Wenig Sonne, viel Spaß

Was tun, wenn es stürmt, regnet oder schneit? Die Freizeitwirtschaft in der Region hat – auch und gerade im Winter – einiges zu bieten, wie diese Auswahl zeigt.
Von Daniel Boss (Text) & Volker Wiciok (Fotos)

Randalezentrale – Hattingen

An einer Wand hängt ein kleiner Baseballschläger. Es ist „der Ur-Schläger“, wie ein Schild verrät. „Den habe ich zur Eröffnung geschenkt bekommen“, sagt Dirk Jaresch, der für eine der ungewöhnlichsten Freizeitstätten im Ruhrgebiet zuständig ist. In der Randalezentrale können Menschen ihrem Frust Luft machen. Dafür stehen zwei Räume zur Verfügung, deren Wände, Decken und Böden komplett aus Beton bestehen. Bestückt werden sie mit alten Möbeln, Druckern, Waschmaschinen, Heizkörpern und Bildschirmen. „Besonders begehrt sind Glasbausteine – die knallen so schön, wenn man draufhaut“, sagt Jaresch. Das betagte Interieur beschafft sich die Randalezentrale durch ein mittlerweile gut ausgebautes ­Logistiknetzwerk.
Knapp eine Dreiviertelstunde haben die Besucher:innen Zeit, um so viel wie möglich klein zu kriegen. „Die meisten ­kommen aber früher raus, weil sie fix und fertig sind“, berichtet Jaresch. Pro Person werden rund 80 bis 100 Euro fällig, bis zu sechs Personen dürfen gleichzeitig rein. Sie greifen zu ­Baseballschlägern, Vorschlaghämmern, Fäusteln, ­Stahlrohren. Die eigene Musik vom Smartphone – besonders passend sind natürlich Metal-Klänge – ergibt zusammen mit berstendem Glas, splitterndem Holz und abplatzendem Plastik einen eigenwilligen Soundtrack. Videoaufnahmen konservieren den Ausbruch für die Ewigkeit.
Damit der Ausflug zum ehemaligen Hochbunker auf dem Henrichshütten-Areal in Hattingen nicht in der Notaufnahme endet, muss vor dem Randalieren Schutzkleidung angelegt werden. Sie besteht aus einem weißen Staubanzug, Handschuhen und einem Helm mit Vollvisier. Jetzt, im Winter, ist Hochsaison für die Zerstörungsorgien.
„Im Schnitt ­haben wir mindestens einen Termin pro Tag. Am Wochenende knubbelt es sich natürlich“, sagt Jaresch. Online-Buchungen ­vorab sind erforderlich. Allerdings gibt es seit Kurzem auch ein ­offenes „After-Work-Zerdeppern“ an jedem ersten Mittwoch im Monat. Hier hat man 15 Minuten Zeit, den Hammer ­kreisen zu lassen – ein Schälchen Currywurst und ein Getränk im ­Anschluss sind inklusive.
Etwa 70 Prozent der Buchungen kommen von Frauen. ­„Viele sind in sozialen Berufen tätig und wollen Stress und Ärger abbauen. Das erzählen uns die Besucherinnen, wenn sie wieder aus dem Zimmer herauskommen.“ Manche möchten auch das Ende einer Beziehung oder einen Trauerfall in der Familie verarbeiten. „Es gibt Fälle, in denen die Leute von Psychotherapeuten begleitet werden“, so Jaresch. Dagegen steht bei Junggesellinnen-Abschieden oder Betriebsfeiern in den Betonräumen der Spaß im Mittelpunkt.

Wananas – Herne

An der Duschanlage im Außenbereich des Sport- und ­Erlebnisbads Wananas ist in etwa zwei Metern Höhe ein kleiner Holzbottich befestigt. An diesem baumelt eine lange Kette. Wer daran zieht, bekommt eisiges Wasser über Kopf und Körper. „Diese Schwalleimer-Dusche nach dem Saunagang ist sehr beliebt bei unseren besonders hartgesottenen Gästen“, erzählt Petra Horst, Marketingleiterin der Herner Bädergesellschaft. Minusgrade im Winter halten die echten Saunafans nicht ab – im Gegenteil. „Sie wissen es sehr zu schätzen, wenn sie an der frischen Luft Abkühlung finden.“
Ende September hat die Sauna-Hochsaison im Wananas begonnen. Es sind überwiegend Stammgäste mit abgeschlossener Clubmitgliedschaft, die das „Heiß-kalt-Angebot“ regelmäßig nutzen. Dafür stehen zwei textilfreie Saunen zur Verfügung: In der klassischen finnischen Sauna mit Temperaturen um die 90 Grad Celsius sorgt das Personal zu jeder vollen Stunde für einen aromatischen Aufguss. In der benachbarten Salzsauna herrscht geringere Hitze. Die Wand aus Himalaya-Salzsteinen erzeugt salzhaltige Luft. „Das ist gut für die Atemwege“, sagt Marle Wagner, zuständig für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Bädergesellschaft. Ein Tauchbecken sowie mehrere Fußbecken, wie man sie vom „Kneippen“ kennt, sorgen zusammen mit den Duschen im ­Innen- und Außenbereich für „abrupte Abkühlung“. Saunaveranstaltungen wie der Damen-Wellnesstag oder „Nordic Flair“ runden das Angebot ab.
Eine dritte Sauna, die in Badebekleidung genutzt werden kann, befindet sich im Erlebnisbereich. Hier können alle, die ein Schwimmticket gelöst haben, schwitzen und entspannen. Die Jüngeren nutzen währenddessen gerne die Breitrutsche ins große Becken oder die blaue Röhre, die 65 Meter Rutschenspaß im Dunklen verspricht. Die Kleinsten können sich in den beiden Planschbecken erfrischen. Dort ist auch das Piratenschiff „Pearl of Wanne“ mit Rutsche und Wasserkanone zu entdecken.
Bekanntlich macht Schwimmen hungrig. Für den großen und kleinen Appetit gibt es die Wananas-Gastronomie, in der – natürlich – unter anderem Pommes über den Tresen gehen. Die Gastronomie versorgt auch die kleinen Gäste, die in einem separaten Raum mit Blick aufs große Becken feiern. „Bei uns haben Kinder die Möglichkeit, ihren Geburtstag mit ihren Freunden zu verbringen“, sagt Wagner. Bis auf die Weihnachtsfeiertage sowie an Silvester und Neujahr hat das Wananans geöffnet. „Besonders viele Gäste zählen wir im Januar. In den ersten Wochen des Jahres kommen rund 20.000 Menschen aus dem gesamten Ruhrgebiet, um bei uns zu entspannen und Spaß zu haben“, so Horst.

