Mittelstand gestaltet Zukunft

Vor dem Hintergrund anhaltender und aufkeimender geopolitischer Konflikte lohnt es sich mehr denn je, den Blick nach innen zu schärfen. Zwei Braunschweiger Mittelständler haben Weitsicht bewiesen und mit einer Kooperation seit 2025 ihre Ressourcen und ihr technisches Know-how gebündelt. Die Wentronic Solutions GmbH und die Ihlemann GmbH begegnen sich dabei nicht nur auf Augenhöhe, sondern entfalten in der gemeinsamen Entwicklung und Fertigung hochwertiger industrieller Elektroniklösungen neue, zukunftsfähige Innovationskraft.
Als sich die beiden Partner begrüßen, wird spürbar, dass sie mehr als eine Geschäftsbeziehung verbindet. Marcus Wendt, Geschäftsführer der Wentronic Solutions GmbH, und Martin Ihlemann, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Familienunternehmens, stecken vertraut die Köpfe zusammen. Es geht um neue Projekte, den letzten Unternehmerstammtisch, dem beide angehören, aber auch den bevorstehenden Urlaub. Wie es zu der Partnerschaft gekommen ist, erklärt Marvin Diedrichs, Chief Operating Officer und Einzelprokurist von Marcus Wendt, und muss dafür etwas weiter ausholen. Im Januar 2023 übernahm Wentronic Solutions die Hardwareentwickler-Firma af inventions GmbH der beiden Geschäftsführer Michael Klockenhoff und Magnus Asplund, mit denen zuvor bereits eine Zusammenarbeit bestand. „Die umfassende Entwicklungskompetenz in Hard- und Software war für uns Gold wert und so ist der Unternehmenszukauf entstanden“, berichtet der 44-Jährige. Damit konnte Wentronic Solutions die digitale Produktentwicklung von OEM-Elektroniklösungen weiter vorantreiben. Im Zentrum des jungen Unternehmens, das im Juni neunjähriges Jubiläum feierte, stehen die Entwicklung und Integration intelligenter elektronischer Komponenten, darunter Batteriemanagementsysteme, Embedded-Systeme, FPGA, Prüfstandstechnik sowie Connectivity-Lösungen für industrielle und automobile Anwendungen. Der ehemalige Geschäftsführer von af inventions und nun Head of Development Hardware & Software bei Wentronic Solutions, Michael Klockenhoff, führt aus, dass sein damals noch eigenständiges Unternehmen bereits vor der Fusion gemeinsame Projekte mit der Ihlemann GmbH realisierte. Seit Anfang des Jahres hat Wentronic Solutions nach einer zweijährigen Integrationsphase den Kontakt zu Martin Ihlemann und seinem Team wieder intensiviert. „Wir haben festgestellt, dass diese Partnerschaft mehr als gewinnbringend ist. Die regionale Nähe ermöglicht uns mehr Flexibilität und Pragmatismus, was natürlich auch für den Kunden extrem wertvoll ist. Losgelöst davon kannte Wentronic ­Solutions die Firma Ihlemann schon vorher als ein Unternehmen mit extrem guter Fertigungstiefe und hervorragender Expertise, das den Pfad der Industrialisierung für Konzeptideen punktgenau vorausdenkt. Wir sprechen die gleiche Sprache“, zählt Marcus Wendt einige Vorteile der aufblühenden Kooperation auf.
Diese Partnerschaft ist mehr als gewinnbringend. Wir sprechen die gleiche Sprache.

