Leitbild und Positionspapier

Selbstverständnis und Funktion von Unternehmertum

Bevor die IHK Darmstadt die Debatte zur Rolle von Unternehmertum innerhalb der Gesellschaft in unserem Sinne mitgestalten kann, haben sich die Mitglieder des Lenkungskreises gefragt: Was bedeutet verantwortungsvolles Unternehmertum? Und unter welchen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen können Unternehmen bestmöglich kreative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln?
Die Frage, inwieweit Gewinnorientierung moralisch wünschenswertes Handeln zulässt, findet sich immer wieder in der öffentlichen Debatte und hat vor dem Hintergrund des Klimawandels und der fortschreitenden Globalisierung in den vergangenen Jahren wieder neuen Aufwind erfahren. Auch die Rolle von privatem Eigentum und unternehmerischer Initiative im Verhältnis zu staatlichen Eingriffen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung sind wieder in der Diskussion.
Den wirtschaftlichen Erfolg im Blick zu haben, bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmerinnen und Unternehmern Mensch und Umwelt egal sind und sich diese dem Profit unterzuordnen haben. Es gebietet allein schon der kaufmännische Sachverstand, verantwortungsvoll zu wirtschaften, denn nur das garantiert langfristigen, nachhaltigen unternehmerischen Erfolg. Genau dieser Grundsatz findet sich auch in den Leitwerten des „Ehrbaren Kaufmanns“ – ein historisch gewachsenes Leitbild, das im Mittelalter seinen Ursprung nahm. Der „Ehrbare Kaufmann“ steht als Vorbild für das rational handelnde Wirtschaftssubjekt. Seine Grundsätze definieren, was redliches Verhalten im Wirtschaftsleben ausmacht.
Doch ist dieses Leitbild noch zeitgemäß? Die Mitglieder des Lenkungskreises kamen zum Schluss: Ja, allerdings muss es in die heutige Zeit übersetzt und um zentrale Aspekte erweitert werden. Daraus entstand das Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute, das von der Vollversammlung der IHK Darmstadt im Herbst 2020 einstimmig verabschiedet wurde. Das Leitbild soll allen, die in oder für Unternehmen Verantwortung tragen, als zeitgemäße Orientierung dienen.

Wirtschaftliches Wachstum garantiert gesellschaftlichen Wohlstand

Neben der Gewinnorientierung steht auch immer wieder die Soziale Marktwirtschaft und wirtschaftliches Wachstum in der Kritik. Dabei ist kein Wirtschaftssystem bekannt, das Wohlstand, Freiheit und sozialen Ausgleich so gut in Einklang zu bringen vermag wie die Soziale Marktwirtschaft. Sie beruht auf der Vorstellung von souveränen und eigenverantwortlichen Menschen. Entscheidungsfreiheit, Verantwortung und Haftung für das eigene Handeln gehören untrennbar zusammen.
Ein zentrales Merkmal der Sozialen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb, der Leistungsbereitschaft begünstigt und einen ständigen Anreiz für Unternehmen schafft, Produkte und Dienstleistungen weiterzuentwickeln. Damit fördert der Wettbewerb nicht nur ein verbraucherorientiertes Angebot, sondern auch Innovationen und technischen Fortschritt. Das wiederum schlägt sich in wirtschaftlichem Wachstum und gesellschaftlichem Wohlstand nieder. Die Soziale Marktwirtschaft ist deshalb nicht gleichbedeutend mit ungebremstem Kapitalismus. Es ist allgemeiner Konsens, dass langfristiges Wirtschaftswachstum nur in einem intakten ökologischen und sozialen System möglich ist.
Die Rolle des Staates innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft besteht darin, durch Regeln das Funktionieren des Marktes zu gewährleisten. In Fällen von Marktversagen hat er die Aufgabe, die Marktergebnisse zu korrigieren: Kommt es zu sozialen Härten, sorgt der Staat für sozialen Ausgleich. Bei konjunkturellen Schwankungen bemüht er sich um Stabilität. Güter, die durch den Markt nicht oder unzureichend bereitgestellt werden, organisiert der Staat selbst, zum Beispiel Bildung und Infrastruktur. Für staatlichen Dirigismus steht die Soziale Marktwirtschaft jedoch nicht. Zu starke staatliche Eingriffe gefährden den Wettbewerb und damit Wachstum und Wohlstand.

