Invent GmbH - Viel Luft nach oben

Ohne Daten aus dem All wäre vieles, was wir heute über die Erde verstehen, kaum denkbar. Immer mehr Satelliten sollen Informationen liefern, Kommunikation sichern und den Blick auf unseren Planeten erweitern. Auch Europa will aufholen und Milliarden investieren, um weniger abhängig von großen Technologiekonzernen aus den USA zu sein. Für die Invent GmbH aus Braunschweig ist das eine Gelegenheit, ihre Stärken auszuspielen. Das Unternehmen, spezialisiert auf tragende Bauteile aus Faserverbundstoffen, zählt zu den gefragtesten Partnern für die großen Missionen der europäischen Raumfahrt und will diesen Vorsprung weiter ausbauen.
„Die Raumfahrt hat in den vergangenen Jahren unheimlich an Bedeutung gewonnen“, sagt Henning Wichmann, einer von drei Geschäftsführern des Unternehmens an der Christian-Pommer-Straße. Ohne Satelliten wüssten wir vieles über die Erde gar nicht – wie stark die Temperaturen global steigen, welche Regionen besonders von Eisschmelze betroffen sind oder wie sich die CO₂-Werte entwickeln. Erdbeobachtungsmissionen – also Satellitenprojekte, die aus dem All Daten über die Erde sammeln – werden deshalb immer wichtiger.

Technik aus Braunschweig im Weltall

Hier kommt Invent ins Spiel. Die Braunschweiger entwickeln und fertigen Bauteile aus Faserverbundstoffen – also extrem leichte und gleichzeitig enorm belastbare Komponenten, die in der Raumfahrt, Luftfahrt und Industrie zum Einsatz kommen. Besonders bei Satelliten ist äußerste Genauigkeit gefragt – und genau in dieser anspruchsvollen Präzisionsfertigung liegt die besondere Stärke. „In Deutschland sind wir auf diesem Gebiet ganz klar Marktführer, und in Europa gehören wir zu den top drei“, sagt Geschäftsführer Christoph Tschepe.
So trägt Invent maßgeblich dazu bei, dass ein Satellit im Weltraum seine Aufgaben zuverlässig erfüllen kann. Während des Betriebs bilden die Bauteile das tragende Gerüst: Sie sichern Kameras, Antennen und Sensoren selbst bei den heftigen Vibrationen eines Raketenstarts und sorgen dafür, dass sie punktgenau an ihrem vorgesehenen Platz bleiben. Diese Bauteile müssen unter heftigsten Belastungen dauerhaft stabil bleiben – etwa, wenn sie mechanischen Kräften oder Temperaturschwankungen von mehreren Hundert Grad ausgesetzt sind.
Wir haben Missionen, die zum Jupiter fliegen, um dort die Eismonde zu untersuchen.

Christoph Tschepe

„Wir haben Missionen, die zum Jupiter fliegen, um dort die Eismonde zu untersuchen“, erzählt Christoph Tschepe. Solche Sonden nehmen zunächst Kurs auf die Venus – dort herrschen rund 160 Grad Celsius – und werden anschließend bis zum Jupiter geschleudert, wo es auf bis zu minus 200 Grad abkühlt. „Innerhalb dieser Spanne muss trotzdem alles exakt bleiben – sonst gerät die gesamte Mission in Gefahr.“
Auch das von der EU-Kommission initiierte Satellitenprogramm IRIS² treibt die Branche voran – und eröffnet neue Chancen für Invent. Ziel des Programms sei es, ein eigenes Kommunikationsnetzwerk im All aufzubauen und unabhängiger von Systemen wie Starlink von SpaceX zu werden, erklärt Dr. ­Fabian Preller, der das Geschäftsführer-Trio bei Invent komplettiert. „Geplant sind Hunderte, in anderen Programmen teils sogar Tausende Satelliten, um eigene Kommunikationsnetze zu installieren.“
Invent bringt genau das Know-how mit, das für diese und viele weitere Satelliten benötigt wird. „Neben IRIS² gibt es zahlreiche Projektanfragen – nicht nur aus Europa, sondern auch aus den USA, Kanada und anderen Ländern“, sagt Christoph ­Tschepe. Für Invent bedeutet das langfristige Perspektiven und weitere Expansionsmöglichkeiten. Die Satellitenflotten werden nach und nach erweitert, neue Trabanten bestellt und gebaut – und für jeden einzelnen werden Komponenten aller Art benötigt.

