Die Technik-Helden von morgen
„Die Held*innenSchmiede schafft Begegnung, wo Kinder noch keine Vorgeschichte haben.“ Ein Zitat, das redensartlich „sitzt“ und die Tragweite des Projekts der Bürgerstiftung Braunschweig erahnen lässt. Es stammt von Susanne Hauswaldt, stellvertretende Vorsitzende und geschäftsführende Vorständin der Bürgerstiftung, die zusammen mit Gunnar Müller und Christian Spring zu den Initiatoren und seit nunmehr zehn Jahren auch Begleitern der Held*innenSchmiede zählt. Anlässlich des Jubiläums berichten sie uns, wie das Projekt regionale Hauptschülerinnen und Hauptschüler für Technik begeistert, nachhaltige Unterstützung gewährleistet und Perspektiven aufzeigt.
Feiern 10-jähriges Jubiläum der Held*innenSchmiede: Die Initiatoren Christian Spring, Susanne Hauswaldt und Gunnar Müller (v. l. n. r.).
Die Projektidee beruht auf gesellschaftlich engagierten Mitarbeitenden des Volkswagen Werks Braunschweig und motivierten Lehrkräften der Grund- und Hauptschule (GHS) Pestalozzistraße, die vor elf Jahren gemeinsam überlegten, welche Voraussetzungen Schülerinnen und Schüler mitbringen müssten, um eine technische Ausbildung zu meistern. Auslöser für dieses Treffen war ein Zeitungsartikel in der Braunschweiger Zeitung, der die Situation an Hauptschulen deutlich machte. Zur Erprobung tauschten zwei Lehrkräfte den starren Schulalltag gegen die Werkbank in der Ausbildungswerkstatt von Volkswagen. Gunnar Müller, Lehrer für Physik, Mathe, Technik und Werken an der GHS Pestalozzistraße, war mit seiner Kollegin für eine Woche „Azubi“ im Werk. Besonders die vermittelten mathematisch-technischen Kenntnisse, der konstruktive Umgang mit Fehlern und die Erfahrung, dass Schülerinnen und Schüler über den eigenen Tellerrand hinausschauen konnten, begeisterten ihn bei der Planung und späteren Umsetzung des Projekts. Aber „dass daraus ein großes Projekt werden würde, hätte ich niemals erwartet“, erinnert er sich. Glücklicherweise gab es auch seitens Volkswagen genügend Unterstützer, die, wie Christian Spring, der damals im Werkzeugbau von Volkswagen Braunschweig tätig war, die Idee vorantrieben.
Wir als Gesellschaft brauchen euch und deswegen unterstützen wir euch dabei, euren Weg gehen zu können.Susanne Hauswaldt
„Als wir die ersten Workshops organisiert haben, war es sehr beeindruckend, wie viel Mühe sich die Kids trotz Konzentrationsschwierigkeiten oder Komplexität des Projektes gegeben haben und erfolgreich waren. Ich dachte mir, dass es sich groß entwickeln könnte, allerdings nicht so groß“, stimmt er Müller zu. Da ein solches Projekt entsprechende Koordination und finanzielle Mittel erforderte, kam der Bürgerstiftung Braunschweig eine entscheidende Rolle zu. Über Gunnar Müller entstand der Kontakt zu Susanne Hauswaldt, die sich für die Umsetzung des Konzepts in Kooperation mit der Volkswagen Belegschaftsstiftung einsetzte. „Die Held*innenSchmiede ist ein großartiges Beispiel für eine gelungene Kooperation: Die Volkswagen Belegschaftsstiftung sichert die finanzielle Grundlage und wir als Bürgerstiftung bringen unsere Expertise für solche Projekte sowie die Akquise und Koordination der ehrenamtlichen Paten und Patinnen ein.“
Beim Handy-Projekt in der achten Klasse bauen Schülerinnen und Schüler ausrangierte oder gespendete Smartphones nach Anleitung auseinander und wieder zusammen und lernen dabei viel über die Funktionsweise eines Handys.
Patinnen und Paten schaffen Vertrauen
Heute ist die Held*innenSchmiede fester Bestandteil des Curriculums der fünften bis achten Klassen an der GHS Pestalozzistraße. Auch die Hauptschule Sophienstraße wird in Kürze nachziehen und das Programm implementieren. „Wir starten in den fünften Klassen, weil es für uns wichtig war, die Kinder möglichst früh für technische Themen zu begeistern. Mit der Pubertät hat sich das Aufmerksamkeitsfenster für neue Themen im Zweifelsfall schon geschlossen“, erklärt Hauswaldt. Das i-Tüpfelchen dabei sind ehrenamtliche Patinnen und Paten, die „ihre“ Klasse über den gesamten Projektzeitraum begleiten. Für gewöhnlich sind es eine Handvoll Berufstätige aus kooperierenden Unternehmen, die bei den Projekttagen Hilfestellung sowie emotionale Unterstützung leisten. „Es braucht neben Lehrenden und Eltern noch Menschen, die die Kinder wahrnehmen, wertschätzen, sie unterstützen und Ansprechpartner sind“, führt die stellvertretende Vorsitzende der Bürgerstiftung fort. Auf diese Weise durchlaufen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit den Mitarbeitenden eines Unternehmens oder Bildungsträgers zweimal pro Schuljahr ein mehrtägiges Technikprojekt. Für die Fünftklässler steht beispielsweise der „Feuerwehrtag“ bei der Werkfeuerwehr sowie das Longboard-Projekt an – jeweils auf dem Gelände des Volkswagen Werks Braunschweig. Letzteres betreuen zusätzlich die Auszubildenden von Volkswagen und helfen den Kindern dabei, das eigene Board zu gestalten. Die sechsten Klassen löten, schrauben und programmieren bei der makerAcademy Braunschweig „Otto The Robot“ und in der achten Klasse fordert das Handy-Projekt in Kooperation mit der Siemens Mobility GmbH die Fingerfertigkeit der technikbegeisterten Teenager heraus – um nur ein paar der interessanten Aktionen zu nennen. „In den einzelnen Teilprojekten arbeiten wir mit unterschiedlichen Kooperationspartnern und Bildungsträgern zusammen. Wir versuchen immer, ein spannendes Projektthema mit einem außerschulischen Lernort beziehungsweise Anbieter zu verbinden“, sagt Hauswaldt.
Im Jahr 2015 startete die Held*innenSchmiede mit dem Longboard-Projekt. Fünftklässler bauen an insgesamt drei Schultagen ein Longboard mit ihren eigenen Händen.
Es braucht Leute, die motiviert sind, die Gesellschaft zu verändern und etwas für die Schwächeren zu tun.Gunnar Müller
Der Funke springt über
„Dabei verblüfft mich immer noch, dass die Kids sehr aufmerksam sind und lange bei der Sache bleiben. Das Interesse ist insgesamt sehr groß und sie verbringen die Projekttage gerne bei uns im Werk“, teilt Spring mit, der seitens Volkswagen gemeinsam mit Kollegen den Ablauf verantwortet. Vor allem sei ihm aufgefallen, dass es einen Unterschied mache, wenn die Auszubildenden des Werks mit eingebunden werden. Das sei ein „Schlüssel“ zu den Schülerinnen und Schülern, die ihre Fragen zur Ausbildung sehr ambitioniert, ehrlich und gezielt an die knapp doppelt so alten Vorbilder stellen würden. „Unsere Azubis geben sich sehr viel Mühe, genauso wie unsere Ausbilder und die Werkfeuerwehr. Alle Beteiligten nehmen das sehr ernst, es macht ihnen viel Spaß und dieser Funke springt auch auf die Kids über.“ Auch Susanne Hauswaldt nimmt wahr, dass die Unternehmen und damit einhergehend die Patinnen und Paten voller Stolz ihre eigenen Betriebe zeigen und auch eigene Ideen haben, wie man Schülerinnen und Schülern mit Unternehmen zusammenbringen kann. „Das lässt mich darauf schließen, dass ein großes Interesse daran besteht, sich für diese spezielle Zielgruppe an Kindern einzusetzen und da zu unterstützen, wo im Zweifelsfall Wertschätzung, Erfolgserlebnisse und Aufmerksamkeit fehlen.“ Aus ihrer Sicht benötige ein Großteil der Hauptschülerinnen und -schüler gesellschaftliche Unterstützung, um überhaupt den Schritt in eine Ausbildung gehen zu können. Das private und schulische Umfeld könne dies oftmals nicht allein leisten. Ein noch größerer Ansporn als dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sei für das Trio vielmehr, den Kindern zu vermitteln: „Wir als Gesellschaft brauchen euch und deswegen unterstützen wir euch dabei, euren Weg gehen zu können.“
Gemeinsam mit ihren Patinnen und Paten erkunden Kinder der fünften Klasse die Feuerwache auf dem Volkswagen-Werkgelände in Braunschweig.
Fachkräfte generieren
Als das Projekt vor zehn Jahren startete, war der Fachkräftemangel bei Volkswagen noch nicht stark ausgeprägt. Klar war aber, dass Absolventinnen und Absolventen einer Ausbildung, die mit Abitur eingestiegen sind, häufig ein Studium anschlossen, um hinterher in höhere Laufbahnen zu wechseln – was von Volkswagen begrüßt und aktiv gefördert wird. „Allerdings konnte man damals schon feststellen, dass sich das Verhältnis zu der Ausübung von technisch-handwerklichen Berufen ungünstig verschiebt. Daher kam der Fokus, aus den Schülerinnen und Schülern, die an dem Projekt teilnehmen, vielleicht Fachkräfte generieren zu können, die sich langfristig mit ihrer erlernten Fachkompetenz einbringen und bei Volkswagen verwirklichen möchten“, veranschaulicht Spring die Absichten seines Arbeitgebers, Absolventinnen und Absolventen von Hauptschulen für Volkswagen begeistern zu wollen. Der Erfolg ist unter anderem aus Datenschutzgründen nur schwer messbar. Tatsache ist aber, dass Ehemalige der GHS Pestalozzistraße heute eine Ausbildung bei Volkswagen machen.
An zwei Vormittagen löten, schrauben und programmieren Sechstklässler einen kleinen Roboter namens „Otto“.
Die Held*innenSchmiede lebt davon, dass die hochmotivierten Projektkoordinatoren und ehrenamtlichen Unterstützenden das Konzept sowie neue Teilprojekte kontinuierlich weiterentwickeln, um frühzeitige Begeisterung für Technik bei Kindern zu wecken. „Unter der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der letzten zehn Jahre hat sich viel verändert. Nicht nur die Interessenslage der Kids, sondern auch der Druck, unter dem sie stehen. An diesen Stellen reflektieren wir das Projekt regelmäßig und passen es adressatengerecht an“, fasst Spring zusammen. Auch Unternehmen können sich mit kreativen Ideen einbringen – wenn sie umsetzbar sind und die Erfolgskriterien erfüllen, steht einer Zusammenarbeit nichts entgegen. Ebenso sucht die Held*innenSchmiede stets Ehrenamtliche, die als Patinnen und Paten zur Verfügung stehen, beispielsweise im Rahmen von Corporate Volunteering oder in Form eines klassischen Ehrenamtes – unabhängig vom Unternehmen. Um die Zukunftsfähigkeit zu steigern, bedarf ein solches Projekt einer gesicherten Finanzierung. Daher suchen die beteiligten Stiftungen immer auch nach finanzieller Unterstützung durch Unternehmerinnen und Unternehmer. „Es braucht Leute, die motiviert sind, die Gesellschaft zu verändern und etwas für die Schwächeren zu tun. Das ist, glaube ich, bei der derzeitigen politischen Lage in Deutschland gerade besonders wichtig“, appelliert Gunnar Müller abschließend.
ar
8/2025
