Der Entwurf des Maßnahmenpakets "Fit for 55"

Das "Fit for 55"-Gesetzespaket, mit dem die EU-Kommission eine Senkung des Treibhausgasausstoßes um mindestens 55 Prozent bis 2030 erreichen möchte, betrifft die Wirtschaft auf breiter Front. Am 14. Juli hat die Kommission das Maßnahmenbündel vorgestellt. Es enthält Entwürfe für diverse Gesetzgebungsverfahren, die in kommenden Monaten parallel diskutiert, verhandelt und schließlich verabschiedet werden sollen.

Die Regulierungsentwürfe im Überblick

Zentrales Ziel des Green Deal ist die Klimaneutralität der EU im Jahr 2050. Bis 2030 soll ein wichtiges Etappenziel erreicht werden, nämlich eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55% im Vergleich zum Jahr 1990.
Mit dem  "Fit for 55"-Paket  hat die EU-Kommision nun weitreichende Vorschläge vorgelegt, wie dieses Zwischenziel erreicht werden soll. Neben der Neuordnung des europäischen Emissionshandels, einschließlich neuer Instrumente zur Vermeidung von Carbon Leakage, enthält das Paket zahlreiche weitere Gesetzesinitiativen:
  1. Reform des Emissionshandelssystems für Energieerzeugung, Industrie, See- und Luftverkehr
  2. Einführung eines Emissionshandels für Straßenverkehr und Gebäude
  3. Grenzausgleichsmechanismus “CBAM” (Carbon border adjustment mechanism)
  4. Anpassung der Lastenteilungsverordnung
  5. Reform der Erneuerbare Energien Richlinie
  6. Reform der Energieeffizienz-Richtlinie
  7. Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie
  8. Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
  9. Anpassung der CO2-Flottengrenzwerte
  10. Initiative ReFuelEU Aviation 
  11. Initiative FuelEU Maritime
  12. Anpassung der Verordnung über die Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF)
  13. EU-Waldstrategie
  14. Klima-Sozialfonds 
Bei allen Maßnahmen handelt es sich zunächst um Vorschläge der EU-Kommission, zu denen sich die Ausschüsse des EU-Parlaments und der Rat der EU positionieren. Anschließend werden die Rechtsakte zwischen Kommission, Parlament und Rat “ausverhandelt”, bis eine Endfassung formal bestätigt werden und in Kraft treten kann. Oft dauert Prozess bis zu zwei Jahren.

Reform des europäischen Emissionshandels 

Der europäische Emissionshandel (EU-ETS) funktioniert nach dem Prinzip des sogenannten „Cap & Trade“. Die Obergrenze (Cap) legt fest, wie viele Emissionen insgesamt ausgestoßen werden dürfen. Die Emissionsberechtigungen in Form von Zertifikaten können dann auf dem Markt frei gehandelt werden (Trade). Hierdurch bildet sich ein Preis für den Ausstoß von CO2. Auch jetzt schon verringern sich die pro Jahr maximal ausgegebenen Zertifikate von Jahr zu Jahr. Die EU-Kommission schlägt nun vor, das Ausgangsniveau der zur Verfügung gestellten Emissionszertifikate einmalig abzusenken und die jährliche Reduktion anzuheben, was voraussichtlich einen steileren Preisanstieg zur Folge haben wird. Außerdem ist geplant, den Anwendungsbereich des Emissionshandels um den Seeverkehr zu erweitern.
Für Unternehmen mit großen, am EU-ETS beteiligten Industrieanlagen ist die teilweise freie Zuteilung von Zertifikaten Voraussetzung dafür, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte gewahrt bleibt. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, diese freie Zuteilung an Industrieunternehmen stärker als bisher vorgesehen herunterzufahren. Das führt in Kombination mit der erwarteten Steigerung der CO2-Preise zu deutlich höheren Belastungen dieser Unternehmen. Zusätzlich wird als Gegenleistung für die freie Zuteilung eine Verpflichtung zu Klimaschutzinvestitionen eingeführt.

Der neue Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

Neben dem bestehenden Emissionshandel soll ein weiteres Emissionshandelssystems eingeführt werden, das ab 2026 die Emissionen des Energieeinsatzes in Gebäuden und Verkehr bepreist. Wie im deutschen nationalen Emissionshandel nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) werden die Inverkehrbringer von Kraft-/Brennstoffen zur Teilnahme verpflichtet. Diese geben dann den CO2-Preis an ihre Kunden weiter.
Ausgenommen von dem neuen Emissionshandel sollen Brennstoffverbräuche für die Erzeugung industrieller Prozesswärme sein. Eine freie Zuteilung beziehungsweise Entlastung besonders betroffener Energieverbraucher ist nicht vorgesehen. Die Versteigerungserlöse sollen aber für Investitionen in den Klimaschutz und zur Unterstützung ärmerer Haushalte eingesetzt werden.

