Revolution im Recycling: RITTEC und ICTV gewinnen Technologietransferpreis 2023

Gleich zu Beginn brachte Kathrin Viergutz es treffend auf den Punkt: „Heute werden wir einige sehr mutige Menschen erleben, die ihre Ideen einfach durchgezogen haben.“ Im Besonderen gilt das für die RITTEC 8.0 Umwelttechnik GmbH und das Institut für Chemische und Thermische Verfahrenstechnik (ICTV) der Technischen Universität Braunschweig. Die Auszeichnung mit dem Technologietransferpreis der IHK Braunschweig würdigt nicht nur ihre hervorragende Zusammenarbeit, sondern auch die Entschlossenheit, ungeachtet aller Widerstände an ihrem Verfahren zum Monomer-Recycling von PET-Kunststoffen festgehalten zu haben.
Gute Ideen sind nicht nur in den Unternehmen selbst zu finden, sondern auch in der Art und Weise, wie diese Errungenschaften präsentiert werden und Anerkennung finden. Der Technologietransferpreis 2023 ist dafür ein Paradebeispiel. Mario Schlömann, Referent für Innovation, Umwelt & Energie bei der IHK Braunschweig und Verantwortlicher für die Organisation des Technologietransferpreises, wandte sich an die Gäste: „Heute gehen wir neue Wege.“ Zusammen mit Kathrin ­Viergutz, Mobilitätsforscherin am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, moderierte er gekonnt und unterhaltsam die Preisverleihung, die sich in einem frischen, neuen Format präsentierte.

Innovation auch für den Technologietransferpreis

IHK-Präsident Tobias Hoffmann unterstrich die Notwendigkeit der Innovation, selbst für den Technologietransferpreis: „Auch ein solches Medium muss sich erneuern, wenn wir diesen Anspruch an die Teilnehmer stellen.“ Neben der Veränderung des Rahmens – statt im Herbst im Kongresssaal der IHK Braunschweig fand die Preisverleihung nun im Frühling im Lilienthalhaus am Forschungsflughafen statt – war die bedeutendste Neuerung das Mitspracherecht der Besucher. Aus einer Fülle an starken Bewerbungen, so viele wie schon lange nicht mehr, hatte die Jury drei Finalisten ausgewählt. Doch letztendlich lag die Entscheidung, wer als Sieger hervorgeht, zum ersten Mal in den Händen der Gäste. „Erst heute wird der Sieger live und in Farbe gekürt“, verkündete Tobias Hoffmann.
Zuvor richtete Falko Mohrs, der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, eine Videobotschaft an die Anwesenden. Anschließend hielt ­Felix Büsching, Professor an der Ostfalia Hochschule und versierter Redner bei Science Slams, eine rasante Keynote über die Kraft guter Ideen und die Kunst des Scheiterns. Dann galt alle Aufmerksamkeit den drei Preisanwärtern.
Um den Technologietransferpreis zu gewinnen, hatten alle Nominierten dieselben Voraussetzungen: Sie hatten zehn Minuten Zeit, um das Publikum von ihrer Eignung zu überzeugen. Hierzu nutzte jeder sowohl einen vorproduzierten Einspieler als auch die Möglichkeit, sich live auf dem Podium zu ­präsentieren – so auch Carsten Eichert und Professor Stephan Scholl. Der Geschäftsführer von ­RITTEC und der Leiter des ICTV verkündeten ihr Ziel, „die Recycling-Welt ein wenig zu revolutionieren“. Ihr siegreicher Transfergegenstand ist die Entwicklung einer Recycling-Technologie für PET und Polyester. Das Umwelttechnik-Unternehmen stammt aus Lüneburg und hat nun in Braunschweig ein neues Zuhause gefunden (lesen Sie dazu auch unser Interview mit Carsten Eichert am Ende des Artikels).

