Zu wenige Azubis? So erreichen Sie die Gen Z!

Der Ausbildungsmarkt hat sich dramatisch gedreht. Viele offene Stellen, immer weniger potenzielle Auszubildende, die sich darauf bewerben. Azubis können sich ihre Stellen aussuchen – und sind auch eher bereit, eine Stelle vorzeitig zu verlassen, wenn es nicht rund läuft. Das beweisen aktuelle Studien. Doch was können Unternehmen tun, um von der Generation Z stärker wahrgenommen zu werden? Und welche Unterstützungsangebote gibt es eigentlich? Eine Bestandsaufnahme.
Von Anna Kalweit und Sven Frohwein
Faul, fordernd und überfordert – dieses Bild hat die ältere Generation häufig von der Gen Z, also von den Geburtenjahrgängen 1997 bis 2012. „Warum sollten wir auch Ambitionen haben, wenn wir damit rechnen müssen, dass uns der Klimawandel mit 60 wegwischt?“, kontert Fynn scherzhaft. Der 21-Jährige ist neben Karl und Nicole einer von drei Azubis bei der Webagentur Pottkinder in Bochum-Linden. Von dem wenig schmeichelhaften Dreiklang halten auch die Geschäftsführer:innen Ina und Bastian Bringenberg wenig – und das, obwohl bei ihnen oft „Problemfälle“ landen.
Zum „Problem“ wird man ziemlich schnell: Eine nicht beendete Ausbildung, schlechte Noten oder berufliche Ziellosigkeit reichen schon aus. So hatten Karl und Fynn jeweils einen Studienabbruch hinter sich, bevor sie zu Pottkinder kamen. Wie Problemfälle wirken beide aber nicht. Sind sie auch nicht. Ina Bringenberg: „Ausbildungs- und Studienabbrüche, schulische Leistungen oder auch persönliche Probleme sind uns nicht wichtig, wenn wir mit jemandem zusammenarbeiten wollen.“ Und Ehemann Bastian Bringenberg ergänzt: „Bei uns zählt viel mehr das Menschliche als das Fachliche.“

