Ein Schatz im ­Verborgenen

Witten-Annen kennen viele dank der Universität Witten/Herdecke. Doch der Stadtteil der Ruhrstadt ist mehr als ein Wissenschaftsstandort. Auf unserem Streifzug haben wir versteckte Juwelen entdeckt.
Von Anna Kalweit (Text) und Volker Wiciok (Fotos)

Hahn-Training-Systems

Für Sportbegeisterte gibt es einen besonderen Anlaufpunkt in Witten-Annen: Hahn-Training-Systems.Die Inhaber Carsten Hahn und Thomas Hebestreit haben hier ein Zentrum geschaffen, das weit mehr als ein klassisches Sportgeschäft ist. Ihr Konzept verbindet den Verkauf von hochwertiger Radsport-, Lauf- und Schwimmbekleidung mit professioneller Trainingsdiagnostik und individueller Betreuung – ein ­Angebot, das es so in der Region kaum gibt.
Carsten Hahn hat in der Nähe des S-Bahnhofs in Witten-­Annen klein angefangen. Zunächst konzentrierte er sich auf Diagnostik und Trainingsplanung, um Sportler:innen gezielt auf ihre Wettkämpfe vorzubereiten. Doch schnell wurde klar: Wer optimal trainieren will, braucht nicht nur den richtigen Plan, sondern auch passendes Equipment und eine umfassende Betreuung. Mit Thomas Hebestreit fand er den ­idealen Geschäftspartner. Heute bietet Hahn-Training-Systems alles aus einer Hand: Von der Ernährungsberatung über das Bikefitting bis hin zu einem Höhentrainingsraum, der die Luftbedingungen in 1.800 Metern Höhe simuliert.
„Wir haben unsere Leidenschaft zum Beruf gemacht“, erklärt Thomas Hebestreit, der selbst aus dem Radsport kommt. Und Carsten Hahn, der früher Triathlons bestritt, ergänzt: „Als Sportler neigt man dazu, die Dinge in die Hand zu nehmen – und genau das haben wir getan.“ Die Ansiedlung in Witten-Annen war eine bewusste Entscheidung. „Wir ­haben lange nach einem Standort gesucht, der nicht nur Platz für unser Equipment bietet, sondern auch die Traglast für ­unser Gegenstrombecken stemmen kann“, berichtet Hahn. Die Wahl fiel auf Witten-Annen – neben der passenden ­Immobilie punktete der Standort durch eine gute Erreichbarkeit und genügend Parkmöglichkeiten.
Egal, ob ambitionierte Triathlet:innen oder Anfänger:innen mit dem Ziel, Gewicht zu reduzieren – jede:r beginnt mit einer umfassenden Diagnostik. „Bei uns gibt es keine starren Konzepte“, betont Hahn. „Jeder Trainingsplan wird individuell auf das Ziel der Kunden angepasst.“ Dabei kommt moderne Technologie zum Einsatz: Sekündlich werden die Trainingsdaten von Sportuhren oder Fahrradtachos synchronisiert. „Das machen wir seit 2008 – damals mussten Uhren noch umständlich an den Computer angeschlossen werden, heute läuft das alles über WLAN.“ Und das funktioniert von überall auf der Welt.
Die Philosophie von Hahn-Training-Systems lautet: Der Trainingsplan muss sich dem Leben anpassen, nicht umgekehrt. „Das Leben ist nicht konstant, also darf es der Trainingsplan auch nicht sein“, sagt Hebestreit. Flexibilität ist entscheidend – auch, um Überlastung zu vermeiden. „Neun von zehn Sportlern trainieren zu viel“, erklärt Hahn. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie effizient trainieren, nicht zwangsläufig mehr.“ Seit 2019 bietet das Unternehmen zudem eine mobile Diagnostik in einem 10,5 Meter langen Anhänger an. Damit können Untersuchungen direkt bei den Kund:innen vor Ort durchgeführt werden. „Dieses Konzept gibt es im Moment nirgendwo anders“, betont Hahn. Die Pandemie hat das mobile Angebot zwar kurzfristig eingeschränkt, doch die Nachfrage steigt wieder.
Die nächsten Jahre sollen von Wachstum geprägt sein. „Perspektivisch wollen wir vier Standorte in Deutschland eröffnen, sodass unsere Kund:innen immer maximal 150 Kilometer entfernt sind“, erklärt Hahn. Gleichzeitig sehen die Unternehmer eine Herausforderung: „Der Markt für Trainingsberatung ist völlig unreguliert – jeder könnte sich Trainingswissenschaftler nennen und Pläne schreiben“, so Hahn. Ihr Ziel ist es, wieder eine höhere Qualität und Professionalisierung in der Branche zu etablieren.

