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Mitglieder der IHK-Vollversammlung tagen im Steigenberger Parkhotel
Am 23. September kamen die Mitglieder der Vollversammlung der IHK Braunschweig im Steigenberger Parkhotel zu ihrer zweiten Sitzung des Jahres zusammen. IHK-Präsident Tobias Hoffmann eröffnete die Sitzung und führte die Teilnehmenden durch eine Vielzahl aktueller Themen und Berichte. Dabei wurden nicht nur die wirtschaftspolitischen Schwerpunkte, sondern auch zahlreiche Meilensteine der vergangenen Monate erörtert.
Die Vollversammlungsmitglieder und Ehrenpräsidenten
der IHK während der Sitzung im Steigenberger Parkhotel.
© Astrid Striese
der IHK während der Sitzung im Steigenberger Parkhotel.
Ein besonderes Highlight markierte in diesem Jahr die Verleihung des IHK-Technologietransferpreises im vergangenen Mai. Die Sentics GmbH und die TU Braunschweig wurden als Hauptpreisträger für ihre innovative Technologie zur präzisen Echtzeit-Lokalisierung von Objekten in industriellen Anwendungsbereichen ausgezeichnet. Einen weiteren Höhepunkt stellte die erste Delegationsreise der IHK Braunschweig, die für vier Tage zu Beginn des Septembers nach Cluj-Napoca in Rumänien führte, dar. Die Reise umfasste mehrere Stationen, darunter die Technische Universität, das Digital Innovation Hub und der Austausch mit dem lokalen IT-Cluster. Besonders beeindruckend war der Spirit, der sich in Rumänien offenbarte, sowie der effektive Einsatz von EU-Fördermitteln, der die Innovationskraft im Land fördert. Hoffmann betonte, dass Deutschland sich anstrengen müsse, um mit Ländern wie Rumänien langfristig Schritt halten zu können. Auch wurde der im August nachgeholte und gelungene IHK-Sommerempfang in Cremlingen hervorgehoben, der in diesem Jahr insbesondere die andauernde Fachkräfteproblematik behandelte.
Die wirtschaftliche Lage stellt derzeit viele Unternehmen in der Region Braunschweig vor Herausforderungen. Präsident Hoffmann äußerte sich besorgt über die Krise bei zahlreichen regionalen Betrieben sowie über den immensen Druck, unter dem beispielsweise die Salzgitter AG zurzeit steht. „Gas geben und gleichzeitig bremsen“, fasste Salzgitter-AG-Vorstand Gunnar Groebler die Situation des Unternehmens zuletzt zusammen. Auch die Entwicklungen rund um Volkswagen bereiten der IHK größtmögliche Sorgen.
Grund zur Freude gab es im Anschluss aber trotzdem: Adalbert Wandt wurde für seine besonderen Verdienste im Kontext der IHK-Arbeit die goldene Ehrennadel verliehen, mit der insbesondere seine langjährige Mitgliedschaft und sein unermüdliches Engagement in den Gremien der Kammer gewürdigt werden.
Im Anschluss erläuterte Professor Reint Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im Rahmen seines Gastvortrags die Herausforderungen und Chancen der grünen Transformation in Deutschland. Er hob hervor, dass das Land seine gesetzten Ziele zur CO₂-Reduktion nach derzeitigem Stand um 15 Prozent verfehlen werde und empfahl, stärker auf Effizienz zu setzen. Gropp benannte dafür sechs zentrale Aspekte für eine effiziente und gerechte Umsetzung der Klimaziele, die Sie auf der nächsten Seite nachlesen können.
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion unter den anwesenden Vollversammlungsmitgliedern. Erörtert wurden unter anderem Deutschlands Rolle als Vorreiter bei klimapolitischen Vorgaben, die Wahrnehmung des Klimawandels in internationalen Vergleichen sowie Herausforderungen bei der Erstzuteilung im Emissionshandelssystem (ETS), das Professor Gropp als zentrales Instrument für die CO₂-Reduktion erachtet.
jk
IWH: Sechs-Punkte-Plan zur grünen Transformation
Die Politik sollte die richtigen Leitplanken setzen, damit Preisanreize eine effiziente und kostengünstige Energiewende ermöglichen. Das fordern Professor Reint Gropp und Oliver Holtemöller, Präsident und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, in einem Strategiepapier zur grünen Transformation.
