Rekordbeteiligung bei Umfrage

Südhessische Unternehmen lehnen einhellig die geplante Pflicht zur eRechnung ab

Das Bundesfinanzministerium plant, dass sich Unternehmen künftig nur noch elektronische Rechnungen stellen dürfen. Dahinter steht die Idee, Umsatzsteuerbetrug zu verhindern. Doch die Tücke steckt im Detail: Laut Entwurf soll die eRechnung innerhalb von zwei Tagen gestellt worden sein. Eine in der Praxis nicht erfüllbare Vorgabe, finden die Mitgliedsunternehmen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt Rhein Main Neckar. Eine aktuelle Umfrage der IHK zeigt, dass die geplante Gesetzesänderung die Unternehmen umtreibt. Noch nie gab es in so kurzer Zeit so viele Rückmeldungen auf eine Online-Umfrage.

Pressemeldung vom 9. Mai 2023

Der Diskussionsvorschlag aus dem Bundesfinanzministerium sieht eine Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung B2B (Business to Business) vor, die eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes (UstG) mit sich bringt. Der eRechnungspflicht soll eine spätere Umsatzmeldepflicht folgen, die den leistenden Unternehmer treffen soll. Begleitet wird dieser Plan von einer äußerst knappen Fristenregelung im Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission: Betriebe sollen die Rechnungen nur zwei Tage nach Leistungserbringung stellen. Darauf sollen sie nur noch zwei weitere Tage Zeit haben, die Rechnung zu melden.
Die Industrie- und Handelskammer Darmstadt hat den Diskussionsentwurf in Fragen übersetzt und als Umfrage breit an ihre Mitgliedsunternehmen versendet. „So eine Resonanz habe ich in den fast 30 Jahren meiner IHK-Tätigkeit noch nie erlebt“, sagt Martin Proba, Geschäftsbereichsleiter Unternehmen und Standort der IHK Darmstadt. Innerhalb von nur 24 Stunden waren bereits 1.500 Antworten eingegangen. Rund 150 Unternehmerinnen und Unternehmen haben sich zudem telefonisch und per E-Mail mit Kommentaren zu der geplanten Gesetzesänderung geäußert. „Wir haben mit unserer Umfrage ganz offensichtlich ins Mark getroffen“, so Proba. Die IHK Darmstadt ist die einzige IHK in Hessen, die das Thema als Umfrage aufgegriffen hat. Insgesamt haben sich innerhalb von zwei Tagen 2.094 Unternehmen aus Südhessen beteiligt.
Wir haben mit unserer Umfrage ganz offensichtlich ins Mark getroffen

Martin Proba

Die Rückmeldungen haben weitestgehend den gleichen Tenor, berichtet Geschäftsbereichsleiter Proba: „Die Betriebe hinterfragen Aufwand und Ertrag. Alle Betriebe werden mit einer monströsen Bürokratie überzogen, um wenige schwarze Schafe zu finden“, fasst Martin Proba die bei ihm eingehenden Kommentare zusammen.
Die Umfrage zeigt kurzgefasst Folgendes:
  • Die Fristen, die der Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission für die Meldung von Eingangs- und Ausgangsrechnungen vorsieht, werden nahezu einhellig als zu kurz angesehen. Selbst eine Frist von einer Woche halten 75 Prozent der befragten Unternehmen für zu kurz.
  • Da es im Entwurf bislang nicht geregelt ist, gehen zwei Drittel der Unternehmen (67 Prozent) davon aus, dass die Finanzverwaltung die notwendige Infrastruktur für ein von ihr betriebenen Meldesystem für Betriebe kostenfrei zur Verfügung stellt.
  • Betriebe haben die klare Erwartung, dass mit der Einführung eines solchen Systems Entlastungen im Umsatzsteuerverfahren verbunden sein müssen, zum Beispiel eine schnellere Auszahlung der Vorsteuererstattung oder Eingabehilfen bei den Onlineformularen.
  • 84 Prozent der teilnehmenden Unternehmen fordern die Finanzverwaltung auf, über alternative – mit weniger Bürokratielast verbundene – Prozesse nachzudenken, um die EU-Richtlinie umzusetzen.
Größter Kritikpunkt ist, dass der Diskussionsentwurf ein zusätzliches Verfahren ohne erkennbaren Nutzen für Betriebe vorsieht.