Das Fehlverhalten Einzelner schadet dem Ruf von Unternehmertum

Unternehmen sind Teil der Gesellschaft. Sie übernehmen Verantwortung – für sich selbst und für ihr Umfeld. Diese Verantwortung ist insbesondere bei inhabergeführten Unternehmen gelebter Alltag. Neun von zehn Unternehmen in Südhessen haben weniger als zehn Beschäftigte, viele von ihnen sind inhabergeführt. Diese Unternehmen stehen nicht nur für kurze Entscheidungswege, sondern für regionale Verankerung und für persönliches Engagement. Zum Selbstverständnis der Unternehmerinnen und Unternehmer gehört, dass sie gute Produkte liefern, Rechnungen und Steuern pünktlich zahlen, angemessene Arbeitsbedingungen bieten und sich im Geschäftsleben redlich verhalten. Im Zweifel stehen sie bis nach Ladenschluss im Geschäft, und engagieren sich dennoch zusätzlich ehrenamtlich im Gemeinderat oder als Sponsor des lokalen Sportvereins.
Freilich gibt es auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die diesen Anspruch an sich selbst nicht haben. Wer sich unredlich verhält oder gegen gesetzliche Regelungen verstößt, stellt sich nicht nur selbst ins Abseits, sondern schädigt den Ruf derjenigen, die sich an die üblichen Regeln von Sitte und Anstand halten. Aus Sicht der IHK Darmstadt ist dieses Verhalten nicht mit dem Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute vereinbar. Das Sanktionieren von Regelverstößen ist Sache des Staates. Das Fehlverhalten Einzelner darf nicht dazu führen, Unternehmertum und Soziale Marktwirtschaft grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern macht die Anforderungen an den Ordnungsrahmen deutlich.

Um Lösungen zu entwickeln, braucht die Wirtschaft Gestaltungsspielraum

Unternehmerinnen und Unternehmer treiben Innovationen voran. Ihr Beitrag ist notwendig, um die Herausforderungen unserer Zeit und die damit verbundenen Probleme zu lösen. Um diese Rolle ausfüllen zu können, brauchen sie einen verlässlichen Rechtsrahmen. Sie brauchen aber auch Freiräume. Hierzu gehören offene Märkte, eine moderate Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie eine Erbschaftssteuer, die das Betriebsvermögen bei Fortführung des Unternehmens schont. Weniger Bürokratie bedeutet mehr unternehmerische Kreativität. 
Unter welchen Rahmenbedingungen die Wirtschaft diese Kreativität voll entfalten kann, hat der Lenkungskreis in dem von der Vollversammlung verabschiedeten Positionspapier „Unternehmertum ist Verantwortung“ im Detail festgehalten.
Was macht verantwortungsvolle Teilhabe am Wirtschaftsleben aus?

Das allgemeine Ansehen von Unternehmertum hat in den vergangenen Jahren stark gelitten. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie Gesetzesvorhaben wie das geplante Unternehmensstrafrecht oder das Lieferkettengesetz zeigen. Die IHK Darmstadt ist überzeugt: Unternehmertum ist gelebte Verantwortung. Das unterstreicht auch ein Leitbild für Geschäftsleute, das die Vollversammlung im Herbst 2020 einstimmig verabschiedet hat. Es soll allen, die in oder führ Unternehmen Entscheidungen treffen, eine zeitgemäße Orientierung liefern. [Weiterlesen]