Marcus Wendt

Von der Idee bis zur Fertigung

Ihlemann ergänzt, dass ihn und Wendt seit mindestens 15 Jahren eine private Freundschaft verbinde, was der Geschäftsbeziehung einen zusätzlichen Pluspunkt verleihe. Die Kooperation wieder aufleben zu lassen, habe sich quasi aufgedrängt, weil „alle davon profitieren, ohne dass Interessenkonflikte geschürt werden. Außerdem sehen wir uns dadurch regelmäßig“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter mit einem Lächeln in die Runde. Sein Familienunternehmen blickt auf eine über 50-jährige Geschichte als Elektronikfertiger zurück und verfügt über umfassende Fachkompetenz in der Produktion komplexer elektronischer Baugruppen und Systeme auf Basis modernster Technologien. Der Braunschweiger Mittelständler ist spezialisiert auf Electronic Manufacturing Services (EMS) für anspruchsvolle Anwendungen – von industriellen Steuerungen bis zu sicherheitskritischer Medizintechnik mit höchsten Anforderungen an Qualität, Präzision, Sicherheit und Zuver­lässigkeit. Gemeinsam überführen die beiden Unternehmen, die nur wenige Autominuten voneinander entfernt liegen, komplexe Kundenanforderungen in marktfähige Produkte, die nicht nur technisch überzeugen, sondern auch in der Supply Chain belastbar sind. Dass sich daraus weitere Synergien ergeben, berichtet Michael Klockenhoff: „Das Zusammenspiel aus Entwicklung und Fertigung bringt neue Kernkompetenzen mit, die wir projektübergreifend einsetzen und auf spezifische Aufgabenstellungen übertragen können. Als Entwickler schreiben wir Design for Manufacturability (DFM) groß und wissen genau, wie eine Baugruppe entwickelt werden muss, damit sie gut produziert werden kann.“ Da auch Ihlemann langjährige Erfahrung in der digitalen Design-Evaluierung hat, können durch die gebündelte Expertise innovative Lösungen mit hoher Produktqualität entstehen.
‚Made in Germany‘ ist ein absolutes Qualitätsmerkmal, das wieder an Bedeutung gewonnen hat und den Kunden zusätzliche Sicherheit bietet.

Martin Ihlemann

Regionale Stärke

Dabei versteht sich der OEM-Dienstleister Wentronic ­Solutions, dessen Kerngeschäft aus der Zusammenarbeit mit aktuell etwa 120 Lieferanten weltweit besteht, als „Firewall“ für den Produzenten. „Wir kanalisieren aus den Kundenanforderungen die für den Produzenten wesentlichen Aspekte, sodass sich ein Martin Ihlemann auf die Fertigung fokussieren kann. Umso besser ist es natürlich, wenn der Fertiger direkt nebenan sitzt“, so Diedrichs, der seinem Geschäftspartner zuzwinkert und die positiven Aspekte durch die räumliche Nähe nochmals unterstreicht. „Durch den Standortvorteil haben die Entwickler die Chance, während des Großwerdens eines produktionsnahen Prototypens dabei zu sein und noch eingreifen zu können“, betont auch Ihlemann den Gewinn bei einer engen Verzahnung von Produktentwicklung und fertigungsnaher Umsetzung. „Unsere Erfahrung ist zudem, dass viele unserer Kunden es problematisch finden, wenn der Lieferant eine eigene Entwicklung hat und dementsprechend die Möglichkeit, Know-how abzugreifen. Das können wir mit unserer Kooperation ausschließen und dem Kunden somit komplette Datensicherheit gewährleisten“, beschreibt der 48-jährige Unternehmer einen weiteren Mehrwehrt. Von der Idee bis zum fertigen Endprodukt stamme alles aus einer Hand und habe den Vorteil, eine komplexe Wertschöpfungskette regional anbieten zu können. Ihr genereller Wachstumskurs in wirtschaftlich instabilen Zeiten sowie langjährige Kundenbeziehungen seien der beste Beweis für den Erfolg ihrer regionalen Kooperation.
Da, wo Nähe ist, ist auch Stärke.