Für die Zukunft aufstellen

Auch in Braunschweig ist der Boom in der Raumfahrt längst angekommen: Invent ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Das Team hat sich nahezu verdoppelt, ebenso der Umsatz. Fast 150 Mitarbeitende sind inzwischen für das Unternehmen tätig, zuletzt wurden 16 Millionen Euro erwirtschaftet.
Das Wachstum spiegelt sich auch am Standort wider: Das Unternehmensgelände ist seit 2019 dreimal erweitert worden, um Platz für neue Projekte und zusätzliche Produktion zu schaffen. „Wir haben 2019 gebaut, 2022 und 2024 – und ich glaube nicht, dass das die letzte Erweiterung war“, sagt ­Henning Wichmann.
Die Veränderungen in der Geschäftsführung sind dabei eine gezielte Weichenstellung für die Zukunft: Henning Wichmann, seit der Ausgründung des Betriebs aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt vor 30 Jahren Geschäftsführer, hat die Leitung auf mehrere Schultern verteilt. Anfang des Jahres wurden mit Dr. Fabian Preller und Christoph Tschepe zwei langjährige Mitarbeiter aus dem eigenen Haus in die Geschäftsleitung berufen – beide mit technischem Hintergrund und umfassender Projekt-Erfahrung, insbesondere in der Raumfahrt.
Wir müssen technologisch immer ein stück weitergehen.

Dr. Fabian Preller

Gleichzeitig steht Invent unter wachsendem Wettbewerbsdruck, besonders innerhalb Europas. Raumfahrt ist kein rein technisches Feld, sondern eng mit politischen Interessen verbunden. Während Länder wie Frankreich Raumfahrt als strategische Industrie begreifen und massiv investieren, bleibe Deutschland in vielen Bereichen bisher zurückhaltend. „Wir leisten vielleicht ähnliche Beiträge zur Europäischen Weltraumorganisation ESA“, sagt Dr. Fabian Preller, „aber bei den zusätzlichen nationalen Programmen hinken wir den Franzosen meilenweit hinterher.“
Dabei geht es nicht um Subventionen, sondern um gezielte Investitionen in Forschung und Entwicklung – etwa in neue Materialien oder Fertigungsprozesse. Für Invent sind solche Programme essenziell, um am Puls der Zeit zu bleiben. Denn in Europa wachsen neue Anbieter heran, besonders aus Ländern mit niedrigeren Löhnen, die sich Schritt für Schritt an den Markt herantasten. „Wir dürfen nicht stehen bleiben“, betont Dr. Fabian Preller. „Wir müssen technologisch immer ein Stück weitergehen.“

„Alles, was kleiner ist als ein Schreibtisch, ist für uns ideal“

Bei aller Dynamik in der Raumfahrt bleibt auch die Luftfahrt unverzichtbar für Invent. Rund ein Fünftel des Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen mit Bauteilen für Verkehrsflugzeuge. Beliefert werden unter anderem Airbus und Deutsche Aircraft, aktuell vor allem mit Bauteilen für das Seitenleitwerk. Gefertigt wird nur, was technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. „Alles, was kleiner ist als ein Schreibtisch, ist für uns ideal“, sagt Henning Wichmann. Doch nicht alle Komponenten heben ab: Auch für das Deutsche Elektronen-­Synchrotron (DESY) in Hamburg fertigt Invent Präzisionsbauteile.
Invent plant den nächsten Wachstumsschritt, in den nächsten fünf, sechs Jahren soll sich der Umsatz ein weiteres Mal verdoppeln – doch dies bringt Herausforderungen, gerade im personellen Bereich. „Die richtigen Leute zu finden, ist eine der größten Aufgaben für uns“, betont Henning Wichmann.
Ein Blick in die Produktion zeigt, warum: Viele Arbeitsschritte sind hochkomplexe Handarbeit. Satellitenstrukturen entstehen nicht in großen Serien, sondern oft als Einzelstücke oder in kleinen Chargen – maßgeschneidert für die jeweilige Mission. „Wir reden hier von Genauigkeiten im Bereich von Hundertstelmillimetern – und das auf Strukturen, die einen Meter oder mehr groß sein können“, so Christoph Tschepe. Automatisierte Prozesse stoßen da schnell an Grenzen.
Gute Ingenieure und Fachkräfte sind daher gefragter denn je. Dabei setzt Invent in vielen Fällen bevorzugt auf Menschen aus der Region. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeitende, die hier verwurzelt sind, dem Unternehmen lange treu bleiben“, sagt ­Henning Wichmann. Und das ist entscheidend, denn wer an Satellitenstrukturen mitarbeitet, braucht Zeit, um das nötige Know-how aufzubauen. Erst nach Jahren entfalten viele Beschäftigte ihr volles Potenzial. „Dann kennen sie die Technik, unsere Abläufe und werden wirklich wertvoll für uns.“ Gerade deshalb will Invent vor Ort sichtbarer werden, um langfristig die richtigen Talente für sich zu gewinnen. Invent hat dafür ein besonderes Argument. Henning Wichmann: „Wir bauen bei uns Strukturen, die bis zum Merkur oder Jupiter fliegen.“ Höher hinaus kommt man in Braunschweig wohl nirgends.
boy
5/2025