Aufreger: Zu kurze Fristen

Betriebliche Abläufe in größeren Unternehmen lassen es auch unter optimalen digitalen Voraussetzungen kaum zu, dass Rechnungen innerhalb von zwei Tagen erstellt und gemeldet werden. Eine Rechnung muss erfasst, mit Bereichen abgestimmt, im Vieraugenprinzip kontrolliert und auf Steuer- und Compliance-Themen abgeprüft werden.
Kleine Unternehmen und Einzelunternehmer schaffen die Frist auch nicht. Sie sind in der Regel mit der Auftragserledigung so stark ausgelastet, dass kaum Kapazität ist, Rechnungen innerhalb von zwei Tagen zu stellen. Ein Unternehmensberater, der montags und dienstags einen Kunden in Hamburg berät, mittwochs in Leipzig ein Akquise-Gespräch führt und den Rest der Woche wieder einen Unternehmer in München coacht, erstellt seine Rechnungen frühestens am Wochenende. Gleiches gilt für viele Kleinbetriebe wie auch Handwerker. Südhessens Unternehmer fordern mindestens eine Monatsfrist (44 Prozent dafür). Lediglich 15 Prozent glauben, dass die Meldung innerhalb einer Arbeitswoche darstellbar wäre.

Meldesystem muss staatlich sein

Von den Betrieben wird zudem kritisch gesehen, dass es für die Meldung kein zentrales einheitliches staatliches System geben soll. Hier befürchten die Unternehmen, dass Rechnungsdaten, und andere für den Wettbewerb wichtige Kerninformationen nicht mehr vertraulich und sicher sind, wenn private Anbieter für ein Meldesystem zum Zuge kämen. Sobald vertrauliche Daten ins Ausland gelangen, werden sie nicht mehr nach deutschen Standards behandelt.
Südhessische Unternehmen merken in diesem Kontext auch an, dass angesichts der unzureichenden Breitbandverfügbarkeit und Internetgeschwindigkeit in der Region ein Online-Verfahren mutmaßlich nicht stabil funktioniert.

Über Alternativen nachdenken

Trotz aller Kritik sind die befragten Unternehmen mehrheitlich durchaus für Veränderungen zu haben.  60 Prozent der Antwortenden würden einen Alternativvorschlag begrüßen, der das Umsatzsteuerverrechnungsverfahren im B2B-Bereich abschafft und die Umsatzsteuer nur beim Endkunden erhebt. „Das würde Bürokratie reduzieren, Kosten im Prozess und nicht vorhandene Fachkräftekapazitäten sparen“, sagt IHK-Experte Martin Proba.
Die Antworten legen nahe, den Gesamtprozess neu zu denken. Auch wenn der EU-Richtlinienvorschlag ein Clearing-Verfahren ausschließt und Italien sein System zum 1. Januar 2028 wieder anpassen muss, lohnt es sich, die Idee nochmals aufzugreifen: Wenn eine staatliche Meldestelle alle Daten erfasst, könnte sie diese Daten dann auch prüfen und auf dieser Basis das Umsatzsteuerverfahren abwickeln, ganz nach dem Grundsatz „einmal reicht“. „Dies würde Rechtssicherheit für Betriebe schaffen, den Gesamtprozess verkürzen und Entlastungen für Betriebe bringen, weil Vorsteuererstattungen automatisiert und zeitnah erfolgen. Umsatzsteuerprüfungen könnten obsolet werden“, nennt Geschäftsbereichsleiter Proba eine Alternative, die Bürokratie ab- und nicht aufbaut.
Der aktuelle Gesetzentwurf ist nicht der erste Versuch, den Mehrwertsteuerbetrug einzudämmen. Einzelhändler und Gastronomen, die ein Kassensystem betreiben, mussten bis spätestens Ende 2022 (Ablauf der Übergangsfrist) eine technische Sicherheitseinrichtung (TSE) in ihrem Kassensystem einführen. Damit verbunden waren hohe Investitions- und Betriebskosten. „Die gewünschten Effekte sind bis heute seitens der Finanzverwaltung nicht belegt“, sagt Proba.
Martin Proba
Geschäftsbereichsleiter
Bereich: Unternehmen und Standort