Bedingt abwehrbereit? Wie Wirtschaft und Verteidigung jetzt Hand in Hand gehen müssen

Die Bundeswehr soll in die Lage versetzt werden, Deutschland und Europa vor einer russischen Aggression zu verteidigen. Das geht nicht ohne die Unternehmen im Land. Mit dem 2024 überarbeiteten Konzept der „Gesamtverteidigung“ wurde die Wirtschaft ausdrücklich in den Mittelpunkt gestellt. Sie soll sicherstellen, dass die Bundeswehr ihr ehrgeiziges Ziel erreicht.
Von Sven Frohwein
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 fand Bundeskanzler Olaf Scholz klare Worte: Er sprach von einer „Zeitenwende“, einer Zäsur auf einem Kontinent, der über viele Jahrzehnte in Frieden und Wohlstand leben durfte. Damit das auch in Zukunft so sei, so die Kernbotschaft der Regierung, müsse Deutschland „in die Sicherheit unseres Landes mehr investieren, um unsere Freiheit zu ­bewahren“.
In der Folge brachte der Bundestag ein Milliardenpaket auf den Weg, um die Bundeswehr fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. 100 Milliarden Euro schwer ist das Sondervermögen, mit dem nicht nur neue Panzer, Schiffe und Flugzeuge angeschafft werden sollen, sondern die Bundeswehr grundlegend modernisiert werden soll. Eine Mammutaufgabe, an der bereits zahlreiche Verteidigungsminister:innen in der Vergangenheit gescheitert sind. Zu groß der Apparat, zu schwerfällig die Bürokratie in der Truppe. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat es sich zum Ziel gesetzt, dieses Reformprojekt trotzdem zu einem guten Abschluss zu bringen. Zahlreiche Beschaffungsprozesse wurden bereits reformiert und vereinfacht, eine nationale Sicherheitsstrategie eingeführt. Ziel sei es, so Pistorius, die Streitkräfte wieder „kriegstüchtig“ zu machen und die NATO-Partner zuverlässig zu unterstützen. Die Zeit drängt: Denn 2029, so die einhellige Meinung vieler Verteidigungs­expert:innen, sei Russland in der Lage, die NATO anzugreifen.
Eine Bundeswehr, die nicht aufgrund ihrer mangelhaften Ausrüstung zur Passivität verdammt ist? Die andere NATO-Partner nach Kräften unterstützt? Das wird nicht ohne die Hilfe der Wirtschaft klappen. Doch viele Unternehmen haben sich noch nicht mit den Folgen der „Zeitenwende“ auseinandergesetzt. Bislang fehlt bei vielen die Vorstellungskraft, mit welchen Folgen der Verteidigungsfall verbunden wäre.
Doch es gibt bereits einige Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, allen voran die Rüstungsfirmen. Die Verteidigungsindustrie, die bis 2022 eher ein Schattendasein fristete, ist seit 2022 nicht mehr aus den Schlagzeilen wegzudenken. Milliardenaufträge werden vergeben, neue Produktionsanlagen im In- und Ausland aus dem Boden gestampft, Belegschaften aufgestockt, um die ehrgeizigen Ziele, Deutschland und Europa wieder wehrtüchtig zu machen, zu erreichen – und um die Ukraine nach Kräften zu unterstützen, den Aggressor Russland zurückzudrängen.
Auch bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin weiß man nur zu gut, dass die Herausforderung, die Wirtschaft „kriegstüchtig“ zu bekommen, immens ist. So sei „aus heutiger Sicht seit Ende des Kalten Krieges zu wenig in zivile und militärische Infrastruktur, Verteidigung und Sicherheit investiert worden“, lautet ein Fazit aus dem DIHK-Positionspapier „Wirtschaft und Verteidigung“. Bislang hemmten Personalengpässe, komplizierte Verfahren und Infrastrukturdefizite nach wie vor die Umsetzung der „Zeitenwende“.
Dabei liefert das 2024 überarbeitete Konzept der „Gesamtverteidigung“ eine Blaupause, was im Krisenfall zu tun ist. Das Konzept stellt die Wirtschaft ausdrücklich in den Mittelpunkt. Das Papier beschreibt „das Zusammenspiel der militärischen und zivilen Akteure und betrifft damit Maßnahmen der Bundeswehr und Aspekte des Zivilschutzes wie Telekommunikation, Cybersicherheit, Verkehr, Energie-, Rohstoff-, Gesundheits- oder Lebensmittelversorgung bis hin zur Sicherstellung und Einbindung der Wirtschaft“.
„Es ist sowohl im Interesse der Wirtschaft als auch der Bundeswehr, wenn Deutschland noch konsequenter unnötige Bürokratie abbaut und Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt.“
Der in großen Teilen geheime „Operationsplan Deutschland“ betont Deutschlands Rolle als logistische Drehscheibe der NATO. Damit rücken vor allem Infrastruktur, Transportkapazitäten und Energieversorgung ins Zentrum. Ohne eine ­widerstandsfähige Wirtschaft kann die Verteidigungsfähigkeit des Landes also nicht gewährleistet werden. Auch die DIHK macht in ihrem Positionspapier deutlich: Unternehmen müssen sich nicht nur auf Störungen einstellen, sondern ­aktiv Vorsorge treffen. Resilienz wird auf diese Weise zu einer betrieblichen Kernaufgabe.
Wichtige Reformbemühungen, die die IHK-Organisation bereits seit Jahren unermüdlich einfordert, sind für das Gelingen der „Zeitenwende“ noch entscheidender. „Es ist sowohl im Interesse der Wirtschaft als auch der Bundeswehr, wenn Deutschland noch konsequenter unnötige Bürokratie abbaut und Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt“, so das Positionspapier. Das betreffe Straßen, Häfen, Flughäfen, Energienetze - alles zentrale Elemente für Versorgung und Truppenbewegungen. Eine Rückkehr zum Wehrdienst könnte „den Wettbewerb um qualifiziertes ­Personal weiter verschärfen“. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Mitarbeitende zeitweise durch Wehrdienst, Reserveübungen oder Engagement in Blaulichtorganisationen gebunden sind. Angriffe auf kritische Infrastrukturen zeigen schon heute die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft und unserer Unternehmen. Die Wirtschaft müsse ihre „kritischen Geschäftsbereiche absichern und gegebenenfalls Redundanzen schaffen“. Dazu gehören Investitionen in IT-Sicherheit, Mitarbeiterschulungen und Notfallpläne.
Zudem, so die DIHK, sollten Unternehmen ihre Abhängigkeiten reduzieren. Auch die Politik sei hier gefragt: „Weitere Handelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften leisten einen entscheidenden Beitrag für eine erfolgreiche Diversifizierung.“ Auch Kreislaufwirtschaft und Materialrückgewinnung gewinnen laut DIHK eine sicherheitspolitische Bedeutung. Zudem betont das Papier, dass „ein etabliertes Krisenmanagement und unternehmensbezogene Krisenpläne im Ernstfall über Lieferfähigkeit, Standortstabilität und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit entscheiden“.
Das DIHK-Papier beweist: Die „Zeitenwende“ ist mehr als ein Rüstungsprogramm - sie verlangt einen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt. Die Bundeswehr braucht verlässliche Partner in Wirtschaft und Gesellschaft, um ihre Rolle in der NATO und für die nationale Sicherheit erfüllen zu können.
Die DIHK bringt es auf den Punkt: „Die Wirtschaft übernimmt damit Verantwortung – als Teil eines funktionierenden zivilen Rückgrats in der Gesamtverteidigung.“ Unternehmen, Politik und Bundeswehr stehen laut IHK-Organisation gemeinsam in der Pflicht: Bürokratieabbau, Investitionen in Infrastruktur, Fachkräftesicherung, Cyberresilienz und Krisenvorsorge seien nicht nur Sicherheitsfragen - sie seien zugleich Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Neues DIHK-­Positionspapier „Verteidigung braucht eine starke Wirtschaft.“

Die Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Angesichts der veränderten geopolitischen Sicherheitslage skizziert die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit von Wirtschaft mit den Sicherheitsbehörden sowie die Aufgaben von Betrieben und IHK in unterschiedlichen Sicherheitslagen. Die Kernpunkte des Papiers im Überblick:
ihkpapierverteidigung
Neue Sicherheitslage: Russlands Angriff auf die ­Ukraine zeigt die Verwundbarkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Unternehmen sind zentrale Akteure bei ­Logistik, Versorgung, Energie und Cybersicherheit. Gesamtverteidigung: Zusammenspiel von militärischen und zivilen Akteur:innen, inkl. Wirtschaft, wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden.
Deshalb fordert die DIHK:
  • Bürokratieabbau & Tempo: Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, Infrastruktur (Verkehr, Energie, Kasernen) modernisieren.
  • Fachkräfte & Wehrdienst: Fachkräftemangel berücksichtigen; Wehrdienstmodelle flexibel gestalten; Weiter­bildung nutzen, um Wehrdienst attraktiver zu machen; Reserve- und Blaulichtdienste fördern.
  • Cybersicherheit & Resilienz: Investitionen in Schutz kritischer Infrastrukturen, Umsetzung von EU-Richtlinien (­NIS-2, CER), Balance zwischen Resilienz und Bürokratie.
  • Energie- & Rohstoffsicherheit: Europäische Energieintegration stärken, Lieferketten diversifizieren, Kreislaufwirtschaft fördern.
  • Industriepolitik & Finanzierung: Verlässliche Finanzierung von Verteidigungsausgaben sichern; Forschung & Entwicklung fördern (z. B. KI, Drohnen, vernetzte ­Systeme); Vergabeverfahren vereinfachen; europäische Förderprogramme praxistauglicher machen.
  • Rüstungsmärkte: Exporte erleichtern, Dual-Use-Produkte entbürokratisieren, europäischen Binnenmarkt für Verteidigungsgüter aufbauen.
Insgesamt fordert die DIHK: schnellere Verfahren, weniger Bürokratie, bessere Infrastruktur, flexible Fachkräftestrategien, resiliente Lieferketten, innovationsfreundliche Industriepolitik und eine engere Verzahnung von Wirtschaft und Verteidigung.

Verteidigung und Wirtschaft - Fragen und Antworten

Was versteht man unter dem Begriff Gesamtverteidigung?
Die Gesamtverteidigung umfasst alle Maßnahmen, die vom Staat und der Gesellschaft ergriffen werden, um die Widerstandsfähigkeit im Falle von Krisen oder militärischen Auseinandersetzungen zu gewährleisten. Sie betrifft nicht nur die Bundeswehr, sondern auch zivile Akteur:innen, Unternehmen und öffentliche Institutionen. Das bereits mit Gründung der Bundeswehr 1955 entwickelte und 2024 ergänzte Konzept der Gesamtverteidigung beruht auf vier Säulen: auf der NATO und den ihr unterstellten Teilzeitkräften der Bundeswehr, auf der sogenannten bodenständigen Landesverteidigung, auf der gemeinsam mit der NATO koordinierten Luftverteidigung sowie auf der vom Bundesinnenministerium koordinierten ­zivilen Verteidigung.
Welche Rolle hat die Wirtschaft im Rahmen der ­Gesamtverteidigung?
Unternehmen sind entscheidend für die Vorbereitung und Bewältigung von Krisen. Es ist notwendig, dass Produk­tions- und Lieferketten widerstandsfähig sind, kritische Infrastrukturen geschützt werden und die Betriebe im Ernstfall die Grundversorgung sicherstellen können. Zudem müssen Unternehmen auf mögliche Einschränkungen und Herausforderungen vorbereitet sein. Interne Notfallpläne sowie Vorsorgemaßnahmen sollten deshalb rechtzeitig getroffen ­werden. Dazu zählen u. a. Prozesse wie das Business Continuity ­Management (BCM), der Schutz vor hybriden Bedrohungen sowie der Schutz vor physischer Sabotage.
Kann der Staat auf Personal aus den Unternehmen ­zurückgreifen, um die Arbeit in systemrelevanten Betrieben sicherzustellen?
Auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall gilt grundsätzlich das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Die Arbeitsagenturen unternehmen zunächst alles, um den Arbeitskräftebedarf freiwillig zu decken, z. B. durch gezielte ­Vermittlung an systemrelevante Betriebe. Erst wenn dies nicht ausreicht, greift das sogenannte Arbeitsicherstellungsgesetz (ASG) mit verpflichtenden Maßnahmen. Zentrale Maßnahmen zur Arbeitssicherstellung sind z. B. die Beschränkung von ­Kündigungen und die Verpflichtung zu Arbeitsverhältnissen. Im Verteidigungsfall können auch Frauen zwischen 18 und 55 Jahren im medizinischen Bereich herangezogen werden.
Welche Chancen bieten sich für die Zulieferindustrie?
Durch die neue Bedrohungslage wächst die Nachfrage nach moderner militärischer Ausrüstung rasant. Davon können auch heimische Betriebe profitieren, die dank jahrzehntelanger Erfahrung im Maschinenbau, in der Elektrotechnik und der Metallverarbeitung über ein außergewöhnlich hohes technisches Know-how verfügen. Die enge Verzahnung von Industrie, Wissenschaft und Ausbildung macht die Region zu einem bedeutenden Kompetenzzentrum für die Herausforderungen der heutigen Sicherheitspolitik, z. B. im Bereich Cybersicherheit. Darüber hinaus besitzen viele Unternehmen im mittleren Ruhrgebiet die technischen Voraussetzungen und das notwendige Know-how, um den Unternehmen der Rüstungsindustrie zuliefern zu können. Speziell Automobilzulieferer können durch den Transfer ihrer Technologien in die Luftfahrt, wie etwa leichte Materialien oder fortschrittliche Antriebssysteme, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Kann mein Unternehmen Zulieferer der Bundeswehr werden, auch wenn es keine sicherheitsrelevante Technik produziert?
Von der Briefklammer bis zum Satelliten – die Bundeswehr beschafft für ihre Arbeit mehr als nur militärische Ausrüstung. Gesucht werden Leistungen und Produkte aus zahlreichen Branchen, z. B.: Transport und Logistik, Bauleistungen und Infrastruktur, IT-Sicherheit und Kommunikation, Bewachung, Reinigung, Büromaterial sowie Lebensmittelversorgung im Einsatzfall. Diese Breite macht die Bundeswehr auch für Unternehmen attraktiv, die nicht zur klassischen Verteidigungsindustrie gehören.
Wie werde ich Zulieferer der Bundeswehr?
Die Bundeswehr deckt ihren Bedarf an Gütern und Dienstleistungen durch die standardmäßige Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um Wehrtechnik handeln. Die Ausschreibung von Vergaben der Bundeswehr erfolgt, wie bei allen Vergabeverfahren des ­Bundes, über das Internetportal der Bundesverwaltung. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ist dabei für die Ausstattung der Bundeswehr mit moderner Wehrtechnik zuständig.

Brigadegeneral Müller: „Wir müssen Geheimhaltung teilweise neu lernen.“

Brigadegeneral Hans-Dieter Müller ist seit September 2023 Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen der Bundeswehr. Wir sprachen mit ihm über die sich rasant verändernde Sicherheitslage und deren Auswirkungen auf Unternehmen.
Seit Altkanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ausgerufen hat, ist eine Menge passiert. Was sind für Sie die bisherigen Meilensteine, um Deutschlands Verteidigungsfähigkeit zu steigern?
Wir beobachten eine seit Jahren zunehmende Aggression Russlands und eine erhebliche Aufrüstung der russischen Streitkräfte. Das heutige Russland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euro-­atlantischen Raum. Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ist eine Reaktion auf die sich verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa – insbesondere seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022.
Bei dem „Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) “ handelt es sich um ein geheimes Papier, ein „Living Document“, das kontinuierlich angepasst wird und den militärischen Anteil der gesamtstaatlichen Verteidigungsplanung abbildet. Die Federführung der zivilen Verteidigungsplanung liegt im Bundesministerium des Innern und für Heimat.
Für wie wahrscheinlich halten Sie zum jetzigen ­Zeitpunkt ­einen Angriff russischer Streitkräfte auf einen ­NATO-­Partner?
Deutschland wird immer stärker bedroht. Die Abgrenzung von Frieden und Krieg ist fließend und schon seit einiger Zeit nicht mehr trennscharf. Die hybride Kriegsführung läuft bereits – Cyberattacken, Desinformationskampagnen, Ausspähung und Sabotage. Deshalb muss mit Hochdruck am geplanten Aufwuchs der Personalstärke der Bundeswehr und deren Reserve gearbeitet werden. Genau darum geht es auch bei dem geplanten Gesetz zum Neuen Wehrdienst.
Weiterhin ist es in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund einer inzwischen langfristig gesicherten Finanzhinterlegung für die Verteidigung auch wichtig, Prozesse und Beschaffungsvorgänge zu verschlanken und insgesamt zu beschleunigen.
Wie kann ich als Unternehmensinhaber:in die Verteidigungsfähigkeit meines Betriebes sicherstellen – und muss ich das überhaupt?
Notwendig ist vor allem, die Resilienz in allen Bereichen zu erhöhen. Krisenvorsorge in Betrieben und bei jedem einzelnen Bürger sind dafür ein wichtiger Baustein. Resilienz ist ein Mindset. Zivile Unternehmen können die Bundeswehr, aber vor allem die Bevölkerung als solche am besten unterstützen, wenn sie sich bereits heute mit entsprechenden Szenarien auseinandersetzen und Vorsorge treffen. Ein Beispiel ist das Sicherstellen der Stromversorgung – hier kann im Vorfeld zum Beispiel eine Notstromversorgung aufgebaut werden.
Welche Besonderheiten gibt es in NRW, um die ­Verteidigungsfähigkeit unseres Bundeslandes herzustellen?
Worauf haben Sie ein besonderes Augenmerk? Schon aufgrund der Lage gibt es in Nordrhein-Westfalen Besonderheiten: Wenn zum Beispiel Material von alliierten Kräften in den Niederlanden ankommt und an der NATO-Ostflanke gebraucht wird, muss es auch durch Nordrhein-Westfalen transportiert werden. Aber ich denke, Sie verstehen, dass ich keine Aussagen zu konkreten Planungen machen kann. Auch dies – also die Geheimhaltung von Dingen – ist etwas, das in einer Welt, die in den letzten Jahren immer ­offener und transparenter geworden ist, teilweise neu gelernt werden muss.
Mein Anliegen ist, Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zu sensibilisieren – ohne Angst zu schüren. Die Industrie- und Handelskammern sind dabei ein wichtiger Multiplikator, auch wenn es um die zivile Verteidigung geht.

