Genuss mit gutem Gewissen

Der EthicLine GmbH aus Braunschweig gelingt es mit ihren Produkten, Tierleid zu mindern, einem traditionellen Gericht der gehobenen Küche neues Leben einzuhauchen und einen mächtigen französischen Bauernverband gegen sich aufzubringen. Grund genug für uns, das junge Unternehmen mal genauer anzuschauen.
Die Stopfleber (französisch: Foie Gras), ob von Gänsen oder Enten, ist eine Delikatesse, die vielen Menschen so gar nicht schmeckt. Das liegt in den meisten Fällen aber keineswegs am Geschmack, sondern an der Art und Weise ihrer Herstellung. Die Zwangsfütterung, die vor der Schlachtung vollzogen wird, um die Leber unnatürlich zu vergrößern, bedeutet für die Tiere eine fürchterliche Qual. Nicht ohne Grund ist die Stopfmast in Deutschland verboten. Und auch in den Nobel- und Sterne-Restaurants der Republik habe längst ein Umdenken eingesetzt, was die einstmals so beliebte Stopfleber angeht, weiß Phillip Esser zu berichten. „Es gibt die einen, die Stopfleber noch auf der Karte haben, aber wissen, dass es ein Problem ist. Und es gibt jene, die die Stopfleber schon lange von ihrer Karte verbannt haben“, erklärt der 34-Jährige, der es wissen muss, weil er von Berufs wegen viel mit edler Gastronomie, mit Spitzenköchen und Delikatessenhändlern zu tun hat. Esser ist Geschäftsführer der jungen Braunschweiger EthicLine GmbH, die mit den Produkten ihrer Marke Happy Foie den Tierqualen den Kampf angesagt hat.
Aber von Anfang an: Gegründet wurde das Start-up Ende 2018 von dem Musiker, Kabarettisten und ehemaligen Sternekoch Tobias Sudhoff. „Ihm war es immer ein Dorn im Auge, dass er Gänsestopf­leber servieren musste. Aber die Kundinnen und Kunden haben es nachgefragt“, erzählt Esser. Am Food Lab der FH Münster, einem Lebensmittellabor, an dessen Gründung Sudhoff beteiligt war, forschte der erklärte Befürworter einer „Lebensmittelwende“ dann an einer Methode, um die Leber von Gänsen oder Enten erst nach der Schlachtung „aufzufetten“. Das Ziel: Ein Produkt, das geschmacklich einer „echten“ Foie Gras in nichts nachsteht und sich zugleich mit gutem Gewissen bestellen lässt, weil es ohne Tierleid hergestellt wurde. Und Sudhoff erreichte sein Ziel: Andere Köche, die er seine im Labor gefettete Leber probieren ließ, waren begeistert. Schnell fand er Investoren, unter anderem in Braunschweig, wo die EthicLine heute auch ihren Sitz hat. Sudhoff hat die Geschäftsführung zwar abgegeben, ist aber noch immer das Gesicht der Marke, ist bei Koch-Events des Unternehmens präsent und prüft jede einzelne Charge vor ihrer Freigabe auf ihre Qualität, betont Esser, sein Nachfolger auf dem Stuhl des Geschäftsführers.