Kaum Einblicke in den Berufsalltag
Im Kammerbezirk der IHK Mittleres Ruhrgebiet liegt die Quote der Vertragsauflösungen in der dualen Ausbildung bei 15 Prozent, bundesweit sind es laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) knapp 30 Prozent – ein neuer Höchststand. Betriebliche Ausbildungsqualität, die positive Lage am Ausbildungsmarkt für Jugendliche, Konflikte zwischen Ausbilder:innen und Auszubildenden: Laut demBIBB sind die Gründe für eine Vertragslösung „vielseitig und komplex“. Wo sehen die Pottkinder die Ursachen für die hohe Quote? „Bereits 18-Jährige sollen vermeintlich einen Plan vom Leben haben. Viele junge Menschen fangen dann aus Druck eine Ausbildung an, ohne zu wissen worauf sie sich einlassen“, sagt Ina Bringenberg. Diese Erfahrung hat auch Fynn gemacht: „Ich hätte mein Studium schon früher abgebrochen, aber die Perspektivlosigkeit hat mich davon abgehalten.“ So sei es schwer, sich drei Jahre auf eine Ausbildung festzulegen, wenn man nicht wisse, was auf einen zukommt. Vor allem mangele es an Einblicken in den Arbeitsalltag.
Die junge Generation kommuniziert anders
Aus diesem Grund sieht es Ina Bringenberg als persönliche Verpflichtung, ihren Azubis einen guten Einstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen. Dazu gehört auch ein mehrmonatiges Praktikum im Vorfeld: In diesem Zeitraum testen beide Seiten, ob es fachlich, aber vor allem auch im Team passt. Das Miteinander sei der Schlüssel für gute Kommunikation, die in der Zusammenarbeit extrem wichtig sei. Und die Gen Z kommuniziert anders. Bastian Bringenberg: „Die Vorgängergenerationen glauben, dass sie im Job immer funktionieren müssen. Unsere Azubis gehen auf der Arbeit offen mit ihren Bedürfnissen um und fragen sich, wofür sie etwas machen.“ Die junge Generation sei arbeitswillig – wenn Arbeitgeber:innen Transparenz zeigen und Dinge erklären. Auch die Lebensrealität heutiger Jugendlicher sei eine andere. War es für die (Groß-) Elterngeneration normal, sich ein Haus und Urlaube leisten zu können, haben Berufseinsteiger:innen mit Inflation und steigenden Energiepreisen zu kämpfen. Logisch, dass sich da die Frage nach dem Sinn der Arbeit stellt.
Menschlichkeit steht für die Gen Z ganz weit oben
Geld spielt aber nicht die größte Rolle für ein gutes Arbeitsverhältnis. „Ich möchte wie ein Mensch behandelt werden und nicht wie eine Zahl in einer Excel-Tabelle“, bringt es Azubi Fynn auf den Punkt. Fühlen sich Auszubildende in ihrem Job wohl, setzen sie sich auch gerne für ihren Arbeitgeber ein, ist er sich sicher. Sich bedanken oder nach dem Befinden fragen – Ina Bringenberg hat die Erfahrung gemacht, dass bereits Wertschätzung im Kleinen viel bringt. „Wir übernehmen auch mal einen Teil der Elternrolle, das gehört dazu.“ So unterstützten die Bringenbergs einen Auszubildenden bei der Wohnungssuche und dem anschließenden Umzug.
Auch Fehler dürfen die Nachwuchskräfte machen, selbst wenn diese Geld kosten. „Uns ist Fehlerkultur wichtig, denn daraus lernen unsere Azubis.“ Auch Nicole, die im zweiten Lehrjahr zur Anwendungsentwicklerin ist, hat bereits eine persönliche Entwicklung durch die offene Kommunikation bei Pottkinder festgestellt: „Am Anfang war ich in meiner introvertierten Phase, jetzt rede ich volle Kanne durch.“ Und Fynn ergänzt: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass diese zwischenmenschliche Akzeptanz nicht nur ihren Mehrwert für die geschäftliche Seite hat. Wenn die Leute so gut miteinander klarkommen, können sie besser arbeiten und sind produktiver. Damit ist mindestens eine Wozu-Frage beantwortet.
Mehr Präsenz in den (Berufs-) Schulen zeigen
Ein Praktikum, da ist sich auch Sophie Nixdorf sicher, ist die beste Einstiegshilfe ins Berufsleben. Nixdorf ist Personalchefin bei der Maschinenfabrik Mönninghoff in Bochum-Wattenscheid. Der Maschinenbauer bildet im gewerblich-technischen Bereich Mechatroniker:innen, Zerspanungs- und und Industriemechaniker:innen aus; auch kaufmännische Azubis beschäftigt das Unternehmen. Aktuell hat die Firma drei Azubis, die den Weg über ein Praktikum ins Unternehmen gefunden haben. Auch bei Mönninghoff sind Schulnoten nicht alles: „Ich achte allerdings auf die Mathenote und auf unentschuldigte Fehlstunden in der Schule“, sagt Nixdorf. Ihr sei ein engagierter Azubi allerdings allemal lieber als jemand, der nur mit guten Noten glänze. Nixdorf setzt auf Präsenz in den Berufsschulen, um junge Menschen für ihr Unternehmen zu begeistern. „Sie müssen die Jugendlichen dort abholen, wo ihr Lebensmittelpunkt ist.“ Außerdem sei es leichter, an die Generation Z heranzukommen, wenn man Azubis dabeihabe, die aus dem Berufsalltag berichten könnten. „Das ist einfach authentischer, als wenn ich den Schülern erkläre, was sie erwartet. Zum Glück haben wir zwei Azubis, die darauf auch Lust haben und ihre Erfahrungen weitergeben möchten.“
Sie müssen die Jugendlichen dort abholen, wo ihr Lebensmittelpunkt ist.
Sophie Nixdorf, Personalchefin bei der Maschinenfabrik Mönninghoff
Eine klare Vorstellung von der Work-Life-Balance
Grundsätzlich hänge der Erfolg der Ausbildung sowieso von engagierten Kolleg:innen ab. „Sie brauchen einfach Kollegen, die sich die Zeit nehmen und auf die Bedürfnisse der Azubis eingehen“, sagt Nixdorf. Ein guter Ausbilder müsse heute Kumpel, Vaterfigur und Vorgesetzter zugleich sein. „Mir kommt dann manchmal eine mütterliche Rolle zu“, sagt die Personalchefin und muss lachen. Überhaupt Bedürfnisse: „Die jungen Menschen haben eine klare Vorstellung davon, wie Arbeit und Freizeit miteinander einhergehen sollen.“ Es gebe mehr Wünsche nach Teilzeit, nach Flexibilisierung der Arbeitszeit – und nach dem Sinn der Arbeit. Darauf müsse man als Betrieb viel mehr eingehen als noch vor zehn Jahren. Manchmal nütze aber auch alles Engagement nichts. „Ich hatte mal einen Azubi, der hat abgebrochen, weil er als Fahrer bei einem Lieferservice mehr verdienen konnte. Da machen Sie dann als Ausbildungsbetrieb nichts“, so Nixdorf. „Wir müssen einfach erkennen, dass die jungen Menschen oft etwas anderes auf dem Schirm haben als ihre eigene berufliche Zukunft.“ Nur dann könne man sich dem Phänomen Generation Z nähern.
Azubis als beste Werbung für die eigene Ausbildung
Eine Einschätzung, die auch die Bundesagentur für Arbeit teilt. „Die Unternehmen müssen erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Und sie müssen dazu bereit sein, junge Menschen einzustellen, die sie vielleicht früher nicht genommen hätten“, sagt Dr. Lars Hanisch, Teamleiter in der Berufsberatung der Arbeitsagentur Bochum. Eine Kommunikation auf Augenhöhe sei das A und O, um offene Ausbildungsstellen erfolgreich zu besetzen. „Bringen Sie Ihre Azubis mit in die Schulen, machen Sie dort Werbung für Ihr Unternehmen, so begeistern Sie junge Leute für einen Job“, appelliert Hanisch an die Ausbildungsbetriebe. „Auch wir nehmen unsere Auszubildenden mit in die Schulen. Die reden komplett anders miteinander und schaffen es auf diese Weise, die Schüler zu überzeugen.“ Hanisch ergänzt: „Und auch die Unternehmen, die mit uns auf Azubimessen in die Schulen mitgehen, können auf diese Weise junge Menschen für sich gewinnen.“ Auch Praktika seien wichtig und interessant, um Jugendliche davon zu überzeugen, dass sie im Unternehmen richtig sind.
Die Unternehmen müssen erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben.
Dr. Lars Hanisch, Teamleiter in der Berufsberatung der Arbeitsagentur Bochum
Und sie helfen laut Arbeitsagentur auch den Jugendlichen, die nicht erste Wahl der Unternehmen sind. „Wenn es für eine Ausbildung nicht reicht, dann kann eine sechs- bis zwölfmonatige Einstiegsqualifizierung helfen“, sagt Dr. Kathrin Kelzenberg vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur Herne. „So haben die Jugendlichen die Möglichkeit, für ein Praktikumsentgelt erste Berufserfahrung zu sammeln, um damit die Aussicht auf eine Ausbildung zu verbessern. Wir helfen den Betrieben dabei.“
 