RITTEC zerlegt Kunststoffe in ihre Bauteile

In diesem Projekt sind viele Studierende der TU Braunschweig mit ihren Studien- und Masterarbeiten beteiligt. Aus der Reihe der Absolventen sind vier ihrer Aufgabe treu geblieben. Sie sind bei RITTEC beschäftigt und entwickeln das Verfahren weiter, um Kunststoffe in ihre Bausteine zerlegen zu können, sie in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen und unabhängig von fossilen Rohstoffen zu werden. Während der Präsentation warfen sich Carsten Eichert und Stephan Scholl geschickt die Bälle zu, indem sie auf den TV-Spot mit Günther Jauch und die Kreislaufflasche zu sprechen kamen. „Kommen wir nicht viel zu spät? Lidl macht das doch alles schon“, meinte der eine. „Die Flasche kann ja jeder“, entgegnete der andere und fügte hinzu: „Wir können sowohl die Käseverpackung als auch die Jacke recyceln und neue Produkte entstehen lassen.“
Die Zukunft ihrer Partnerschaft war ungewiss. Am 27. Februar musste Carsten Eichert für RITTEC Umwelttechnik Insolvenz anmelden. Zuvor hatte er lange Zeit versucht, Investoren von seiner Idee zu überzeugen und aus der deutschen Wirtschaft frisches Kapital aufzubringen – erfolglos. Knapp sechs Wochen nach Insolvenzanmeldung fand das Unternehmen dann doch einen Geldgeber, der dem kompletten Team eine neue Perspektive ermöglicht. „Wir machen weiter“, sagte Carsten ­Eichert, der sichtlich berührt die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit schilderte. „Das sind Momente, die tief bewegen.“
Wenig später, als alle Pitches vorüber waren, kam ein weiterer bewegender Moment hinzu. Nachdem das Publikum sein Votum abgegeben und das digitale Abstimmungssystem seine Aufgabe erfüllt hatte, war klar: RITTEC und ICTV sind die glücklichen Gewinner des Technologietransferpreises 2023, der mit 10 000 Euro dotiert ist.

Auch die Aeon Robotics GmbH und die PhySens GmbH sind Gewinner

Obwohl die Aeon Robotics GmbH und die PhySens GmbH in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik (IGEP) der TU Braunschweig nicht den ersten Platz erreicht haben, sind sie dennoch Sieger. Die Nominierung der beiden Braunschweiger Unternehmen allein zeugt von herausragenden Leistungen, die Anerkennung und Würdigung verdienen. „Alle Pitchs haben gezeigt, dass in unserer Region Spitzenmäßiges geleistet wird“, betonte Tobias ­Hoffmann.
Aeon Robotics ist ein Spin-off der TU Braunschweig, das eine Roboterhand nach menschlichem Vorbild entwickelt hat. Der Roboter bedient sich künstlicher Intelligenz, um die Greifbewegungen und -kräfte des Menschen nachzuahmen. Die Roboterhand kann von jedem angelernt werden, ohne dass Programmierkenntnisse notwendig sind. Diese vielseitige Automatisierungslösung kann in verschiedensten Bereichen für monotone und körperlich anstrengende Tätigkeiten eingesetzt werden, wie beispielsweise in der Industrie, für Reinigungsarbeiten oder im Pflegesektor. „Bei unserer Technologie steht die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Roboter im Fokus“, sagt Geschäftsführer Lars Heim.
PhySens ist ein Start-up, das hochpräzise Magnetfeld- und Messtechnik mit komplexen Algorithmen für die Datenverarbeitung verbindet. Fortschritte in der Quantentechnologie, Halbleitertechnik und künstlicher Intelligenz haben neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnet. Von dem Dienstleistungs- und Produktportfolio profitiert beispielsweise die Bahntechnik. Im 5G-Testfeld im Erzgebirge setzt PhySens mit der Deutschen Bahn ein autarkes, drahtloses System ein zur Überwachung der Infrastruktur und kritischer Komponenten. Der Schienenverkehr steht vor der ­Herausforderung, eine steigende Anzahl von Fahrgästen und Gütern sicher zu befördern. „Um das effizient umzusetzen, braucht es neue, innovative Sensorik“, sagt Geschäftsführerin Katharina Ostaszewski.
Neben dem Technologietransferpreis wurde eine weitere Auszeichnung vergeben. Den mit 3000 Euro dotierten Sonderpreis für herausragende Leistungen im Technologietransfer gewann die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig für die Entwicklung eines digitalen Kalibrierzertifikates. Als PTB-Direktor Professor Siegfried Hackel den Preis entgegennahm, brachte er zum Ausdruck, was vermutlich viele während dieser gelungenen Veranstaltung empfanden. „Ich bin heilfroh, in einer Forschungsregion wie Braunschweig zu sein, wo der Kontakt zwischen Wirtschaft und Wissenschaft so intensiv und so gut ist.“ Der Technologietransferpreis 2023 liefert einen sehr guten Beweis.

