Berufliche Nachqualifizierung

Anspruchsvollere Aufgaben übernehmen

„Man ist nie zu alt zum Lernen“, sagt Stefan Lehmann. Sein Arbeitgeber Miroxx Direkt in Michelstadt hat ihm ermöglicht, seinen Berufsabschluss als Fachkraft für Lagerlogistik nachzuholen, und dafür eine Phase der Umstrukturierung sowie Fördermittel genutzt.
Autorin: Mirjam Ulrich, 16. Juni 2020
Der berufliche Werdegang von Stefan Lehmann beginnt 2010 bei Miroxx Direkt in Michelstadt im Odenwald recht typisch: Das Familienunternehmen stellt ihn als ungelernte Kraft im Lager ein. Der 2003 gegründete Online-Fachhändler 123moebel.de ist auf Möbel für Kinder und „Junges Wohnen“ spezialisiert. Das Sortiment umfasst rund 15.000 Produkte, von der Baby-Bettwäsche bis zum großen Sofa. Lehmann etabliert sich im Lager mit der Zeit als Vorarbeiter – und macht sich Gedanken über einen nachträglichen Berufsabschluss. Firmeninhaber Michael Eigl weiß davon und will ihm den gern auch als Zeichen der Wertschätzung ermöglichen.
Zudem plant er 2019 in seinem Unternehmen eine Konsolidierung und Umstrukturierung. Künftig will er sich auf den Vertrieb konzentrieren. Nur noch die kleineren Artikel sollen im eigenen Lager vorgehalten und versendet, ansonsten soll die Logistik dezentral über externe Dienstleister abgewickelt werden. Die verfügen nicht nur über die entsprechenden Gerätschaften für die Lagerung und den Transport großer oder schwerer Möbel, sondern auch über flexiblere Personalkapazitäten, erläutert Eigl. Im Handel mit Kinder- und Jugendmöbeln herrscht im Sommer zur Einschulung oder zum Schulwechsel und vor Weihnachten besonders große Nachfrage. „In den vergangenen Jahren hatten wir Probleme, dann zusätzliches Personal zu bekommen“, berichtet er. „Wir konnten Aufträge nicht zeitnah oder termingerecht ausliefern, weil uns die Ressourcen fehlten.“ Die geplante Umstellung erfordert betriebsintern neue Kompetenzen – warum also nicht die Phase der Umstellung auch für eine Nachqualifizierung nutzen?

Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur

Michael Eigl lädt einen Bildungscoach der IHK Darmstadt ein und spricht das Thema bei dessen Besuch an. Anschließend schlägt er seinem Lagerleiter vor, den Berufsabschluss nachzuholen. Stefan Lehmann informiert sich daraufhin bei der IHK über mögliche Berufsabschlüsse sowie Anbieter entsprechender Weiterbildungen. Der Bildungscoach prüft seinen Lebenslauf, ob und welche Fördermöglichkeiten in Frage kommen – etwa die hessische Initiative „Pro Abschluss“, für die die IHK auch die Qualifizierungsschecks beantragt. Stefan Lehmann erfüllt jedoch die Voraussetzungen für einen Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur. Die übernimmt die Weiterbildungskosten und die Kosten für die Lohnfortzahlung während seiner sechsmonatigen Freistellung durch den Arbeitgeber. Der lobt die Unterstützung durch die Arbeitsagentur. „Es gab auch keine bürokratischen Hürden, ich musste nur ein, zwei Formulare ausfüllen und eine Gehaltsabrechnung nachweisen“, schildert Eigl. Auch die übrige Belegschaft zeigt Verständnis, alle packen etwas mehr an. Derzeit beschäftig das Familienunternehmen neun Mitarbeiter und zwei Azubis.
Lehmann entscheidet sich, den Abschluss als Fachkraft für Lagerlogistik zu machen. Im Mai 2019 beginnt er mit dem Vorbereitungskurs. Anfangs fällt es dem 37-Jährigen schon etwas schwer und es melden sich sogar leise Zweifel. Die Schulzeit liegt lange zurück und Mathematik bereitete ihm damals Schwierigkeiten. Im Lehrgang erlebt er dann eine Überraschung: „Einer unserer Dozenten konnte mir alles richtig gut erklären, so dass ich keinerlei Probleme hatte, damit klarzukommen.“

Zu Fördermöglichkeiten beraten lassen

Bei Fragen und Problemen beraten die IHK-Bildungscoachs bei Nachqualifizierungen über „Pro Abschluss“ die Betriebe und Mitarbeiter auch während der Zeit bis zur Prüfung. Stefan Lehmann braucht aber keine Hilfe. Die Abschlussprüfung zur Fachkraft für Lagerlogistik besteht er gut. „Man ist nie zu alt zum Lernen“, möchte er anderen Beschäftigten in ähnlicher Situation Mut machen. Er selbst habe richtig Freude daran gefunden: „Man sieht, dass es voran geht und man das Gelernte auch im Betrieb umsetzen kann." Er rate Betroffenen auf jeden Fall dazu, den Berufsabschluss nachzuholen. „Wenn man so eine Chance bekommt und es sogar noch bezahlt und gefördert wird, sollte man unbedingt zugreifen.“
Bildung schade nie – nur dem, der sie nicht besitze, bestätigt sein Chef Michael Eigl. Der Unternehmer empfiehlt anderen Mittelständlern, eigene Beschäftigte ohne Ausbildungsabschluss ebenfalls nachzuqualifizieren. Er sieht darin gleich mehrere Vorteile: Zum einen kenne der Betrieb den Mitarbeiter, er habe sich bereits bewährt. Zum anderen lasse sich dadurch die Bindung ans Unternehmen stärken. Außerdem nutze dessen neu erworbenes Wissen der Firma. „Der Mitarbeiter ist dann in der Lage, anspruchsvollere Aufgaben zu übernehmen.“ Wichtig sei, sich als Unternehmen über Fördermöglichkeiten zu informieren und ausgiebig beraten zu lassen. Auch dabei unterstützt die IHK.
Bei Miroxx Direkt übernimmt Stefan Lehmann nun nach der Umstrukturierung die Disposition und Koordination mit den Fulfillment-Dienstleistern. „Dazu ist die entsprechende Kompetenz im Warenfluss nötig, die hat er jetzt“, sagt Eigl. Stefan Lehmann baut seine Kompetenzen sogar noch weiter aus: Anfang März 2020 hat er nebenberuflich mit der zweijährigen Weiterbildung zum Logistikmeister begonnen.