Im Porträt

Pioniere der Windkraft

Der deutsche Markt für Windkraft bricht aktuell ein. In Heppenheim sitzen jedoch Experten für Windräder, die als weltweite Markt- und Innovationsführer im Bereich Schwingungstechnik ausgezeichnet wurden. Eine Erfolgsgeschichte, die auch in der Unternehmenskultur des Familienbetriebes begründet liegt.
Autorin: Bianca Strauss, 2. Februar 2020
Es beginnt Anfang der 90er-Jahre in einer kleinen Garage in Heppenheim. Angetrieben von der Begeisterung für Erneuerbare Energien tüftelt Werkzeugmacher und Diplom-Ingenieur Franz Mitsch an den Plänen eines eigenen Windparks am Möhnesee (NRW). Beim Kauf der Windkraftanlagen wird der Ingenieur vom Hersteller persönlich um Hilfe gebeten. Es geht um die Schwachstelle der Anlage: die Schwingungstechnik. In wahrer Pionierarbeit entwickelt Mitsch spezielle wartungsarme Gummimetallteile, die die störenden Schwingungen reduzieren und die zudem für die gesamte Betriebsdauer einer Windenergieanlage ausgelegt sind – ein Novum in der damals noch jungen Branche.
Heute beschäftigt das Familienunternehmen ESM Energie- und Schwingungstechnik insgesamt 89 Mitarbeiter und ist kürzlich mit dem Hessischen Exportpreis des IHK-Verbundes in der Kategorie „Industrie und Handel“ ausgezeichnet worden. „Diese Würdigung ist tatsächlich eine wahnsinnige Ehre für uns. Das ganze Team ist stolz und sieht diesen Preis als große Motivation“, berichtet Julian Saur, kaufmännischer Geschäftsführer bei ESM. Gründer und technischer Geschäftsführer Franz Mitsch ist sein Schwiegervater. „Ja, wir sind ein ausgeprägter Familienbetrieb“, bestätigt er lachend. „Das macht meiner Meinung nach einen großen Teil unseres Erfolgs aus. Mein Schwiegervater, meine Schwiegermutter, meine Ehefrau und vier weitere Familienmitglieder arbeiten hier mit. So haben wir einen besonders guten und persönlichen Zusammenhalt, der für unser gesamtes Team gilt“, erzählt der dreifache Familienvater. Vorteilhaft seien in der ESM-Unternehmenskultur ebenso flache Hierarchien und kurze Wege. Die Entwicklungsabteilung liege direkt neben der Produktion auf dem rund 10.000 Quadratmeter großen Firmenareal in Heppenheim. Das fördere den Austausch und das Innovationstempo.

Gute Ideen statt billiges Material

„Wir entwickeln individuelle Produkte für unseren Markt, die erstens einen technischen Vorteil bieten und zweitens günstiger sein sollen. Dies erreichen wir jedoch nicht durch billigere Materialien, sondern ausschließlich durch gute Ideen.“ Ein klares Konzept, das den Mittelständler ESM in den letzten Jahren zum weltweiten Markt- und Innovationsführer für Schwingungstechnik hat aufsteigen lassen. Zu diesem Konzept zählen gleichermaßen Tempo, Sicherheit und Kundenvertrauen. Die Entwicklung von Prototypen müsse schnell gehen, sagt Julian Saur. Teilweise gelinge es dem Team, in nur zwei Monaten eine Innovation nach Kundenwunsch zu entwickeln. Genauso rasch und zuverlässig sei der Versand organisiert. Termingerechte Lieferung werde heute vorausgesetzt.
Zum Geheimnis des Erfolgs gehört jedoch noch etwas. „Wir betreiben eigene Windenergieanlagen. Das zahlt sich doppelt aus. Wir können unsere Prototypen im Eigenbetrieb testen und direkt verbessern. Das ist das beste Qualitäts- und Verkaufsargument“, erklärt der Unternehmer. Gerade Gummimetallteile seien schwer beherrschbar. In den Anfangszeiten der Windkraftnutzung musste das Material vom Wettbewerb allein deshalb immer wieder ausgetauscht werden. Durch viele Versuche im Prüfstand ist es den Heppenheimern gelungen, das Material berechenbar und damit langfristig haltbar zu produzieren. „Ein netter Seiteneffekt der eigenen Anlagen ist“, freut sich Julian Saur, „dass wir unseren Energiebedarf im Unternehmen zu hundert Prozent mit Ökostrom decken können.“ Mit diesem Konzept, das durch Büro und Fabrikgebäude in Passivhausstandard und eine hoch energieeffiziente Produktion ergänzt wird, gewann das Unternehmen jüngst auch den Wettbewerb „Firmenenergie 2019“.
Die Auszeichnung mit dem Hessischen Exportpreis weist bereits daraufhin: Das Heppenheimer Familienunternehmen beliefert überwiegend internationale Märkte. Die Kunden sitzen in China, USA, Indien, Brasilien, Europa, teilweise auch in Deutschland. „Unsere Bundesregierung hat die Energiewende einfach abgebrochen. Aus heiterem Himmel gab es plötzlich keine politische Unterstützung mehr für die Windkraft. Und das, obwohl wir hier die Technologieführerschaft innehatten.“ Nach seiner Analyse sei zu früh mit Ausschreibungsverfahren begonnen worden, statt zunächst die Erfolge langjähriger staatlicher Förderung ausreichend einzufahren und den Markt zu stabilisieren. Die Firma Senvion, ein wichtiger und auch erster Kunde der ESM GmbH, habe Insolvenz anmelden müssen, wie viele andere auch, berichtet Julian Saur. Rund 26.000 Jobs seien in der Branche allein im vergangenen Jahr in Deutschland unnötig verloren gegangen. Die Heppenheimer hatten nicht nur großes Glück, wie sie selbst sagen, sondern sie haben sich auch frühzeitig umorientiert. Seit 2017 verfügt das Unternehmen ESM beispielsweise über eine vollwertige Tochtergesellschaft in China.
„Deutschland muss wieder besser werden, nicht nur im Bereich Windkraft“, appelliert Julian Saur. „An den Erneuerbaren Energien geht in Zukunft kein Weg vorbei. Wir brauchen auch in Deutschland einen klugen Mix nachhaltiger Energieformen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Frage ist, wie schnell können wir diese Entwicklung jetzt nachholen und kommen die Anlagen dann tatsächlich noch aus Deutschland?“

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Matthias Voigt
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit