Atempause in der Krise? Unternehmen im Ruhrgebiet blicken vorsichtig optimistisch in die Zukunft

Gestörte Lieferketten, gestiegene Energiekosten, hohe Verbraucherpreise: Die Unternehmen im Ruhrgebiet haben weiterhin mit den teils dramatischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu kämpfen. Trotzdem zeigt sich die Ruhrwirtschaft zu Jahresbeginn vorsichtig optimistisch. Die Phase größter Unsicherheit scheint vorerst überwunden. Das ist das Ergebnis des 110. Ruhrlageberichtes, der am Freitag, 3. Februar 2023, bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet in Bochum der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Konjunkturumfrage der fünf IHKs im Ruhrgebiet stützt sich auf Antworten von 877 Unternehmen mit fast 124.000 Beschäftigten.
Vor allem die Geschäftserwartungen der Unternehmen haben sich im Vergleich zur letzten Befragung verbessert. Selbst das Schlusslicht der Herbstbefragung, der Handel, erwartet deutlich bessere Geschäfte. 41 Prozent der Handelsunternehmen rechnen in Zukunft mit schlechteren Zahlen. Im Herbst 2022 waren es noch 61 Prozent der Unternehmen. Auch über alle Branchen verteilt haben sich die pessimistischen Erwartungen von 52 Prozent auf 28 Prozent fast halbiert. Der historische Tiefstand scheint damit überwunden.
Laut der Umfrage bewerten 85 Prozent der Unternehmen ihre derzeitige Geschäftslage branchenübergreifend mit gut bzw. befriedigend. In der letzten Umfrage zum Herbst 2022 waren es noch ca. 82 Prozent und im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 84 Prozent der Unternehmen.
Der Umfrage zufolge ist der IHK-Konjunkturklimaindikator, Gradmesser für die wirtschaftliche Entwicklung, um 24 auf insgesamt 101 Punkte gestiegen. Das Niveau unmittelbar vor Ausbruch des Ukrainekrieges Anfang 2022 (115 Punkte) ist damit allerdings noch nicht wieder erreicht. Es besteht jedoch Anlass zur Hoffnung, dass sich die konjunkturelle Erholung in diesem Jahr fortsetzt, die sich nach Corona und vor dem Ukraine-Krieg abgezeichnet hat.
Langfristige Folgen der hohen Energiepreise noch nicht absehbar
„Das sind gute Nachrichten“, sagt Philipp Böhme, Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Seine IHK hat in diesem Jahr die Federführung der Ruhr-IHKs inne. „Unsere Umfrage bestätigt einmal mehr die Ergebnisse zahlreicher anderer Studien der vergangenen Tage und Wochen“, so Böhme weiter. „Die anfängliche Angst vor einer tiefen Rezession und einer möglichen Deindustrialisierung unseres Landes hat sich zum Glück nicht bestätigt.“ Gleichwohl, so Böhme, sei noch nicht absehbar, wie sich die langfristigen Folgen der deutlich höheren Energiepreise auf die Wirtschaft auswirkten: „Das werden die kommenden Monate zeigen.“
Tatsächlich bereitet der deutliche Anstieg der Gaspreise großen Teilen der Wirtschaft weiterhin viele Sorgen. 59 Prozent der Unternehmen geben an, mit kurzfristigen Maßnahmen hierauf zu reagieren. 55 Prozent planen, auch langfristige Maßnahmen zu ergreifen, z.B. die Weitergabe der Mehrkosten. Branchenübergreifend sparen 64 Prozent der Unternehmen Energie in der kurzen Frist, 53 Prozent planen diese Maßnahme auch langfristig. Sowohl die Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen (51 Prozent) als auch das Ausweichen auf andere Energieträger (18 Prozent) ist besonders in der energieintensiven Industriebranche eine langfristige Lösung. Auch der Umweltschutz spielt eine immer wichtigere Rolle: 30 Prozent der befragten Unternehmen geben an, künftig stärker in Umweltschutzmaßnahmen investieren zu wollen. In der Industrie sind es sogar knapp 38 Prozent.
Stellten den 110. Ruhrlagebericht vor: Philipp Böhme, Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet, Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, und Matthias Wulfert, stellv. Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK zu Duisburg (v.li.).
„Wenn es einen positiven Effekt der Krise gibt, dann, dass immer mehr Unternehmen darüber nachdenken, wie sie nachhaltiger wirtschaften und Energie einsparen können“, sagt Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, im Pressegespräch am heutigen Freitag. „Für die Wirtschaft im Ruhrgebiet – und insbesondere für die energieintensiven Unternehmen – ist eine sichere Versorgung mit Energie zu bezahlbaren Preisen weiterhin unerlässlich. Das gibt den Betrieben die Zeit, sich mit Alternativen auseinanderzusetzen und entsprechende Investitionen anzustoßen, die mittel- und langfristig Wirkung entfalten“, so Bergmann weiter.
Mehr Anstrengungen beim Bürokratieabbau, bei der Digitalisierung und bei der Einwanderung von Fachkräften nötig
Eine sichere Energieversorgung sei allerdings nicht die einzige Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands – und damit auch des Ruhrgebiets. Die Politik in Bund und Land sei jetzt gefordert, die richtigen Weichen zu stellen, damit der Bürokratieabbau Fahrt aufnehmen könne, um etwa Genehmigungsverfahren zu erleichtern, so Michael Bergmann. Auch müsse mehr getan werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. „Dazu zählen vor allem vereinfachte Verfahren bei der Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland“, sagte Bergmann. „Ansonsten bekommen unsere Unternehmen die volle Härte des demografischen Wandels zu spüren.“ Der IHK-Hauptgeschäftsführer mahnte darüber hinaus einen Schulter-schluss von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bei der Digitalisierung an: „Unternehmen müssen einfacher und digitaler mit Behörden in Kontakt treten können – und gleichzeitig muss der Austausch von Daten zwischen den Behörden deutlich vereinfacht werden.“