industriestickerei GmbH

So leise wie jetzt ist es an einem Arbeitstag in der industriestickerei sonst nie. Für unseren Besuch stehen die ­Maschinen ausnahmsweise still, damit uns Stefan Brzechwa die Produktion erklären kann. Brzechwa ist einer von drei Geschäftsführern und für die Bereiche Vertrieb und ­Marketing verantwortlich. Sein Geschäftspartner Oguzhan Karaca gründete die Industriestickerei 2017 als Start-up und bringt umfassende Erfahrung im Industriehandel und Textilien in Sonderproduktionen mit. Dritter im Bunde ist der Kommunikationsdesigner Gökan Karaca. Mit diesem gebündelten Know-how entwickelte sich das Start-up zur GmbH mit rund 1.800 Kund:innen überwiegend in Nordrhein- Westfalen und über die Landesgrenzen hinweg.
Wer im Ruhrgebiet essen geht, ein Sportevent besucht oder sich im Krankenhaus untersuchen lässt, dem begegnet mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Produkt der industriestickerei. Das Unternehmen hat sich nämlich auf die Produktion von Textilien sowie deren Veredelung von Berufskleidung spezialisiert. „Dank unserer Zusammenarbeit mit zahlreichen Premiumherstellern können wir alle Sektoren abdecken – vom Arbeitsschutz über Medizin und Gastro bis zum Businessbereich“, erklärt Stefan Brzechwa. Das Besondere: Die industriestickerei fungiert als Schnittstelle zwischen Textilherstellern und der hauseigenen Produktion. So hat das Team alles in der Hand und kann höchste Qualität garantieren.
Von der Qualität können sich Kund:innen vor Ort selbst überzeugen: Im Showroom sind mehr als 3.000 Produktmuster namhafter Hersteller ausgestellt. „Haptik spielt in unserer Branche eine entscheidende Rolle“, so Stefan Brzechwa. Wer online bestelle, sei häufig enttäuscht vom Endprodukt. Deshalb besuchen seine Kund:innen gerne den Standort in Witten oder lassen sich Muster nach eingehender Beratung zuschicken. Parallel dazu steht ein ERP-System in den Startlöchern, um den Service weiter auszubauen. Das Thema Nachhaltigkeit ist seit Jahren Bestandteil der Unternehmensphilosophie: Die industriestickerei hat deshalb ­mehrere skandinavische Hersteller ins Sortiment aufgenommen, die für ihre nachhaltige Produktion bekannt sind.
Am Ende des Besuchs wird es doch laut in der Produktion. Ein Mitarbeiter hat für uns eine der Stickmaschinen angeworfen. In rasender Geschwindigkeit bewegt sich die Nadel durch den Stoff und zeichnet mit rotem Faden ein Firmenlogo. Die ZSK-Maschinen sind die modernsten ihrer Art und werden auch im Fashion-Bereich genutzt. In einer ­gewöhnlichen Arbeitswoche werden hier Tausende von Textilien ­bestickt - Tendenz steigend. Deshalb planen Stefan ­Brzechwa und seine Partner eine Expansion in ein Industriegebiet. Ob das auch in Witten liegt, steht noch nicht fest. „Gewerbeflächen sind hier leider Mangelware“, bedauert der Vertriebsleiter. Er hoffe, dass die Stadt sich stärker für eine wirtschaftsfreundliche Standortpolitik einsetzt.

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Rockland Music

Shop-Hündin Buddy begrüßt uns schwanzwedelnd am Eingang von Rockland Music. Dass wir gerade das Himmelreich für Gitarrist:innen betreten haben, bemerkt sogar die unmusikalische Redakteurin: An den Wänden des Showrooms hängen Hunderte Instrumente - in allen Formen, Farben und Preisklassen. Für Anfänger:innen bis zu Profis hat Inhaber Jörg „Schmale“ Möller für jede:n das Richtige in petto. Unser Gespräch wird von Gitarrenklängen begleitet – Azubi Fabi testet ein neues Modell auf Herz und Nieren. „Jeder, der hier arbeitet, sollte Gitarre spielen. Wie will man sie denn sonst verkaufen?“, fragt Jörg Möller mit einem Grinsen.