Der neue Mechanismus für einen CO2-Grenzausgleich

Für eine Auswahl energie- und handelsintensiver Sektoren soll ein CO2-Grenzausgleich (englisch: CBAM – Carbon Border Adjustment Mechanism) etabliert werden. Ziel ist es, in diesen Branchen Wettbewerbsnachteile durch EU-weit steigende CO2-Preise gegenüber Konkurrenten außerhalb der Europäischen Union zu vermeiden – und die Abwanderung von Wertschöpfung zu verhindern.
Der von der EU-Kommission geplante CBAM ist eine Art CO2-Zoll auf aus Drittstaaten importierte Produkte. Die bei Import fällige CO2-Abgabe errechnet sich aus dem bei der Produktion ausgestoßenem Kohlendioxid und dem jeweils aktuellen CO2-Preis im EU-ETS. Sie entfällt, wenn der Importeur nachweist, dass die CO2-Abgabe im Herkunftsland genauso hoch ist wie in der EU.
Von CBAM erfasst werden sollen die Branchen Zement, Dünger, Stahl, Aluminium aber auch Strom. Unter die Regelung fallen auch Produkte der ersten Weiterverarbeitungsstufen, zum Beispiel Stahlrohre. Vorgesehen ist, dass der CO2-Grenzausgleich die teilweise freie Zuteilung von Emissionszertifikaten für die erfassten Sektoren ersetzt.
Den Vorschlag der Kommission begleitet eine intensive Diskussion, wie und ob sich ein Grenzausgleichsmechanismus in Einklang mit dem internationalen Handelsrecht bringen lässt und wie die bei der Produktion in Drittländern anfallenden CO2-Emissionen berechnet und nachgewiesen werden können. Für Diskussionen wird auch sorgen, dass der Vorschlag der Kommission nur einen Aufschlag für Importe, nicht aber eine Entlastung für Exportprodukte vorsieht.

Nationale Ziele aus der Lastenteilungverordnung

Die Lastenteilungsverordnung regelt die Klimaziele für die Sektoren, die nicht dem EU-Emissionshandel unterliegen, also die Sektoren Transport, Landwirtschaft, Gebäude und Abfälle. Insgesamt verantworten diese rund 60% der Treibhausgasemissionen der EU. Bisher sollten in diesem Bereich bis 2030 im EU-Durchschnitt 30% der Emissionen im Vergleich zu 2005 eingespart werden, nun schlägt die Kommission ein Einsparziel von 40% vor.
Mit der Verordnung werden den Mitgliedsstaaten jährliche Emissionsbudgets zugeteilt. Die sich daraus ergebenden Reduktionsziele orientieren sich an der Wirtschaftskraft der Mitgliedsstaaten. Dieses liegt für Deutschland daher bereits jetzt überdurchschnittlich hoch bei 38% und soll laut dem Kommissionsvorschlag auf 50% angehoben werden.

Der Ausbau Erneuerbaren Energien

Damit die mit dem Green Deal beabsichtigte Transformation gelingen kann, werden entsprechende CO2-arme Alternativen zur Energieversorgung, also Strom aus erneuerbaren Quellen und klimafreundlicher Wasserstoff in auskömmlichen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen, zur Verfügung stehen müssen. Dafür plant die EU-Kommission die Festlegung eines verbindlichen EU-Ausbauziel von 38 bis 40 Prozent Anteil am Endenergieverbrauch bis 2030.
Nationale Ziele will sie nicht vorschreiben. Vorgesehen sind aber indikative Erneuerbaren-Ziele für die Bereiche Gebäude – voraussichtlich 39 Prozent bis 2030 – und die Industrie. Im Bereich Verkehr soll neben dem Unterziel für fortschrittliche Kraftstoffe auch eines für Treibstoffe nicht biogenen Ursprungs eingeführt werden, etwa für Strom, Wasserstoff oder E-Fuels. Vorgeschlagen wird zudem ein EU-weit gültiges System für Herkunftsnachweise. Das soll unter anderen dazu beitragen, dass im EU-Strombinnenmarkt mehr Verträge für die Direktabnahme von erneuerbarem Strom (PPA) geschlossen werden.

Die Stärkung der Energieeffizienz

Das derzeit gültige Energieeinsparziel von 32,5 Prozent bis 2030 gegenüber 2008 soll ebenfalls angehoben werden (auf 36-39%). Nachsteuerungsbedarf besteht nach Einschätzung der Kommission allerdings schon jetzt, denn auch das aktuelle Ziel 2030 würde sonst voraussichtlich um rund 3 Prozent verfehlt. Die Kommission setzt dabei darauf, das Prinzip "Efficiency First" – also den Leitgedanken, sparsam mit Energie umzugehen – in allen energieverbrauchsrelevanten Segmenten zu stärken. Einen besonderen Beitrag soll dabei die öffentliche Hand leisten, unter anderem über Sanierungsverpflichtungen für mehr öffentliche Gebäude und eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der öffentlichen Beschaffung (green public procurement). Insgesamt wird stärker als bislang das Gewicht auf die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden gelegt.
Die Kriterien für die Verpflichtung zu Energie-Audits und Energie-Managementsystemen sollen nicht mehr an Art und Größe des Unternehmens festgemacht werden, sondern an der Höhe ihres Energieverbrauchs.

