Im Porträt

Männer, die Mascara testen

Exklusiv, hautfreundlich und natürlich muss es sein: Die Darmstädter Christian Jüttner und Armin Pourhosseini verkaufen Kosmetikprodukte–zunächst online, dann auch im eigenen Laden. Ins Sortiment kommt nichts, was die beiden Mitte-Dreißigjährigen und ihr Team nicht vorher im Selbstversuch geprüft haben.
Autoren: Veronika Heibing, Jonathan Kuhn, 30. Juli 2020
Der Kosmetikladen in Darmstadt war nicht geplant und auch in den Online-Handel sind Armin Pourhosseini und Christian Jüttner eher zufällig reingestolpert. Die beiden Freunde kennen sich schon lange. Christian entdeckt eines Tages einen Rasierhobel für sich, den er begeistert Armin zeigt. Irgendwie steigern sich beide in das Thema Nassrasur hinein: „Wir haben regelrechte Rasier-Sessions gestartet“, erinnert sich Christian. „Irgendwie fehlten uns aber noch die richtigen Pflegeprodukte, die nach der Rasur aufgetragen werden. Was es standardmäßig zu kaufen gab, hat uns nicht umgehauen.“ Die Freunde recherchieren viel im Netz und entwickelten eine neue Leidenschaft für Naturkosmetik.
Armin arbeitet zu der Zeit bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Christian leitet das Lager eines Online-Shops für Turnschuhe. Sie kommen auf die Idee, selbst einen Online-Shop zu eröffnen. Erstmal nebenberuflich, mit Kosmetik-Highlights aus verschiedenen Ländern, die auf hochwertige, natürliche Inhaltstoffe setzen, möglichst nachhaltig hergestellt werden, verträglich sind und auf Tierversuche verzichten. 2014 gründen sie ihre Firma Woodberg als GbR. „Eigentlich die unkomplizierteste Rechtsform, die man in Deutschland für ein Unternehmen wählen kann, aber der bürokratische Aufwand war unglaublich“, sagt Armin. Eine echter Schmerz war der Zoll. „Wir importieren und exportieren Waren. Das korrekt abzuwickeln, ist enorm zeitintensiv und hat neben dem Vollzeitjob schnell nicht mehr funktioniert. Als die Bestellungen richtig anliefen, mussten wir irgendwann eine Entscheidung treffen und machten unser Hobby zum Hauptberuf“, erinnert sich Christian.

Markenbildung mit Naturkosmetik für Männer

Obwohl ihre Artikel nahezu aus der ganzen Welt kommen, legt Woodberg anfangs den Fokus auf Naturkosmetik aus den USA, Australien und Neuseeland. „Das waren Nischenprodukte, bei denen Inhaltsstoffe und Qualität stimmten, deren Werte sich mit unseren deckten und die einfach ein cooles Produktdesign hatten. Solche Artikel waren in Europa schwer zu bekommen. Das ist heute anders, mittlerweile kommt ein Großteil unserer Artikel aus Deutschland, England oder Skandinavien“, sagt Armin. Er erzählt, wie sie sich ihren Online-Shop immer als Erlebniseinkauf von modischen Accessoires fürs Männerbad vorgestellt haben. So wollten sie auch das Sortiment aufbauen. Obwohl dieses tatsächlich schon immer aus Unisex-Produkten besteht, entscheiden sie sich dafür, die Artikel zunächst explizit für Männer zu bewerben. „Lag auf der Hand, weil wir selbst Männer sind“, meint Christian. „Für Frauen wäre es uns schwergefallen, die richtigen Werbebotschaften zu finden.“
Google und Social Media, insbesondere Instagram, haben in der Vermarktungsstrategie stets eine große Rolle gespielt. Doch durch das Nischenthema Männerkosmetik wurden auch traditionelle Medien und somit auch mehr Kunden auf Woodberg aufmerksam. Das große Geschäft ist im Kosmetikkosmos jedoch über Frauen zu machen. Da sie nun einen guten Namen für Männerkosmetik hatten, war es allerdings nicht einfach, dieses Image wieder abzulegen. „Frauen haben anfangs kaum bei uns gekauft. Das hat sich erst so richtig geändert, als wir 2016 in Darmstadt unseren Laden eröffnet haben“, sagt Christian.
Das Team besteht heute aus 14 Köpfen. Online wie offline kaufen nun mehr Frauen als Männer im Shop ein. Die meisten Kunden stammen aus dem deutschsprachigen Raum, Bestellungen gehen aber aus der ganzen Welt ein. Die Produkte werden nur noch genderneutral beworben. Denn ob Parfüm, Deo, Gesichtspflege oder Make-up: „Was für den Kunden passt, ist in erster Linie vom Hauttyp abhängig“, sagt Armin. „Deshalb investieren wir viel Zeit in die Beratung.“ Die Hautverträglichkeit ist ein Grund, warum Kunden stark an einer Marke festhalten, wenn sie einmal damit gute Erfahrungen gemacht haben. Viele kommen zu Woodberg, weil sie bereits Fan einer bestimmten Produktserie sind. „Im ersten Jahr unseres Geschäfts in der Schulstraße hatte eine Marke aus den USA erstmals eine Gesichtscreme rausgebracht“, sagt Christian. „Die standen morgens vor Ladenöffnung schon in einer Schlange vor unserer Tür, um die Creme zu ergattern.“  Um Kunden von neuen Produkten zu überzeugen, veranstalten die beiden Geschäftsführer Events und wollen hier künftig mehr auf Non-Verkauf setzen. „Mit der Community eine gute Zeit zu verbringen und bei gutem Essen und Drinks Produkte auszuprobieren steht im Vordergrund. Verkauft wird hier nichts“, erklärt Armin.

Ein Duftgenerator für das digitale Einkaufserlebnis

Ins Sortiment kommt bei Woodberg übrigens nur, was das Team selbst ausprobiert hat. Das gilt geschlechterunspezifisch für alle Artikel. „Christian und ich tragen zum Testen durchaus auch Mascara auf“, sagt Armin. „Uns ist wichtig, dass die Artikel, halten, was sie versprechen.“ Mittlerweile haben sie begonnen, mit Partnern Eigenmarken zu entwickeln. Ein zweiter Laden in einer größeren Stadt soll in absehbarer Zeit folgen. Der Großteil des Umsatzes kommt jedoch weiterhin aus dem Onlinehandel. Damit der wachsen kann, steht ein Umzug auf ein anderes Shopsystem an. „Das hört sich simpel an, ist aber aufwändiger, als ein stationäres Geschäft umzuziehen“, sagt Christian. „Das muss gut vorbereitet werden, insbesondere beim Bestell- und Bezahlvorgang, aber auch bei der Warenlogistik muss technisch alles einwandfrei funktionieren“, ergänzt Armin. Der neue Shop nimmt viele Funktionen mit, soll aber auch über neue verfügen. Christian und Armin verraten schon so viel: Sie arbeiten an einem Duftgenerator. „Über gewisse Medien wollen wir den Eindruck eines Dufts vermitteln, den man über eine schriftliche Produktbeschreibung nicht hinbekommt. Mit diesem und weiteren Features wollen wir im Digitalen Stück für Stück ein Einkaufserlebnis schaffen, das möglichst nah an das physische im Geschäft herankommt.“
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit