Kunststoff-Technik Helmstedt - Aus der Garage in die Welt

Anfang der 1970er-Jahre, in einer Garage irgendwo zwischen Werkzeugregalen und einer betagten Spritzgussmaschine, beginnt eine jener Gründungsgeschichten, wie man sie eher aus dem Silicon Valley erwarten würde. Im Mittelpunkt steht ein Tüftler, der überzeugt ist, es mit eigenen Ideen besser machen zu können – und kurzerhand seine ersten Verschlüsse selbst herstellt. Fünf Jahrzehnte später ist daraus ein Unternehmen geworden, das weltweit liefert und dessen Produkte im kritischen Moment über Sicherheit oder einen Chemieunfall entscheiden können: die Kunststoff-Technik Helmstedt GmbH.
Aus der improvisierten Werkstatt von einst hat sich ein hochspezialisierter Kunststoffverarbeiter entwickelt. Hergestellt werden Schraubverschlüsse aus Polyethylen – auf den ersten Blick unscheinbare Bauteile, die jedoch in der Chemie- und Medizintechnik eine wichtige Rolle spielen. Ohne sie wäre ein sicherer Transport von Gefahrgut kaum möglich. Die Größenordnung ist beachtlich: „Jährlich stellen wir zwischen 15 und 20 Millionen Verschlüsse her“, sagt Geschäftsführer Thomas Keil.

Verschlüsse im Stresstest

Die meisten Verschlüsse finden ihren Weg an Orte, die im Alltag kaum jemand zu Gesicht bekommt – in Industriebetriebe, zu Reinigungsdienstleistern oder in die Sterilisationsabteilungen von Kliniken. Dort stehen Kanister mit hochwirksamen Chemikalien, die etwa Endoskope oder OP-Besteck für den nächsten Einsatz aufbereiten. Die eingesetzten Mittel lösen organische Rückstände – und sind zugleich so wirkstoffstark, dass ihre Lagerung besondere Vorgaben erfordert. Genau hier kommen die Verschlüsse aus Helmstedt seit Jahren zuverlässig zum Einsatz.
Unser Exportanteil liegt bei 60 Prozent.
Besonders anspruchsvoll sind Anwendungen, in denen Flüssigkeiten durch hohe Temperaturen oder chemische Reaktionen unter Druck geraten. Dann müssen die Verschlüsse zweierlei leisten: absolut dichthalten und bei Bedarf kontrolliert entgasen. Die Prüfverfahren dafür sind entsprechend streng. Wochenlange Belastungstests, extreme Temperaturschwankungen und Fallversuche aus mehreren Metern Höhe gehören zum Standard. Anforderungen, denen die Produkte der Kunststoff-Technik Helmstedt in vielen Ländern standhalten. „Unser Exportanteil liegt bei 60 Prozent“, so Keil.
Im Maschinenpark stehen heute 32 Spritzgussanlagen, auf denen Verschlüsse in Größen zwischen 25 und 100 Millimetern produziert werden. Die dafür erforderlichen Werkzeuge werden in Helmstedt konstruiert – entwickelt, gebaut und gewartet vom eigenen Team. Für den Geschäftsführer ist das ein entscheidender Vorteil: „Weil die Werkzeuge im eigenen Haus gefertigt werden, können wir im Reparaturfall sofort reagieren. Lange Ausfallzeiten können wir uns nicht leisten.“

Zufall legt Grundstein für Unternehmensgründung

Die Geschichte der Kunststoff-Technik Helmstedt ist untrennbar mit ihrem Gründer verbunden: Gerold Keil, gelernter Monteur für Blasmaschinen, reiste in den frühen Jahren seines Berufslebens für seinen damaligen Arbeitgeber um die halbe Welt. Dabei bekam er aus nächster Nähe mit, wie Kanister und Verschlüsse produziert wurden – und wie es dabei zu Fehlern kam. „Einmal hat er miterlebt, wie in einem Betrieb die Materialien vertauscht wurden“, erzählt sein Sohn Thomas Keil. „Der Kunststoff, der eigentlich für die Kanister bestimmt war, landete in den Verschlüssen – und umgekehrt.“
Für Gerold Keil war dieser Vorfall ein Schlüsselmoment. Er erkannte, dass das ursprünglich für Kanister vorgesehene Material deutlich widerstandsfähiger war als das, was damals üblicherweise für Verschlüsse verwendet wurde – es hielt höheren Belastungen stand und versprach eine bessere Haltbarkeit. Aus Versehen entstand in einem fremden Betrieb eine Idee, die ihn fortan nicht mehr losließ. Zu Hause in der Garage stellte er seine erste Maschine auf, zerlegte sie, setzte sie neu zusammen, modifizierte Werkzeuge, testete – und entwickelte Schritt für Schritt einen Verschluss, der die Belastbarkeit des Kanistermaterials nutzte. So legte sein Vater den Grundstein für seine eigene Firma.
Lange blieb es nicht bei der Garage. Mit den ersten Aufträgen und dem wachsenden Werkzeugbedarf zog Gerold Keil in ein größeres Gartenhaus um, stellte weitere Maschinen hinein und ergänzte das Nötigste, was eine kleine Fertigung brauchte – vom selbstgebauten Kühlbrunnen bis zur ersten Drehbank. Doch auch dieser Raum reichte bald nicht mehr aus. Schließlich verlegte Gerold Keil den Betrieb in eine stillgelegte Gießerei in Helmstedt. Dort errichtete er Trennwände, richtete Arbeitsbereiche ein und schuf ein kleines Büro. Schritt für Schritt entstand so eine Produktionsumgebung, die mit jedem Jahr professioneller wurde – und die den Weg bis zum heutigen Firmensitz im Industriegebiet an der Von-Guericke-Straße ebnete.
„Sein Traum war, ein eigenes Unternehmen zu gründen“, betont Keil. „Er wollte sein eigener Chef sein.“ Und er war jemand, der sich in technische Fragen regelrecht vergrub und nie aufgab. „Er hat so lange an einer Lösung getüftelt, bis es funktionierte.“ Auch im hohen Alter blieb Gerold Keil dem Betrieb eng verbunden – bis weit über seinen achtzigsten Geburtstag hinaus. Im vergangenen Jahr ist er verstorben.

Gelebter Mittelstand

Der Sohn führt das Vermächtnis des Vaters weiter: Die Werkzeugfertigung bleibt in eigener Hand, und das Team ist es gewohnt, technische Herausforderungen selbst zu lösen. Auch in der Geschäftsführung hat Thomas Keil eigene Akzente gesetzt. Mit einem vollautomatischen Montageautomaten wurden zuvor ausgelagerte Arbeitsschritte wieder ins Unternehmen zurückgeholt. Neu ist zudem, dass KTH wieder ausbildet: Nach längerer Pause wurde erstmals eine Auszubildende im Bereich Büromanagement eingestellt.
Dass bei uns oft mehrere Familienmitglieder arbeiten – das ist schon etwas Besonderes.
Heute zählt die Belegschaft rund 40 Mitarbeitende – viele von ihnen sind den Helmstedtern seit Jahren verbunden. Manche kennen sich bereits seit Schulzeiten, andere arbeiten gemeinsam mit Angehörigen im Betrieb. Für ihn ist dieser Zusammenhalt ein wesentliches Merkmal: „Dass bei uns oft mehrere Familienmitglieder arbeiten – das ist schon etwas Besonderes.“
Die Branche der Kunststoffverarbeitung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Heute prägen große Unternehmensgruppen den Markt, Eigentümerwechsel sind keine Ausnahme. In diesem Umfeld positioniert sich die Kunststoff-Technik Helmstedt bewusst anders – als unabhängiger, mittelständischer Familienbetrieb. „Solange unser Anteil am Markt solide ist, bin ich sehr zufrieden“, sagt Thomas Keil lächelnd.
Stillstand bedeutet das nicht. Zur Unternehmensgruppe gehört auch ein Projekt, das mit Kunststoffproduktion wenig zu tun hat – aber viel über den Gründer verrät: der „Goldene Stern“ in Helmstedt. Die frühere Gaststätte mit Zimmern stand lange leer, bis Gerold Keil sie bei einer Zwangsversteigerung erwarb, weil ihn der Zustand des Gebäudes störte. Heute wird das Haus als Hotel von der Familie Keil geführt – und schrittweise modernisiert.
Wenn der heutige Inhaber über sein Unternehmen spricht, drängt sich ein Begriff immer wieder auf: Beständigkeit. „50 Jahre Kontinuität“, sagt er – und meint damit einen Betrieb, der seit Jahrzehnten mit denselben Grundsätzen und vielen vertrauten Gesichtern arbeitet. Für ihn ist das der Maßstab und auch der Ausblick. „Ich will es so weitermachen.“
9/2025