3 Fragen an … Rojan-Andre ­Uzunömeroglu, Ansprechpartner für Wirtschaft und Verteidigung bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet

Gibt es eine Prioritätenliste mit ­Themen, die Unternehmen sofort ­angehen können? Und wie erstelle ich eine solche Liste?
Krisen aller Art können plötzlich jede:n treffen - dabei reden wir nicht nur über geopolitische Turbulenzen oder Naturkatastrophen, sondern auch über Unfälle und Krankheiten. Das Stichwort, um die Handlungsfähigkeit Ihres Unternehmens sicherzustellen, lautet Business Continuity Management (BCM), also die Entwicklung von Strategien und Plänen, um Tätigkeiten oder Prozesse im Unternehmen zu schützen, deren Ausfall zu ernsthaften Schäden oder aber zu einem Totalverlust des Unternehmens führen könnten.
Wie kann die IHK helfen, Unternehmen ­resilienter zu machen?
Als ersten Schritt bietet die IHK ein Notfallhandbuch mit einer Checkliste an, das den Unternehmen einen „Notfallkoffer“ bietet: von Vollmachten, Vertretungsplänen und Bankverbindungen bis zu Schlüsseln und Schließanlagen. Dieses Notfallhandbuch soll Anregung, Orientierung und Werkzeug zugleich sein, um die wichtigsten Regelungen konkret umzusetzen. Damit hilft die IHK dabei, sich frühzeitig auf den Ernstfall vorzubereiten. Dabei geht es nicht um Panikmache, sondern um praxisnahe Vorsorge. Die Welt hat sich verändert - und mit ihr die Anforderungen an unternehmerische Resilienz. Wer heute vorbereitet ist, sichert nicht nur den eigenen Betrieb, sondern leistet auch einen Beitrag zur Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft.
Worauf sollten Unternehmen vor allem achten?
Unternehmen aller Art sollten das Thema Cybersecurity mehr in den Fokus rücken. Cyberangriffe bedrohen nicht nur große Unternehmen. Die Angriffe durch Hacks und Fakes nehmen exponentiell zu. Der Aufbau einer ­soliden Cyber-Abwehr ­dürfen Sie nicht als Investition ­verstehen, sondern als unabdingbare Versicherung. ­Damit tragen Sie Verantwortung gegenüber Ihrem Betrieb und der ­Gesellschaft.

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Notfallhandbuch für Unternehmer:innen

Unfälle oder Krankheiten können jede:n treffen. Es liegt daher auf der Hand, dass es in jedem Unternehmen einen Notfallplan geben sollte – geht
es doch darum, den Betrieb vor unnötigem Schaden zu bewahren, sich selbst, die Unternehmerfamilie und die Arbeitsplätze abzusichern.

Checkliste für den Krisen- und Katastrophenfall

Die Kolleg:innen der IHK Elbe-Weser haben eine Checkliste für den Krisen- und Katastrophenfall zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen – von
Fragen zum Standort bis hin zur Rolle des Unternehmens im Krisenfall.

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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erklärt auf seiner Website, wie Kommunen und Betreiber kritischer Infrastrukturen
durch systematische Vernetzung gemeinsam vorsorgen und Krisen bestmöglich bewältigen können.

Das Grünbuch ZMZ 4.0

Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) hat aufgrund der verstärkten sicherheitspolitischen Bedrohung durch Russland an Bedeutung gewonnen, ist das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit überzeugt. Wie diese Zusammenarbeit gelingen kann, beschreibt das Grünbuch ZMZ 4.0.