Farbenhändler werden YouTube-GrößenNeuer Inhalt

Unter dem Namen Vietschi-Farben vertreiben zwei Bochumer seit 20 Jahren Malerbedarf. Der große Erfolg ihres Unternehmens hängt auch mit einer Multichannel-Strategie zusammen.
Von Daniel Boss
Abitur, kaufmännische Ausbildung, Malerlehre, Meistertitel, Handelsunternehmer – Carsten Vietmeier hat eine kurvenreiche Karriere hingelegt. Ursprünglich war geplant, dass er den väterlichen Handwerksbetrieb übernimmt. „Doch es sollte, wie so oft im Leben, anders kommen“, sagt der ­heute 52-Jährige. Den Farben ist er allerdings treu ­geblieben. Doch anstatt sie selbst auf die Wände zu bringen, kam er auf die Idee, Endverbraucher:innn und kleinen Malerbetrieben Profi-Produkte anzubieten, „wie es sie sonst nur im Fachgroßhandel gibt“. Mit diesem Plan wandte er sich an seinen alten Berufsschulfreund Marco Schindler. „Wenn ich ­gewusst hätte, welche Folgen das haben würde, hätte ich Carsten damals nicht die Tür geöffnet“, sagt Schindler (50) mit trockenem Ruhrpott-Humor.
Denn echten Grund zur Klage gibt es nicht: Vielmehr legte das Duo vor 20 Jahren den Grundstein für eine bis heute ­andauernde Erfolgsgeschichte. Aus dem kleinen Ladenlokal an der Harkortstraße mit dem „Charakter eines Tante-­Emma-Ladens" ist eine 1.500 Quadratmeter große Halle im Gewerbegebiet in Bochum-Wattenscheid geworden. Von hier aus kümmert sich das 16-köpfige Team um Kund:innen in ganz Deutschland. „Leute aus dem Ruhrgebiet nutzen auch unseren stationären Standort. Rund 60 Prozent aber laufen über den Onlineshop“, erklärt Vietmeier.
Dabei war der Anfang recht steinig. Zum einen mussten die Hersteller überzeugt werden, ihre für Fachleute ­bestimmten Produktlinien über Vietschi-Farben auch Privatleuten ­zugänglich zu machen. Zum anderen war die Skepsis im Verwandten- und Bekanntenkreis groß. „Wir mussten uns ­damals einige Sprüche anhören“, erinnert sich Schindler. Diese Zeiten sind vorbei; längst überwiegt im Umfeld die ­Bewunderung für das Erreichte.
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Zu den Kund:innen zählen inzwischen auch Institutionen wie Stadtverwaltungen oder Landes- und Bundesbehörden. Sie versorgen sich bei der Vietschi-Farben GmbH mit Pinseln, Rollen, Malervlies und – natürlich – Farben. Etwa 20.000 Positionen umfasst das Sortiment. Die Hersteller heißen Caparol, Erfurt oder Storch. Auch eine Eigenmarke gibt es. Beliefert werden die Wattenscheider sowohl direkt von der Industrie als auch von zwei anderen Partner-Großhändlern. „Auf Wunsch können wir praktisch jedes Produkt besorgen, das mit Malen und Lackieren zu tun hat“, sagt Schindler, der im Unternehmen für den Vertrieb zuständig ist. Die „­reine Farbe“ macht etwa die Hälfte des Umsatzes aus. Dieser lag im vergangenen Jahr bei 7,3 Millionen Euro. „In diesem Jahr werden wir deutlich darüber liegen“, prognostiziert ­Vietmeier.
Damit behauptet sich der Wattenscheider Malerbedarf in einer „schlimmen und nach wie vor andauernden Krise der Baubranche“, wie Schindler sagt. „Der Bund hatte doch mal das Ziel ausgegeben, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollten. Was daraus geworden ist, wissen wir ja.“ Das Fehlen von Neubauten an sich wäre für Vietschi-Farben kein Problem. „In diesem Bereich sind vor allem große Malerbetriebe aktiv, die in der Regel nicht bei uns kaufen.“ Die Herausforderung liegt woanders: „Wenn es keine neuen Wohnungen gibt, werden weniger ältere Wohnungen verlassen. Dadurch fehlen Anlässe für Renovierungen oder zumindest kleinere Schönheitsarbeiten, bei denen unsere Produkte verstärkt ins Spiel kommen.“
Ein weiterer Aspekt ist die Do-it-Yourself-Welle während der Corona-Pandemie. „In diesen zwei, drei Jahren haben viele Eigenheimbesitzer ihre vier Wände verschönert. Das wirkt natürlich bis heute nach.“ In der jetzigen „miesen Stimmung“ hielten die Menschen ihr Geld zusammen oder gäben es lieber für Flüge in die Sonne statt für Verschönerungen von Haus oder Wohnung aus. Nach dem Motto: „Wer weiß, was noch alles Schlimmes kommt.“ Laut Schindler sei die Branche „ein S
eismograph für die Befindlichkeiten der deutschen Gesellschaft“.
Dass er und sein Kompagnon dennoch mit den Umsätzen zufrieden sind, hängt nicht zuletzt mit einer sehr modernen Marketing-Strategie zusammen: Von Anfang an setzen sie auch auf Social Media. Und das mit überwältigendem Erfolg. Auf YouTube haben sie rund 230.000 Abonnent:innen. Auf TikTok haben sie schon vor einiger Zeit die 100.000er-­Marke geknackt. Gepostet wird eine Mischung aus Entertainment und sachkundigen Hinweisen. „Man muss die Menschen ­unterhalten, zugleich wollen sie etwas Nützliches lernen“, sagt Schindler. Die Clips haben Überschriften wie: „Raufasertapete vs. Malervlies“, „Was ist die beste ­Kleistermaschine?“ oder „Der Fogging-Effekt – das ist kein Schimmel!“
Das Social-Media-Gesicht von Vietschi-Farben ist vor allem Maler-Profi Vietmeier. Aber auch einige Mitarbeiter:innen treten regelmäßig vor die Kamera. Dabei will man sich nicht zu ernst nehmen. „Outtakes“ mit lustigen Szenen voller Pleiten, Pech und Pannen werden ebenso ins Netz gestellt wie die Beschäftigung mit dem Muskelaufbau bei Malerarbeiten. Dabei kommen echte Hanteln zum Einsatz. „Wir nutzen unsere Reichweite natürlich auch, um neue Kunden zu gewinnen“, sagt Vietmeier. „Zugleich wollen wir aber auch eine Info-Plattform für Leute sein, die selbst mal zum Pinsel greifen möchten oder müssen, und sich über fachkundige Tipps freuen.“
Nach dem Einstieg eines Mehrheitsgesellschafters vor vier Jahren hält das Gründerduo zusammen noch 49 Prozent am Unternehmen. „Das operative Geschäft liegt aber weiterhin voll und ganz in unseren Händen“, betont Schindler. Derzeit sei man dabei, den Baustoffbereich auszuweiten. Dabei geht es unter anderem um Produkte für das Verlegen von Böden. Komplette Sortimente für andere Gewerke, etwa Sanitär oder Elektrik, sind aber „definitiv nicht geplant“. Man dürfe sich nicht verzetteln, so Schindler. „Mit Farben und Malerbedarf kennen wir uns aus. Und hier wird auch in Zukunft unser Schwerpunkt liegen.“
Das stilisierte bunte Chamäleon ist also weiterhin das ­passende Logo für Vietschi-Farben. Der Name verweist ­übrigens auf die beiden Gründer und hat nichts mit dem Inselstaat im Südpazifik zu tun. „Höchstens so viel, dass wir eines Tages hier unseren Ruhestand verbringen möchten“, sagt Schindler lachend. Allerdings scheint es kaum vorstellbar, dass die Unternehmer ihre Heimat verlassen würden. „Wir sind echte Lokalpatrioten“, sagt Schindler, der einen herrlich breites Ruhrdeutsch pflegt. Darauf habe ihn sogar mal Schauspieler und Ruhrgebietslegende Ralf Richter angesprochen. „Das war natürlich ein Ritterschlag für mich.“
Betriebliches Gesundheitsmanagement Fitness ist beim Anstreichen nicht unwichtig – und auch im Farbenhandel nicht verkehrt. Aus diesem Grund – und als Benefit für die Mitarbeiter:innen – wurde bei Vietschi-Farben vor einiger Zeit ein kleines Fitnessstudio eingerichtet. In diesem Raum kann das Team Gewichte stemmen und in die Pedale treten.