Potenziale durch alternative Wege entdecken
Vor allem aber müssten die Unternehmen ihre Eigenwerbung verbessern. „Arbeitgeber machen sich bislang viel zu wenige Gedanken darüber, was ihren eigenen Betrieb eigentlich ausmacht“, sagt Dr. Robin Köhler-Kelzenberg, Teamleiter beim Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Bochum. „Wenn es den Unternehmen gelingt, sich besser darstellen zu können, macht sich das auch in der Zahl der Bewerbungen bemerkbar.“ Außerdem müssten Ausbildungsbetriebe auch noch an anderer Stelle umdenken. „Viel zu wenige sehen in älteren Menschen potenzielle Azubis.“ Dabei sei eine solche Umschulung vor allem für Menschen interessant, die nicht zu einem Ausbildungsgehalt arbeiten könnten, „weil sie schon mitten im Leben stehen und vielleicht schon Familie haben“. Da könne die Agentur für Arbeit unterstützen. „Die Betriebe müssen sich nur dazu durchringen“, so Köhler-Kelzenberg. Das gelte im Übrigen auch für die zahlreichen Unterstützungsangebote der Bundesagentur für Arbeit, so Dr. Kathrin Kelzenberg. „Wir wollen künftig mehr Netzwerkpartner sein. Den Unternehmen sind unsere Services aber oftmals nicht bekannt.“

Hintergrund: Höchststand Vertragslösungsquote
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) berechnet jährlich die Quote von Vertragslösungen bei dualen Ausbildungen in Deutschland. Bundesweit stieg die Quote im Jahr 2022 auf 29,5 Prozent, ein neuer Höchststand (2019: 26,9 Prozent). Die Lösungsquote ist keine Abbruchquote, denn viele der Auszubildenden treten im Anschluss einen neuen Vertrag im dualen Bildungssystem an. Insgesamt wurden im Erhebungszeitraum 155.325 duale Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst, davon jeweils etwa ein Drittel in der Probezeit und im ersten Ausbildungsjahr. Eine Analyse des BIBB zeigt, dass die Lösungsquote steigt, wenn die Arbeitsmarktlage für Jugendliche wie aktuell besonders positiv ist. Allgemein seien die Gründe aber vielseitig und vom Einzelfall abhängig. Mögliche Vorkehrungen gegen eine hohe Lösungsquote können Unterstützungsangebote für Jugendliche zur beruflichen Orientierung, aber auch die Stärkung der betrieblichen wie beruflichen Sozialisation im Unternehmen sein.

Viele Wege führen zur Fachkraft

Nicht nur die duale Ausbildung trägt zur Fachkräftesicherung bei. Auch über diese Wege können Unternehmen Potenziale entdecken:
Anpassungsqualifizierung
Mit der Anpassungsqualifizierung sind Maßnahmen gemeint, die wesentliche Unterschiede zwischen einer ausländischen Berufsqualifikation und dem deutschen Referenzberuf ausgleichen sollen. Der Ausgleich kann in Unternehmen und/oder bei Bildungsträgern stattfinden und dient dazu, Lücken zur vollen Gleichwertigkeit zum deutschen Berufsbild zu schließen. Die IHK Mittleres Ruhrgebiet ist Pilotkammer bei UBAconnect. In dieser Datenbank können Sie sich kostenlos und unverbindlich registrieren, um Bewerber:innen für eine Anpassungsqualifizierung zu finden.
Assistierte Ausbildung
Die Assistierte Ausbildung (AsA flex) unterstützt Auszubildende und Betriebe auf dem Weg zum Berufsabschluss. Einerseits bietet sie Unternehmen Hilfe bei Verwaltung, Organisation und Durchführung von Ausbildungen. Andererseits umfasst die „AsA flex“ fachspezifischen Förderunterricht beispielsweise zum Ausgleich von schulischen Defiziten oder zur Vorbereitung auf die Zwischenprüfung. Bei Bedarf ergänzt eine sozialpädagogische Betreuung das Angebot, wenn persönliche Probleme den Abschluss gefährden.
Betriebliche Einzel- und Gruppenumschulung
Eine Umschulung soll zu der Ausübung einer neuen beruflichen Tätigkeit befähigen. Dies umfasst auch das Nachholen eines Berufsabschlusses als Erwachsener (über 25 Jahre). Voraussetzung sind dafür der Abschluss einer anderen Berufsausbildung, der Nachweis von mindestens sechs Studiensemestern oder mehrjährige Berufspraxis. Die betriebliche Einzelumschulung findet in einem Ausbildungsbetrieb statt und wird durch den Besuch einer Berufsschule begleitet. Die Gruppenumschulung findet bei einem Bildungsträger statt und wird durch Praktika ergänzt.
Einstiegsqualifizierung
Mit der Einstiegsqualifizierung (EQ) können Unternehmen Talente entdecken: Junge Erwachsene (unter 25 Jahren), die im Bewerbungszeitraum keine Lehrstelle gefunden haben oder noch nicht für eine klassische Ausbildung geeignet sind, lernen in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten Beruf und Betrieb kennen und entwickeln ihre Fähigkeiten weiter. Ein Erfolgsmodell: Aus gut zwei Dritteln der EQ entsteht im Anschluss ein Ausbildungsvertrag.

Externenprüfung
Die Externenprüfung bietet erfahrenen Berufspraktiker:innen die Chance, einen anerkannten Berufsabschluss zu erhalten, ohne vorab eine Ausbildung absolviert zu haben. Die Anforderungen in der Externenprüfung sind identisch mit denen, die an Auszubildende des jeweiligen Berufs gestellt werden. Die Prüfungen haben theoretische und fachpraktische Anteile und werden in der Regel gemeinsam mit den Auszubildenden abgelegt.

Teilqualifikation
Mit der Teilqualifikation (TQ) können Erwachsene über 25 Jahre einen Berufsabschluss nachholen. Dabei erwerben die Teilnehmer:innen schrittweise fachliche und berufliche Kenntnisse. Die IHK informiert Betriebe über Qualifikationsmöglichkeiten und vergibt nach einer Kompetenzfeststellung IHK-Zertifikate, die zur Externenprüfung (siehe oben) befähigen.