Die Europäische Union und Preisanreize sind nach Einschätzung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle die wichtigsten Treiber für die grüne Transformation. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, sollte dort CO2 eingespart werden, wo dies am kostengünstigsten innerhalb der EU möglich ist. Energieerzeugung und -verbrauch sollten daher nicht kleinteilig reguliert werden. Das Strategiepapier empfiehlt sechs aufeinander abgestimmte Punkte, die nur als Paket wirksam sind. „Unsere Strategie setzt ein positives Signal: Wir können die grüne Transformation meistern, und zwar zu relativ niedrigen Kosten, wenn die Politik diese sechs Punkte – und nur diese Punkte – umsetzt und sie vorausschauend kommuniziert“, sagt IWH-Präsident Gropp.
1.
Laut Gropp und Holtemöller sollten die Klimaziele der EU auch Maßstab der deutschen Politik sein. Derzeit gelten in Deutschland ehrgeizigere Ziele, nämlich eine niedrigere Treibhausgas-Obergrenze und ein früheres Erreichen der Klimaneutralität. Das sei falsch: „Ehrgeizigere Ziele in Deutschland führen zu keiner Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen, sondern nur zu einer ungleichen Verteilung der Anpassungslast innerhalb der EU“, schreiben die IWH-Ökonomen.
2.
Die Treibhausgas-Obergrenze bestimmt die Menge der CO2-Zertifikate, mit denen Unternehmen und indirekt die Haushalte für ihren Kohlendioxid-Ausstoß zahlen. Die Menge der Zertifikate sollte jährlich abnehmen, und zwar langfristig vorgegeben, damit Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger sich darauf einstellen können. Somit steigt zunächst der CO2-Preis. Haben alle Sektoren auf eine überwiegend CO2-freie Energieversorgung umgestellt, sinkt der Preis. Der Zertifikatshandel sollte europäisch und sektorübergreifend erfolgen, was ab 2027 geplant ist. „Dies sollte von der Bundesregierung ausdrücklich unterstützt und kommuniziert werden“, empfiehlt das IWH.
3.
Die steigenden CO2-Kosten bieten Anreize für Unternehmen, die Produktion ins Ausland zu verlagern. Dem wirken EU-weite Klimazölle entgegen, die ab 2026 gelten sollen: Je größer der CO2-Fußabdruck eines Produkts, desto höher der Zoll. „Es muss klar kommuniziert werden, dass selbst eine Klimapolitik auf EU-Ebene nur mit Klimazöllen eine effektive Wirkung auf den globalen Ausstoß von Klimagasen haben kann“, fordern Gropp und Holtemöller.
4.
Deutschland sollte mehr klimaneutralen Strom produzieren. Denn der Stromverbrauch wird durch die Elektrifizierung
von Mobilität und Heizungen bis 2030 um etwa 50 Prozent zunehmen. Die steigende Nachfrage können selbst mehr Windräder und Solarzellen nicht decken, erst recht nicht wegen des gleichzeitigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Weitere Energiequellen sollten genutzt werden. Aus Klimaperspektive sollte auch Atomkraft in Betracht gezogen werden.
von Mobilität und Heizungen bis 2030 um etwa 50 Prozent zunehmen. Die steigende Nachfrage können selbst mehr Windräder und Solarzellen nicht decken, erst recht nicht wegen des gleichzeitigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Weitere Energiequellen sollten genutzt werden. Aus Klimaperspektive sollte auch Atomkraft in Betracht gezogen werden.
5.
Das Tempo beim technischen Fortschritt und beim Ausbau erneuerbarer Energien ist selbst unter besten Voraussetzungen wahrscheinlich zu gering, um die Klimaschutzziele komplett zu erreichen. Deshalb sollten Forschung und Entwicklung von Energieeffizienz und -innovation stärker gefördert werden. Dazu gehören auch Technologien, mit denen Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt werden kann.
6.
Der Strukturwandel der grünen Transformation kann zu sozialen Härten führen. Der Staat sollte sie innerhalb des bestehenden Sozialsystems abfedern. Allerdings sollten staatliche Hilfen nur bedürftigen Haushalten zugutekommen und Subventionen nur an Unternehmen fließen, wenn deren Zahlungsbereitschaft für CO2-Zertifikate gewahrt bleibt.
Quelle: Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle
8/2024