Energie aus brauner Brühe

Als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge erfüllen Kläranlagen einen wichtigen Zweck – und verbrauchen dabei sehr viel Strom. Mit seiner vor wenigen Jahren in Braunschweig gegründeten awama GmbH möchte Jochen Gaßmann den Betrieb der Anlagen nachhaltiger gestalten.
Exkremente, Gestank, brauner Schlamm: Nein, besonders sexy sind Kläranlagen gewiss nicht, Hochglanzbildbände mit den schönsten „Abwasser-Reinigungsfabriken“ Deutschlands sind auf hiesigen Couchtischen eher selten zu finden. Dabei sind die Anlagen nicht nur nützlich für Mensch und Umwelt, sondern auch technisch durchaus faszinierend. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und der gegenwärtigen Energiekrise haben Kläranlagen allerdings einen großen Haken, weiß Verfahrenstechniker Jochen Gaßmann. „Kläranlagen sind der größte kommunale Energieverbraucher“, sagt der Unternehmer, „was eigentlich wenig Sinn macht, denn Kläranlagen haben genug Energie, um das Abwasser energieneutral zu reinigen.“ Tatsächlich sind Kläranlagen wahre Stromfresser und machen wohl rund zwei Prozent des Stromverbrauchs in der EU aus, manche Schätzungen liegen sogar höher. Hier setzt Gaßmann mit seiner awama GmbH an, die Prozesstechnik für Abwasserbehandlungsanlagen (so heißen Kläranlagen in der Fachsprache) entwickelt. „awama macht Kläranlagen klima- und energieneutral“, erklärt der 46-Jährige. Wenn man bedenkt, dass es allein in Deutschland etwa 10 000 solcher Anlagen gibt, die wiederum, wie Gaßmann überschlägt, rund 30 Prozent der kommunalen Energie verbrauchen, wäre damit auf dem Weg zur CO2-Neutralität also sehr viel gewonnen. „Es braucht einen Paradigmenwechsel“, fordert der Unternehmer deshalb.
Gaßmann, der vor seinem Studium an der TU Braunschweig als Soldat zwölf Jahre bei der Bundeswehr tätig war und danach bei der BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG, hat sich mit awama also Großes vorgenommen – aber wie genau soll das funktionieren? Zunächst einmal produziert eine Kläranlage Klärschlamm. Das zentrale Element der Industrietechnik, die awama anbietet, ist ein Trockner. Dieser trocknet den Klärschlamm und erzeugt damit einen nutzbaren Energieträger. „Trockener Klärschlamm enthält ganz viel Kohlenstoff und gibt bei Verbrennung so viel Energie wie Braunkohle frei“, weist Gaßmann auf eine wichtige Tatsache hin. Entscheidend sei außerdem, dass der Trockner neben dem Brennstoff auch noch Dampf produziere: „Mit diesen beiden Medien kann ich die Prozesse auf der Kläranlage nun so verändern, dass ich elektrische und thermische Energie einsparen kann.“ So werde die Kläranlage letztlich zu einer Art „Abwasser-Raffinerie“, wie der gebürtige Erfurter sagt, und damit auch unabhängig von Energie von außerhalb, „denn die Anlagen haben im trockenen Klärschlamm viermal so viel Energie, wie sie zur Abwasserbehandlung benötigen.“

