Temu, Shein & Co. – fairer Wettbewerb?

Die populären Billiganbieter aus China bereiten dem hiesigen Handel Sorgen. Doch nicht alle fürchten die Konkurrenz.
Von Daniel Boss
Nein, die alleinige Schuld am Aus will Nicola Henseler sogenannten „Billigmarken“ aus Fernost nicht geben. „Rückblickend betrachtet, haben wir selbst sicher nicht alles richtig gemacht und waren hier und da zu kompliziert unterwegs“, lautet ihre selbstkritische Einschätzung. Fakt ist: Ihre Fairnica GmbH besteht zwar weiter, aber der Showroom an der Bergstraße ist seit einigen Wochen geschlossen. Der Mietservice für Textilien wurde eingestellt. 2018 hatte sie zunächst einen Online-Handel gegründet und Mitte 2021 den Showroom eröffnet. Das Konzept basierte auf der Vermietung von Kleidung und fair gehandelten Textilien. Das Problem: „Nachhaltigkeit spielt aktuell in der Gesellschaft keine große Rolle.“ Und genau hier sieht sie durchaus einen ­negativen Einfluss der populären – und extrem günstigen – Plattformen wie Temu oder Shein.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Der Anteil der großen asiatischen Plattformen (Temu, Shein und AliExpress) an allen Online-Bestellungen stieg von 5,5 Prozent im zweiten Quartal 2024 auf 6,4 Prozent, wie der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) in diesem Sommer vermeldete. In einzelnen Kategorien erreichen sie sogar deutlich höhere Bestellanteile: Im Bereich Fashion ­gingen 14,1 Prozent aller Bestellungen an diese Anbieter, bei Modeschmuck sogar mehr als 28 Prozent.
Die DIHK zitiert Schätzungen, wonach in der EU über eine Milliarde Kleinwarensendungen jährlich eintreffen. „Täglich gelangen etwa 400.000 Pakete allein aus China nach Deutschland.“ So ist nun mal der freie Welthandel - könnte man argumentieren. Das Problem laut DIHK: Der Vorwurf unlauterer Geschäftspraktiken steht im Raum. „Einige Wettbewerber halten Produktsicherheitsvorschriften oder sonstige Schutzstandards nicht ein oder umgehen EU-Zollregelungen.“ Das sorgt für Unmut im hiesigen Handel. „Allein im vergangenen Jahr wurden 4,6 Milliarden Pakete aus Drittstaaten, davon 91 Prozent aus China, mit einem Warenwert von jeweils unter 150 Euro an Endverbraucher in die EU versandt. Die Zollfreigrenze muss jetzt weg, im Moment wirkt sie wie ein Freifahrtschein für gefährlichen Schrott“, sagt Marion Runge, Geschäftsführerin beim Handelsverband NRW Ruhr-Lippe.
Der Wettbewerb mit Temu und Shein erstreckt sich über viele Branchen. Besonders betroffen ist laut Runge der Spielwarenhandel. Auch der Bau- und Heimwerkerbedarf, der Schuh- und Lederwarenhandel sowie Unternehmen aus dem Bereich Papierwaren und Bürohandel sowie der Textilhandel, einst die Leitbranche der Innenstädte und Stadtteilzentren, berichten von einem erhöhten Wettbewerbsdruck. „Da sind ­viele Händler sehr besorgt. Grundsätzlich ist Wettbewerb gut, aber dieser muss zu gleichen Bedingungen erfolgen.“ Sie befürchte, dass weitere, insbesondere kleinere Läden aufgeben müssen, da sie nicht mithalten können.
Doch nicht alle fürchten die Konkurrenz aus China. „Für mein Unternehmen BERON und mich persönlich spielen Temu und andere Anbieter keine Rolle“, sagt Diplom-Modedesignerin Michaela Reinhardt, die seit rund zehn Jahren in Bochum ein Atelier betreibt. „Meine Kundinnen und Kunden wissen ,Made in Germany‘ zu schätzen - dabei gibt es kaum Preisdiskussionen.“ Sie würde sich freuen, wenn das Bewusstsein für faire Mode weiter geschärft würde. „Bei vielen Menschen ist der direkte Bezug von Kleidung und deren Herstellung durch Menschen vollkommen verloren gegangen.“ Außerdem sehe sie mit Sorge und Ärger, dass Anbietern innerhalb Deutschlands und der EU immer mehr Regularien aufgezwungen würden. „Diese Regeln gelten offenbar nicht für Anbieter außerhalb der EU.“
Christine Gassmann-Berger vom traditionsreichen Kaufhaus Gassmann in Witten geht von einer Verschärfung des Wettbewerbs durch „Billigkonkurrenz aus Asien“ aus - „allerdings sind die konkreten Folgen für uns nicht messbar“, betont sie. Außer Frage steht für sie der härter gewordene Wettbewerb zwischen stationärem Handel und E-Commerce, verbunden mit dem „besonders ärgerlichen Beratungsklau“. Ihre Mitarbeiter:innen würden ihr von besonders dreisten Fällen berichten, „in denen telefonisch Empfehlungen und Beratungen abgefragt werden und man im Hintergrund parallel eine ­Tastatur bei der Suche im Internet klappern hört“.
Lisa Storm, Referentin bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet für Handel, Stadtentwicklung und Dienstleistung, zieht folgendes Fazit: „Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass sich die Marktbedingungen rasant verändern. Gerade die Kombination aus extrem günstigen Preisen, direktem Versand und ­aggressivem Onlinemarketing birgt langfristig Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Anbieter. Und das momentan in einer Situation, in der die Plattformen mit Tricks und dem Ausnutzen gesetzlicher Lücken die Chancengleichheit im Handel aushebeln. Hier ist der Gesetzgeber gefragt.“