Der gelernte Schmied spielte selbst – wie sollte es ­anders sein – in einer Heavy-Metal-Band. Nebenbei kaufte und verkaufte er Gitarren, damals noch über ein Anzeigenblatt. Damit wurde Jörg Möller so erfolgreich, dass er den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Das erste Ladenlokal in Witten-Annen ­eröffnete er vor 25 Jahren in einer ehemaligen Gaststätte. Nach einer ­Zwischenstation erfolgte der Umzug in die Holzkampstraße 37. „Hier haben wir es richtig schön gemacht und schrauben ständig weiter.“ Tatsächlich erinnert die Einrichtung mit roten Orientteppichen, Samtsesseln und Holzpanelen an den Wänden an ein gemütliches Tonstudio. Kein Wunder, dass sich hier echte Größen der Szene die Klinke in die Hand geben: Musiker:innen von White Snake, ZZ Top oder Alice Cooper haben sich bei Jörg Möller beraten lassen.

Doch nicht nur zum Einkaufen kommen die Stars vorbei. ­Immer wieder schafft es Möller, internationale Musiker:innen für exklusive Workshops und Live-Sessions zu gewinnen. Wie? „Keine Ahnung“, sagt er schulterzuckend. „Die kommen irgendwann. Und wenn es gut ist, reden sie wahrscheinlich darüber.“ Denn die Musikszene ist ein Dorf – und nichts funktioniert besser als Mundpropaganda. Sein persönlicher Favorit? Aktuell Matteo Mancuso, ein italienischer Jazzgitarrist, der natürlich auch schon im Rockland gespielt hat.


Trotz großer Namen bleibt Jörg Möller bescheiden. Denn es geht ihm darum, den Spirit und die Magie seiner ­Produkte an seine Kund:innen weiterzugeben: „Eigentlich sind wir ziemlich altmodisch; die Gitarrenherstellung hat sich seit den 1930ern nicht verändert.“ Aber auch ein klassisches Handwerk kommt im Verkauf nicht um die digitalen Medien ­herum. Das Rockland Music-Team füttert TikTok, Instagram und Facebook täglich mit neuen Inhalten. Hier haben sich die Zeiten geändert und Rockland ­Music geht mit. Trotz Digitalisierung bleibt die persönliche Beratung ungeschlagen. Jörg Möller: „Wir ­wollen, dass die Kunden nach Witten-Annen kommen. Beim ­Gitarrenkauf muss man sich Zeit nehmen. Wir verkaufen nicht von der Palette." Ob langgehegte Träume oder neu entfachte Leidenschaft, der Inhaber erinnert sich an viele berührende Begegnungen im Laden: „Wenn man hier etwas kauft, hat das immer mit Emotionen zu tun.“

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Arbeitsklamotten & Industrieware.de

Arbeitsklamotten: Der Name ist Programm. Von Kasacks in allen Farben des Regenbogens bis zur Zimmermannskluft im klassischen Schwarz bietet der Fachhandel für ­Berufskleidung die komplette Branchenpalette. Inhaber Olaf Schatta selbst ist ein wahres Multitalent. Er arbeitete unter anderem als Bäcker, Webdesigner und Fachinformatiker. Durch eine zufällige Begegnung kam er schließlich zu ­seinem heutigen Geschäft. „Im Zug traf ich einen alten Mann, der Klebstoffe und Kunststoffwannen verkaufte und keinen Nachfolger für sein Unter­nehmen hatte“, erinnert sich der Wahl-Wittener. Schatta ergriff die Chance und nutzte sein IT-Know-how, um in den frühen 2000ern einen erfolgreichen Versandhandel aufzubauen. Dieser besteht bis heute. Die Kleber werden vor allem im Industrie- und Fahrzeugbereich genutzt, einige ­Rezepturen vertreibt Schatta sogar exklusiv.

Aber wie ist er zur Berufskleidung gekommen? Auch diese Geschichte ist kurios: Für sein Geschäft benötigte ­Schatta Schaufensterdekoration und besorgte sich einen ­Restposten an Berufskleidung. „Kurze Zeit später kam ­jemand in den Laden, weil er die Latzhosen kaufen wollte“, lacht Schatta. Er recherchierte und stellte fest, dass es in Witten keinen Fachhandel für Berufsbekleidung gab. Die ­Geburtsstunde für „Arbeitsklamotten“. Ein zweiter Standort entstand im Hannibal-Center in Bochum, den Schatta aufgrund von Perso­nalmangel während Corona aufgab. Mit ­seinem fünfköpfigen Team konzentriert er sich nun ­vollständig auf das Geschäft in Witten-Annen.


