsorge generiert wird, eine gefährliche Illusion. Ein solches Modell mag kurzfristig attraktiv erscheinen, führt jedoch langfristig zu einer Erosion von wirtschaftlicher Dynamik und Innovationskraft. In einer Zeit, die von technologischen Umbrüchen und einem intensiven internationalen Wettbewerb geprägt ist, wird der Druck auf Individuen und Unternehmen immer größer, leistungsfähig und anpassungsfähig zu bleiben. Länder, die ihren Bürgern keine Anreize zur Anstrengung bieten oder gar eine Kultur der Leistungslosigkeit fördern, riskieren, von aufstrebenden Nationen überholt zu werden, die den Wert von harter Arbeit und kontinuierlicher Verbesserung hochhalten.
Auch muss die Eigenverantwortung in der Krankenvorsorge und den Krankenkosten zwingend neu geregelt werden. Jeder Krankenversicherte müsste einen Eigenanteil übernehmen.
Von daher bin ich davon überzeugt, dass der unaufhaltsame Anstieg des Anteils der Soziallasten an den öffentlichen Ausgaben nicht auf Dauer durchzuhalten ist. Es kann nicht so weitergehen, dass Fehlanreize verstärkt werden, sich Nicht-Leistung eher rechnet als Leistung und dass Bürgergeld zu Rückzug statt zu Engagement ermuntert. Insgesamt gibt es 6 Mio. arbeitslose Menschen, von denen rund 1,7 Mio. Personen arbeitsfähig sind. Dies darf nicht widerspruchslos hingenommen werden. Daher bedarf es zwingend restriktiver Maßnahmen bei Ablehnung von Beschäftigung. In diesem Zusammenhang bedarf es einer Neuorientierung in Bezug auf Schwarzarbeit. Diese soll nach Schätzungen über 500 Milliarden Euro betragen. Das entspricht der Höhe des Bundeshaushaltes.
Die Globalisierung hat den Wettbewerb auf allen Ebenen intensiviert. In einer Weltwirtschaft, in der Unternehmen weltweit konkurrieren und Arbeitskräfte über Grenzen hinweg mobil sind, gibt es keinen Platz für Stillstand. Um im globalen Wettbewerb mithalten zu können, müssen die Volkswirtschaften kontinuierlich wachsen, ihre Arbeitskräfte qualifizieren und die Produktivität steigern. Dazu gehört auch endlich eine wirtschaftliche und spürbare Entbürokratisierung und die dazu notwendige Nutzung von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Dies erfordert eine Gesellschaft, in der Leistung gewertschätzt und belohnt wird. Es geht darum, dass jeder Einzelne seine Fähigkeiten und Talente aktiv einbringt.
Wenn der Fokus zu sehr auf Absicherung und Wohlfahrt gerichtet wird, anstatt auf Eigenverantwortung und Initiative, kann dies eine Abwärtsspirale für den wirtschaftlichen Erfolg in der globalen Arena einleiten. Wer nicht mehr bereit ist, sich anzustrengen und für den Wohlstand zu kämpfen, wird im internationalen Wettbewerb zurückfallen.
Meine Generation wird die direkten Folgen des heutigen Handelns nicht mehr spüren. Aber es ist unsere Verantwortung, ehrlich über die Zukunft zu sprechen: Eine halbe Generation wird es mit viel Glück und dem von ihren Eltern oder Großeltern erarbeiteten Wohlstand schaffen mit wenig Einsatz noch gut zu leben. Die folgenden Generationen müssen dann aber damit rechnen, ein völlig anderes Sozialsystem, eine andere medizinische Versorgung, niedrigere Renten oder weniger Urlaub vorzufinden. In einer Diskussion um eine 30-Stunden-Woche stehen dann eventuell 10-Stunden-Tage als Zulieferer für China oder die USA zur Debatte.
Daher ist es entscheidend, dass in einer modernen und zukunftsfähigen Gesellschaft ein Gleichgewicht gefunden wird: Der Staat muss notwendige Unterstützung bieten, insbesondere für diejenigen, die temporär oder dauerhaft nicht in der Lage sind, durch eigene Anstrengung für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Doch gleichzeitig muss der Wert von harter Arbeit, Innovation und Unternehmertum gefördert werden. Das beginnt bereits im Bildungssystem, das die nächste Generation darauf vorbereitet, Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. Leistungsbereitschaft sollte nicht nur ein individuelles Ideal sein, sondern auch kollektiv als Grundlage des Wohlstands anerkannt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wohlstand in einer zunehmend komplexen und wettbewerbsorientierten Welt ohne die notwendige Leistungsbereitschaft nicht gesichert werden kann. Eine anstrengungslose Gesellschaft wird in der globalen Wirtschaftslandschaft schnell ins Hintertreffen geraten. Wer im internationalen Wettbewerb bestehen will, muss bereit sein, kontinuierlich zu lernen, sich anzupassen und stets nach Verbesserung zu streben. Nur so kann der Wohlstand eines Landes langfristig gesichert und ausgebaut werden.