„Jeder im Team hat immer an die Idee geglaubt“

Erst die Enttäuschung aufgrund der Insolvenz, gefolgt von neuem Optimismus durch den Einstieg des Investors und schließlich die Freude über den Gewinn des Technologietransferpreises: Seit Beginn des Jahres hat ­RITTEC 8.0 Umwelttechnik eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Im Interview erzählt ­Carsten ­Eichert, was das preisgekrönte Verfahren zum Kunststoffrecycling so leistungsstark macht und welche Zukunftspläne er verfolgt. Und der Geschäftsführer spricht darüber, warum sein Team eine große Stütze in dieser herausfordernden Zeit ist.
Herr Eichert, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Technologietransferpreises 2023 der IHK Braunschweig. Welche Bedeutung hat der Preis für Ihr Unternehmen?
Für uns hat der Technologietransferpreis eine besondere Bedeutung – und das aus drei Gründen. Zum einen spiegelt er die Wertschätzung für unsere Arbeit wider. Zum zweiten unterstreicht die Auszeichnung eindrücklich, was man gemeinsam erreichen kann. Seit sechs Jahren finanzieren wir am Institut für Chemische und Thermische Verfahrenstechnik der TU Braunschweig die Stellen von mindestens zwei Mitarbeitern mit Fördermitteln. Auch im Entwicklungsbereich unseres Unternehmens werden mit diesem Geld Kosten getragen. Der Mittelstand unterschätzt das Potenzial der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Die Chance, bei geringer finanzieller Belastung zusammen gute Ergebnisse erzielen zu können, wird zu wenig wahrgenommen.
Und der dritte Grund?
Unser Unternehmen hat eine superschwere Phase durchgemacht – und trotzdem ist uns kein Mitarbeiter von der Stange gegangen. Der Technologietransferpreis kommt genau zur richtigen Zeit. Der Preis ist die Belohnung dafür, dass jeder im Team immer an die Idee geglaubt und weitergearbeitet hat. Ohne die Gewissheit, dass wir das Vertrauen aller haben, hätten Professor Stephan Scholl vom ICTV und ich das nicht durchgehalten. Bei RITTEC sind wir 15 Mitarbeiter, und jeder erfüllt seine Rolle auf herausragende Art und Weise. Insbesondere für die jungen Menschen ist die Auszeichnung eine riesige Motivation.
Was genau steckt hinter Ihrer Recycling-Technologie?
Unsere disruptive Technologie ist in der Lage, aus gemischten Abfällen Polyester oder PET selektiv herauszulösen und so zum Beispiel Baumwolle aus Textilien und PE-Folien aus Verpackungen freizusetzen. Aus den herausgelösten Stoffen produzieren wir Basischemikalien, mit denen wir neues Polyester oder PET herstellen können. Die Technologie ermöglicht die vollständige Substitution der aus fossilen Rohstoffen gewonnenen Materialien, indem wir zu den ursprünglichen Ausgangsstoffen zurückkehren.
Was unterscheidet Ihre Technologie von anderen, die ein ähnliches Wirkungsfeld haben?
Wir zerlegen den PET-Polymer mit einer sehr hohen Geschwindigkeit. Für ein Kilogramm PET benötigen wir weniger als eine Minute. Die Technologien unserer Wettbewerber brauchen bis zu 16 Stunden. Das eröffnet uns die große Chance, auch betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig zu sein.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Es liegt noch ein Weg vor uns. Die Anlagen, die wir benötigen, kosten viel Geld. Deswegen sind wir mit weiteren Investoren im Gespräch. Auch die Erlöse, die wir erzielen wollen, stoßen in große Dimensionen vor. Wir investieren Millionen, um Millionen zu verdienen. Technologisch haben wir noch einige Fragen zu beantworten. Darum wird die Zusammenarbeit mit dem ICTV weitergehen. Gerade verlagern wir unseren Unternehmenssitz von Lüneburg nach Braunschweig, wo sich unsere Technikumsanlage befindet.
Wo sollen Ihre Anlagen zum Einsatz kommen?
Wir planen unsere Anlagen bei denjenigen aufzustellen, die über die Stoffströme verfügen, die wir benötigen. Anstatt den Abfall hunderte von Kilometern zu transportieren, wollen wir unsere Technologie vor Ort bei und mit den Recyclern betreiben. Die daraus resultierenden Chemikalien verkaufen wir. Wir wollen ein Netzwerk dezentraler, mittelgroßer Aufbereitungsanlagen schaffen, die jeweils etwa 25 000 Tonnen PET-Abfälle verarbeiten können. Das ist in etwa die Menge, die in der Region Braunschweig von Gifhorn bis zum Harz und von Peine bis Helmstedt zusammengetragen wird. Bereits mit geringeren Kapazitäten schaffen wir es, in den profitablen Bereich zu kommen. Die Dezentralität ist eine besondere Stärke unserer Technologie.
Stefan Boysen