„Arbeitsklamotten“ ist vor allem auf Kleidung für Industrie, Handwerk und Zunft spezialisiert und arbeitet vor allem mit einem großen Hersteller, der in Deutschland produziert. Das hat zwei Vorteile: einen Reparaturservice für abgenutzte Kleidung sowie die Anfertigungen individueller Stücke. Schatta nimmt im Geschäft Maß, während die Kund:innen Taschen oder Reißverschlüsse nach ihren Bedürfnissen anpassen lassen. „Platz für Handytaschen ist heute besonders gefragt“, sagt Schatta schmunzelnd. Platz war auch für Schatta ein Thema. In Witten-Annen fand er auf dem alten Gelände der Wittmann-Werke ein passendes Ladenlokal mit großzügigem Lager.

Olaf Schatta führt uns durch die Lager mit meterhohen ­Decken. Hier verpacken zwei Angestellte gerade ein paar ­Bestellungen, in den Regalen lagern Klebstoffe und Kunststoffwannen unterschiedlichster Formen und Größen. ­Besonders letztere finden vielseitigen Einsatz: als Öl-­Wanne in der Kfz-Werkstatt, als Transportmittel für Tierbestatter:­innen – oder sogar als Katzentoilette. „Mich treibt nicht das Geld an, sondern die Wertschätzung für meine Arbeit“, ­betont Schatta. „Ich versuche, immer besser zu werden.“

www.arbeitsklamotten.de
www.industrieware.de

Hotel Hoppe

Das Frühstücksbüfett ist frisch abgeräumt, als wir uns mit Bernd Hoppe und Sandra Bollettini im hellen, freundlichen Gästeraum an einen Tisch setzen. Bis vor zwei ­Jahren konnte hier à la carte gespeist werden, aktuell pausiert der Restaurantbetrieb. „Das ist ein Abbild der allgemeinen wirtschaftlichen Lage“, erklärt Bernd Hoppe, der den Familienbetrieb in vierter Generation führt. Das Hotel laufe aber zufriedenstellend. Unter anderem durch die Universität Witten/­Herdecke oder die Zahnklinik sind die zwölf frisch renovierten Zimmer gut ausgelastet. Auch Heimspiele des BVB bringen Übernachtungsgäste dank des guten Anschlusses an Dortmund nach Witten-Annen.

Dafür, dass im Hotel Hoppe alles reibungslos läuft, sorgen Sofia Ferreira und Sandra Bollettini: Vom Einchecken übers Frühstück bis zum Housekeeping umsorgt die „Two-Women-Show“ die Gäste. Und das kommt gut an. Als inhabergeführtes Haus ist der Kontakt zu den Kund:innen sehr persönlich. Die Namen und Lieblingszimmer der Stammgäste zu kennen, sich Zeit zu nehmen und bei einer Tasse Kaffee zu schnacken, ist für Sandra Bollettini selbstverständlich: „Mit dem professionellen wie menschlichen Blick zu sehen, was benötigt wird – das hat man in vielen großen Hotels nicht. Uns ist es wichtig, einen guten Standard zu bieten.“ Wichtig sei heute aber auch digitale Präsenz, um sichtbar zu bleiben. Denn die meisten Kund:innen buchen mittlerweile über ­große Online-Plattformen.

Auf dem Weg in die oberste Etage erzählt Bernd Hoppe, dass er mit seinen Eltern und Geschwistern selbst im Haus wohnte. „Aufgrund der hohen Nachfrage sind in den letzten Jahren mehr und mehr Zimmer entstanden“, so der Hotelier. Auch sein ehemaliges Kinderzimmer in der ersten Etage sei nun ein Gästeraum. Er selbst lebt in der Nähe des Betriebs. Oben angekommen zeigt sich die Geschichtsträchtigkeit des Hauses, das auf mehr als 135 Jahre zurückblicken kann. Ein Teil des alten Backsteingemäuers wurde bewusst in das helle, moderne Design integriert. In den Zimmern liegt ein frischer Duft in der Luft, auf dem Tisch wartet ein fruchtiges Begrüßungsgetränk, und Gäste nächtigen in Boxspringbetten. „Es ist hier wie ein Zuhause auf Zeit – genau dieses Gefühl wollen wir vermitteln“, so Sandra Bollettini.

Wohlfühlen sollen sich die Besucher:innen auch in ihrem Viertel. Das sei aber nicht immer so einfach. In der Umgebung fehle es an Geschäften wie Bäckereien und Metzgereien; Einzelunternehmen seien selten geworden. Bernd Hoppe: „Es gibt positive Entwicklungen wie die Pläne für das neue Schwimmbad, aber es wäre schön, wenn in den ganzen Stadtteil investiert würde.“

www.hotelhoppe.com
Unsere Streifzüge In jeder Ausgabe der WiR picken wir uns ein Viertel oder ­einen Stadtteil in unserem Kammerbezirk heraus und stellen engagierte Firmen, Geschäfte, Gastronomie und Initiativen dort vor. Die redaktionelle Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.