Geschmacklich gleichauf mit dem Original

Direkt an der Oker, im Gründer- und Coworking-Zentrum Trafo Hub in der Sophien­straße, ist Phillip Esser mit seinem dreiköpfigen Team damit beschäftigt, die Happy Foie, die „glückliche Leber“ also, den Kunden als tierfreund­lichere Alternative zur Foie Gras schmackhaft zu machen. Seit April 2022 ist der Braunschweiger im Unternehmen und leitet das operative Geschäft. „Wir haben viele Kunden, die einen Stern haben oder zumindest sehr dran sind“, sagt er, und entsprechend anspruchsvoll seien diese. Doch Esser und sein Vertriebsexperte Philipp Lagershausen haben im Gespräch mit ihren Kunden, egal ob Köchen der gehobenen Gastronomie oder Großhändlern, gute Argumente – das wichtigste, noch vor dem Tierwohl-Aspekt und der Bio-Zertifizierung, sei der Geschmack. „Wir haben eine Doppelblindverkostung durchgeführt“, berichtet Esser von einem Experiment: Spitzenköchen, aber auch gewöhnliche Konsumenten mit oder ohne Erfahrungen mit der Stopfleber, wurde Foie Gras und Happy Foie serviert. Das Ergebnis: „Was das Original und was unser Produkt war, konnte schlichtweg nicht erkannt werden.“
Mittlerweile würden viele Köche und Sterneköche die Happy Foie nutzen, weil sie nicht nur geschmacklich auf dem gleichen Niveau sei, sondern sich auch ebenso verarbeiten lasse. Und viele davon seien froh, dass sie die beliebte und vielseitig verwendbare Zutat wieder ohne ethische Bedenken auf die Karte setzen können, berichtet Vertriebschef Lagershausen. Gerichte, die eigentlich längst von vielen Speisekarten verbannt waren, beispielsweise der Foie-Gras-Klassiker Steak Rossini oder die raffinierten Gänsepralinen, erleben so in vielen Restaurants ein unverhofftes Comeback.
Die Produktion, die anfangs von Sudhoff selbst in kleinen Chargen erledigt wurde, ist mittlerweile an einen Produzenten in Saarbrücken ausgelagert worden. Die Gänse-, Enten- und Geflügel-Lebern kommen von Bio-Höfen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Österreich. „Die Bio-Bauern finden es gut, dass die Lebern, die sie sonst oft gar nicht verkaufen konnten, jetzt von uns nachgefragt werden“, sagt ­Lagershausen. Und zwar nicht nur wegen des Umsatzes, sondern auch, weil man so dem Nose-to-Tail-Ideal, also dem Prinzip, ein geschlachtetes Tier in Gänze zu verwerten, näher komme.

Ziel ist der Markteintritt in Frankreich

Im Jahr 2022 ist der Umsatz der EthicLine GmbH, die bald auch andere Produkte, etwa eine vegane Bratensoße auf den Markt bringen will, stark gewachsen. Rund drei Tonnen Happy Foie hat das Unternehmen im vergangenen Jahr verkauft. „Damit sind wir zufrieden, aber es gibt noch viel Potenzial nach oben“, sagt Esser. „Produktionskapazitäten hat die EthicLine derzeit etwa für 20 Tonnen, wir arbeiten jedoch auch bereits an der nächsten Skalierungsstufe.“
Zum Vergleich: Weltweit wurden im vergangenen Jahr über 20 000 Tonnen an Stopflebern produziert – eine gewaltige Zahl, die gleichzeitig ein gewaltiges Ausmaß an Tierleid bedeutet. Die größten Produzenten sitzen in Frankreich, wo die Foie Gras als Kulturgut geschützt und die Stopfmast folglich nicht verboten ist. „Der Markt für dieses Produkt ist in Frankreich 150 bis 200 Mal größer als in Deutschland“, nennt Esser erstaunliche Zahlen und erklärt folgerichtig: „Unser nächster Meilenstein ist der Markteintritt in Frankreich, auf den wir gerade ganz konkret hinarbeiten.“
Das neueste Mitglied im Vertriebsteam ist deshalb nicht ganz zufällig eine junge Französin, die zuvor für Amazon in Paris tätig war. Doch schon droht Gegenwind: Ein mächtiger französischer Bauernverband, der rund 30 000 Landwirte und Angestellte in der konventionellen Stopfleber-Industrie vertritt, hat in Frankreich bereits Klage gegen den unerwünschten Mitbewerber aus Deutschland eingereicht. Das Ziel des Verbandes: Die ­EthicLine GmbH soll nicht mehr mit dem Begriff Foie Gras werben dürfen. „Da kämpft Goliath gegen David, das ist eine extrem finanzstarke Branche“, sagt Phillip Esser. Auf der anderen Seite dürfte diese Klage den EthicLine-Geschäftsführer aber auch mit einer gewissen Befriedigung erfüllen. Denn würden die französischen Platzhirsche derart aggressiv reagieren, wenn das kleine Braunschweiger Start-up mit seinen Produkten nicht einen Nerv getroffen hätte?
cm