International

Ist das Coronavirus ein Fall Höherer Gewalt (Force Majeure)?

Entgegen Forderungen in einigen Kaufverträgen und/oder Meldungen stellen die deutschen IHKs aus rechtlichen Gründen keine Force Majeure-Bescheinigungen aus.

Die IHK kann Ihnen – wie alle anderen deutschen IHKs – lediglich eine Erklärung mit dem üblichen Bescheinigungsstempel und Siegel bescheinigen, in der das Vorliegen einer Coronavirus-Pandemie an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt beschrieben wird. In dieser Erklärung dürfen keine Auswirkungen auf das Unternehmen bzw. auf eine Lieferung oder das Vorliegen von Force Majeure beschrieben werden.

Praxistipp

Wir empfehlen Ihnen, zunächst einmal die Problematik von Lieferausfällen etc. einvernehmlich mit Ihrem Geschäftspartner zu klären und dabei die rechtlichen Anhaltspunkte zur Höheren Gewalt (siehe unten) als Argumentationsgrundlage zu verwenden, um zu einer für beide Vertragsparteien tragbaren Lösung zu kommen.
Für den Abschluss künftiger Verträge raten wir Ihnen zur Aufnahme einer speziellen Klausel zur Höheren Gewalt, die spezifiziert, wann Höhere Gewalt vorliegt und was die konkreten Rechtsfolgen sind. Dafür gibt es Musterklauseln der Internationalen Handelskammer ICC, die Sie hier abrufen können.

Coronavirus als höhere Gewalt?

Epidemien oder sonstige Ausbrüche von Krankheiten und Seuchen können grundsätzlich einen Fall „höherer Gewalt“ darstellen, wie ihn sog. Force Majeure-Klauseln in vielen Lieferverträgen vorsehen. Gemeinhin wird damit ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis verstanden. Tritt ein solches Ereignis höherer Gewalt ein, wird die dadurch betroffene Vertragspartei temporär oder sogar dauerhaft von ihrer vertraglichen Leistungspflicht frei, ohne dass die andere Vertragspartei deswegen Schadensersatz verlangen könnte.
Aus unserer Sicht spricht einiges dafür, dass Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie (Lieferverzögerungen, entstehender Personalausfall etc.) einen Fall höherer Gewalt im Sinne solcher Force Majeure-Klauseln darstellen können. Zum einen gab es weltweit eine Vielzahl von behördlichen Maßnahmen (Ausgangssperren, amtliche Reisewarnungen, Einstufung der WHO als gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite). Zum anderen wurde historisch auch im Zusammenhang mit der SARS-Epidemie 2003 oft Höhere Gewalt bejaht. Auch hat die chinesische Außenhandelsbehörde CCPIT bereits Tausende Zertifikate an Firmen ausgestellt, damit diese nachweisen können, dass sie aufgrund von Umständen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, ihre internationalen vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können.
Zur Ausstellung solcher Zertifikate durch deutsche IHKs beachten Sie bitte die Hinweise am Anfang des Abschnittes.

Vertragliche Vereinbarung prüfen

Sofern Ihr Unternehmen Verträge mit Kunden aufgrund von möglicherweise Coronavirus-bedingten Lieferengpässen nicht mehr erfüllen kann oder dieses Szenario droht, sollten die entsprechenden Verträge umgehend auf etwaige Force Majeure-Klauseln geprüft werden. Im deutschen Recht gibt es den Begriff nicht. Sofern solchen Klauseln nicht vorhanden sind, ist zu prüfen, ob das jeweilige anwendbare Recht gesetzliche Regelungen für den Fall höherer Gewalt bereit hält und welchen Inhalts diese sind. Dabei sind die angelsächsischen Rechtsordnungen generell etwas großzügiger in der Bejahung Höherer Gewalt als die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen. Das UN-Kaufrecht bietet auch die Möglichkeit. Chinesische Gerichte haben in der Vergangenheit den Begriff Höhere Gewalt sehr großzügig interpretiert und mitunter sogar (teilweise selbstverschuldete) Zahlungsprobleme als Höhere Gewalt gesehen.  
Für künftige Verträge gibt es Musterklauseln der Internationalen Handelskammer ICC, die Sie hier abrufen können.

Rechtsfolgen bei Bejahung Höherer Gewalt

Höhere Gewalt führt nicht automatisch zu Schadensersatzansprüchen, Aufwendungsersatz oder der Möglichkeit den Vertrag einseitig mit der Berufung auf Höhere Gewalt zu beenden.
Liegt ein Fall Höherer Gewalt vor, so werden in der Regel als Rechtsfolge die Parteien von ihren Hauptleistungspflichten befreit werden. In diesem Fall gibt es keinen Schadensersatzanspruch. Zudem sind folgende Rechtsfolgen denkbar:
  • Der Vertrag wird im Falle Höherer Gewalt automatisch aufgelöst.
  • Vertragspflichten werden erst einmal ausgesetzt und nach dem Ende des außerordentlichen Ereignisses wieder eingesetzt.
  • Es gibt eine bestimmte Zeitspanne, innerhalb derer die Vertragspflichten ausgesetzt werden und wenn das Ereignis über eine bestimmte Zeitspanne hinaus läuft, hat jede Partei ein Kündigungsrecht oder der Vertrag wird aufgelöst.
Sowohl vertragliche als auch gesetzliche Force Majeure-Regelungen können zudem eine Anzeigepflicht beinhalten. Sprich: Der Lieferant hat den Kunden unverzüglich von (drohenden) Lieferausfällen infolge eines konkret zu benennenden Ereignisses höherer Gewalt zu informieren. Solche Anzeigepflichten sind ernst zu nehmen. Denn erfolgt die Anzeige nicht oder verspätet, droht das Risiko, dass sich der Lieferant nicht mehr auf höhere Gewalt berufen kann, um von seinen Lieferpflichten zumindest temporär frei zu werden.