Marvin Diedrichs

Solides Wachstum

Wie die Herstellung vom ersten Prototyp bis zur Serienfertigung funktioniert, veranschaulichen die Vertreter der beiden High-Tech-Spezialisten an einem Beispiel aus der Caravan-Industrie. Ein Markt, der für Wentronic Solutions als Zulieferer für Konnektivitätsprodukte schon seit vielen Jahren ein wesentliches Standbein in Europa darstellt. In Zusammenarbeit mit der Ihlemann GmbH befindet sich aktuell ein Solarladeregler in der Weiter- bzw. Ausentwicklung, der die gewonnene Sonnenenergie möglichst effizient im Fahrzeug verteilt. „Der Freizeitmarkt ist wichtig für uns, wir durchlaufen hier – entgegen aller Branchenstimmen – eine solide Wachstumskurve. ‚Smart Caravaning‘ erfordert ein komplexes Zusammenspiel von hochtechnologisierten Entwicklungs- und Fertigungsleistungen, die wir gemeinsam realisieren“, erklärt Diedrichs. „Innovationskraft ist das große Stichwort, das uns mit der Ihlemann GmbH vereint“, betont auch Wendt den Aufschwung. Ebenso seien Elektromobilität und damit verbundene Themen wie Batteriemanagementsysteme oder bidirektionales Laden aktuelle Trends, denen sich die Partner widmen.

Made in Germany

Die Kooperation im Mittelstand sei für beide ein Teil der Zukunft. Warum dieses Konzept noch nicht so verbreitet ist, liegt laut Wendt an dem extremen Fokus auf Asien in den 1990er- und 2000er-Jahren. „Deutschland hat sich zwischenzeitlich deutlich weiterentwickelt. Wir sind wieder ein Produktionsstandort geworden, der auch preislich gut mithalten kann.“ Der 53-Jährige mahnt an, dass es für deutsche Unternehmen notwendig werden wird, ihre Weichen bewusst Richtung Europa zu stellen, um dort Fertigungspartner zu finden. „Bei komplexen Kundenanforderungen gepaart mit hohen Sicherheitserwartungen macht es sich bezahlt, nicht in Asien fertigen zu lassen, sondern lokale Kooperationen einzugehen.“ Die Nähe zu regionalen Produzenten und dadurch auch zur mittelständischen Kundschaft müsse sich erst wieder entwickeln. Vor allem vor dem Hintergrund geopolitischer Risiken, „ist die Besinnung auf das, was so nahe liegt, umso wesentlicher. Denn da, wo Nähe ist, ist auch Stärke“, fasst Prokurist Diedrichs treffend zusammen und unterstreicht, dass deutsche Fertiger dem internationalen Preis-Leistungs-Verhältnis in nichts nachstehen. Abhängigkeiten zum asiatischen Markt werde es immer geben, ist sich Martin Ihlemann sicher, aber „Made in Germany“ sei ein absolutes Qualitätsmerkmal, das wieder an Bedeutung gewonnen habe und den Kunden zusätzliche Sicherheit biete.

Mittelständische Bodenhaftung

In der regionalen Verwurzelung sehen die Partner ganz klar eine innovative, wettbewerbs- und zukunftsfähige Investition in die Zukunft – ein strategischer, aber auch menschlicher Vorteil. Denn aufgrund ihrer mittelständischen Bodenhaftung bauen sie auf langjährige persönliche Kundenbeziehungen und gestalten die Entwicklung ihrer Heimat aktiv mit. Dazu zählt für beide ebenso die Förderung von Fach- und Nachwuchskräften. Die Firma Ihlemann ist sehr stolz auf viele langjährig Beschäftigte und bildet Elektroniker für Geräte und Systeme sowie Industriekaufleute aus. Lediglich für die Logistik geeignetes Fachpersonal zu gewinnen, sei aktuell schwierig. Die Wentronic GmbH als größeres Schwesterunternehmen bildet ebenso seit Jahren aus, die Wentronic Solutions GmbH war bisher nur Ausbildungsstation, möchte aber ab dem kommenden Jahr selbst ausbilden. Einfach sei es jedoch nicht, speziell qualifiziertes und erfahrenes Fachpersonal zu finden, da die Jugend heute sehr stark spezialisiert sei, es gebe nur noch wenige „Allrounder“. Beide Mittelständler investieren außerdem ins Recruiting ausländischer Fachkräfte, Wentronic Solutions arbeitet darüber hinaus sehr erfolgreich mit der Lebenshilfe gGmbH zusammen.
ar
6/2025