Energiebesteuerung anhand des Nettoheizwerts

Die EU-Kommission möchte den Anknüpfungspunkt der Besteuerung künftig grundlegend ändern und jedes Energieerzeugnis anhand seines Nettoheizwerts („net calorific value“) und seines Klimabeitrags besteuern. Das führt zu Steuersätzen in Euro pro Gigajoule, die jährlich automatisch an die Inflation angepasst werden sollen.
Fossile Kraftstoffe sollen am höchsten und klimaneutrale Kraft- bzw. Heizstoffe so niedrig wie elektrischer Strom besteuert werden. Für Erdgas ist ein zehnjähriger Anpassungspfad zu Erreichung des Steuerniveaus fossiler Kraftstoffe vorgesehen. Die neue Energiesteuerrichtlinie soll zukünftig alle Verkehrsträger umfassen und damit auch den innereuropäischen Luft- und Schiffsverkehr besteuern. Abgeschafft werden soll damit insbesondere die Steuerbegünstigung von Flugkerosin, allerdings nicht das im Luftfrachtverkehr eingesetzte.
Die Steuerbemessungsgrundlage soll durch Aufgabe zahlreicher nationaler Steuerbefreiungen und -ermäßigungen verbreitert werden. Dies würde den Mitgliedstaaten deutlich weniger Spielraum lassen, Steuersätze unterhalb der Mindeststeuersätze festzulegen. 

Dekarbonisierung des Verkehrssektors

Im Verkehrssektor sind eine Anpassung der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und der Ausbau der Ladeinfrastruktur geplant. Damit soll die vollständige Marktdurchdringung mit Elektrofahrzeugen erheblich beschleunigt werden.
Bisher sah die Verordnung für die CO2-Flottengrenzwerte von Pkw bis 2030 eine Verringerung der Emissionen um 37,5 Prozent bei neuen Pkw gegenüber 2021 vor. Die vorgeschlagenen 55 Prozent Reduktion gegenüber 2021 auf dann rund 50 Gramm CO2 je Kilometer und Pkw sind nur ein Zwischenschritt. Bereits 2035 sollen neu zugelassene Pkw und Vans komplett emissionsfrei sein. Das bedeutet das Ende für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren.
Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission mit der novellierten Gesetzgebung zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe deutlich konkretere Ausbaupläne für Ladesäulen sowie für Wasserstoff- und Gastankstellen vor. Die bestehende Richtlinie wird in eine direkt gültige Verordnung umgewandelt. Unter den alternativen Kraftstoffen wird der Schwerpunkt klar auf Strom und Wasserstoff gelegt – auch für Nutzfahrzeuge. Jeder Mitgliedsstaat muss hierfür eine bestimmte Netzabdeckung bei der Lade- beziehungsweise Tankinfrastruktur erreichen. Die Kraftstoffe Erdgas (CNG, LNG) und Flüssiggas (LPG) werden nur noch übergangsweise beim Infrastrukturausbau berücksichtigt.
Nicht zuletzt sollen auch im Luft- und Seeverkehr mehr erneuerbare und kohlenstoffarme Treibstoffe eingesetzt werden und dies durch entsprechende Normen verbindlich geregelt werden. Außerdem sollen Minimalausstattungen für See- und Binnenhäfen bei der Landstromversorgung sowie an Flughäfen für die stationäre Bordstromversorgung vorgeschrieben werden.

Land und Forst als CO2-Senke

Absehbar ist, dass ein kleiner Teil der Emissionen unvermeidbar bleibt. Damit Europa unterm Strich spätestens im Jahr 2050 keine Treibhausgase mehr emittiert, wird also die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre erforderlich sein. Hierzu soll der Bereich der Land- und Forstwirtschaft einen wesentlichen Beitrag leisten.
Ziel ist es deshalb nicht nur, wie bisher, dass die Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) im gleichen Sektor vollständig bilanziell ausgeglichen werden, sondern vielmehr, dass eine CO2-Senke entsteht, also ein Ökosystem, das Kohlendioxid dauerhaft speichert. Ziel ist eine Netto-Treibhausgasentnahme im LULUCF-Sektor von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2030. Ergänzt wird dieses Dossier um eine Waldstrategie.

Entlastung vulnerabler Haushalte durch den Klima-Sozialfonds

Ein Viertel der aus dem “neuen” Emissionshandel erwarteten Einnahmen, d. h. 72,2 Mrd. Euro im Zeitraum 2025-2032, will die EU den Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen, um sozial schwächere Haushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsteilnehmer zu unterstützen, die von den Preissteigerungen für fossile Brennstoffe besonders betroffen sein werden. Eingesetzt werden können sollen diese Mittel für direkte Einkommenshilfen, Investitionen in Energieeffizienz und Gebäuderenovierung sowie emissionsfreier bzw. -armer Mobilität.
Stand: 15.10.2021