Gesetzgeber könnte Innovationen pushen

Mit dem Trockner, dem Herzstück ihrer Anlage, hat die awama GmbH das Rad nicht ganz neu erfunden. Das Start-up ist eine Ausgründung der BMA AG, die Maschinen zur Zuckerproduktion herstellt. In diesem Kontext kam der Trockner zur Anwendung, den nun auch awama nutzt, wenn auch modifiziert und zunächst einmal deutlich verkleinert. Während die Technik von awama längst erprobt und auch in zahlreichen Ländern patentiert wurde, erweist sich die Suche nach Kunden doch als eine gewisse Herausforderung. Kläranlagen, so beschreibt es Gaßmann, sind Teil der kritischen Infrastruktur und erfüllen ohne Zweifel wichtige hoheitliche Aufgaben: Abwasser reinigen und Schadstoffe entsorgen. Vor diesem Hintergrund seien die Hauptziele der Betreiber nicht unbedingt, klimaneutral zu werden und Energie zu sparen. Ihre rechtlich sehr sichere Position und die gesicherte Finanzierung durch Abwassergebühren, kombiniert mit einem massiven Personal­mangel, sorgten nicht unbedingt für einen großen Drang nach Innovationen. „Die Anlagen arbeiten teilweise noch mit Techniken wie vor 150 Jahren. Da muss etwas getan werden“, findet der awama-Geschäftsführer, der unter anderem auf den Gesetzgeber setzt. Das Energie-Effizienz-Gesetz, das im März 2023 ratifiziert werden soll, könnte auch bei Kläranlagen neue Impulse bewirken.
Wenn ich eine energie- und damit kostenneutrale Kläranlage bauen kann, ist sie plötzlich auch in Ländern interessant, die sich das sonst vielleicht nicht leisten könnten.

Jochen Gaßmann, Gründer und Geschäftsführer der awama GmbH

Besucht man das Start-up in seinen Büroräumen auf einem Industriecampus an der Alten Frankfurter Straße, auf dem einst ­Coca-Cola seine braune Brause abfüllte, mag man kaum glauben, dass hier der lange, aber erstrebenswerte Weg zu einer CO2-neutralen Abwasserklärung seinen Anfang nehmen könnte. Sechs feste Mitarbeiter beschäftigt die awama GmbH mittlerweile, dazu kommt eine Handvoll freier Mitarbeiter und studentischer Aushilfen. Die Gründung im Jahr 2019, das sagt Jochen Gaßmann rückblickend, ging unmittelbar vor Beginn der Coronapandemie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt über die Bühne. Messen, die so wichtig sind, um sich als neues Unternehmen mit einem innovativen Produkt oder Verfahren einen Namen zu machen, fanden plötzlich nicht mehr statt. Und auch Kläranlagen waren nun, aus Angst um die Gesundheit der für den Betrieb so wichtigen Mitarbeiter, für die Öffentlichkeit – und damit auch für das junge Unternehmen – nicht mehr ohne Weiteres betretbar. Dennoch, hat der awama-­Chef festgestellt, habe seine Firma in der Branche bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt, die auf drei großen Messen allein in diesem Jahr noch erhöht werden soll. Ein echter Meilenstein soll in diesem Jahr zudem die Beteiligung an einer Forschungsanlage in Northeim werden, wo der awama-Trockner zum Einsatz kommen wird.

Markt wird immer größer

Einen nicht geringen Teil der Arbeitszeit von Jochen Gaßmann nimmt derzeit aber die Suche nach Geldgebern ein. Eine Partnerschaft mit dem Energiekonzern E.on gibt es bereits, ein echter Investor fehlt aber noch. Auch, um diese Suche zu intensivieren, ist awama seit Februar 2023 Teil der neuen  Start-up-Akademie Wachstum und Innovation (W.IN) der Braunschweig Zukunft GmbH. Der awama-Chef ist sich sicher, dass sein Start-up für Investoren, insbesondere aus dem außereuropäischen Ausland, hochinteressant sein könnte. In vielen Ländern weltweit, auch mitten in Europa, seien Kläranlagen weit weniger verbreitet als hierzulande oder reichten zumindest nicht an deutsche Standards heran. Mit wachsendem Wohlstand könnte sich das ändern. „Der Bedarf an Abwasserbehandlung steigt weltweit“, betont Gaßmann. Entsprechend beobachten die Braunschweiger nicht nur den deutschen Markt, sondern haben Energieunternehmen und Planungsbüros weltweit als Kunden für ihre Prozesstechnik anvisiert. „Wenn ich eine energie- und damit kostenneutrale Kläranlage bauen kann, ist sie plötzlich auch in Ländern interessant, die sich das sonst vielleicht nicht leisten könnten“, sagt er. „Das ist ein riesiger Markt.“
Anschauungsobjekte in glänzenden Bildbänden werden Kläranlagen dadurch sicher immer noch nicht. Aus unternehmerischer Sicht klingt dieses Marktpotenzial, brauner Schlamm hin oder her, irgendwie dann aber doch ein bisschen sexy.
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