Boda Borg – Bochum

Den Beruf des „Quest Builders“ dürfte es deutschlandweit bislang wohl nur in Bochum geben. Gemeint sind Schreiner:innen, Elektriker:innen und andere Spezialist:innen, die „Aufgaben“ oder „Missionen“ (so mögliche Übersetzungen für „Quests“) für Boda Borg Bochum konzipieren und bauen. Auf einer 3.200 Quadratmeter großen Fläche im Westfield Ruhr Park können Besucher:innen zwischen 7 und 77 Jahren auf zwei Ebenen aufregende und abwechslungsreiche Abenteuer erleben. Boda Borg wirkt auf den ersten Blick wie ein Mix aus Indoor-Playground, Geschicklichkeits-Parcour, begehbarer Geisterbahn, Escape-Room und Treffpunkt für Knobel­-Fans – doch diese Beschreibung erklärt es noch nicht so richtig. „Man muss es einfach selbst erlebt haben und ins Quest-Fieber geraten“, sagt Standortleiter Jan Krimphove – und lädt folgerichtig zu einem Rundgang ein.
Ob Gefängnisausbruch, Umgang mit brüllenden Tigern, ­giftigen Schlangen oder Lava auf dem Boden – Langeweile kommt zu keiner Sekunde auf. Rund zwei Dutzend Quests gibt es derzeit im bislang einzigen Boda Borg Deutschlands. Sie heißen „Alcatraz“, „Die Mumie“, „Jungle“, „Piraten“ oder „Star Trails“ und bestehen jeweils aus mehreren Räumen, die Schreinermeister Krimphove und sein Team mit offenkundiger Liebe zum Detail gestaltet haben. Die Besucher:innen müssen Rätsel und Herausforderungen der unterschiedlichsten Art in Teams von drei bis fünf Personen lösen und meistern. Mal ist Cleverness gefragt, mal körperliche ­Fitness. Teamarbeit braucht es immer.
Und starke Nerven können auch nicht schaden, denn es geht mitunter über düstere Treppen und durch enge Gänge. So manches Getier oder Horrorwesen – natürlich alle künstlich – steht, liegt oder sitzt am Wegesrand. Die nächste Tür öffnet sich erst, wenn das Rätsel davor gelöst wurde. Bei Fehlern ertönt ein „Buzzer-Ton“ – und man muss wieder von vorn anfangen oder sich einem anderen „Quest“ zuwenden. Dabei tickt unerbittlich die Uhr.
Das Konzept des Franchise-Gebers aus Schweden kommt offenbar sehr gut an im Ruhrgebiet. Über 150.000 ­Gäste ­haben Boda Borg Bochum seit Mai 2024 besucht. „Wir ­haben an sieben Tagen die Woche geöffnet“, sagt ­Krimphove. „Und gerade in den kälteren Monaten ist sehr viel Betrieb. ­„Freunde, Familien, Schulklassen und Vereine kommen zu Boda Borg, um für zwei oder vier Stunden komplett ­abzutauchen – und auch viele Firmen fürs Team-Building. Das kostet dann 29 bzw. 40 Euro pro Person (für Schulen gibt es einen ­Rabatt).“
„Viele kommen immer wieder, denn unsere Quests verändern sich ständig.“ Dafür sorgen nicht nur die hauseigene Werkstatt und die versierten Handwerker:innen, sondern auch Algorithmen hinter den Kulissen. Der richtig gedrückte Knopf von eben kann so schon wenige Minuten später einen Fehler-Alarm auslösen. „Auch das macht den besonderen Reiz von Boda Borg aus“, sagt der Standortleiter, der für über 30 Mitarbeitende verantwortlich ist. Tendenz steigend.

Blue Beach – Witten

Basecap mit Hawaii-Aufdruck, Kapuzenpulli mit Palmen-­Logo, helle Shorts – nur die groben Turnschuhe passen nicht so recht ins Bild. „Ich habe ein wenig Schnupfen, ­daher habe ich heute auf meine Flip-Flops verzichtet“, sagt Dirk ­Heemann mit einem Lächeln. Ansonsten aber ist der 62-Jährige ein Beach Boy wie aus dem Bilderbuch. Seine Kaffeetasse ist mit kleinen Strandbuggys verziert; ein echtes Spaßmobil dieser Art parkt draußen vor dem Blue Beach.
Vor rund 17 Jahren übernahm der Diplom-Sportlehrer und Sportmarketing-Profi die große Freizeitanlage in der Nähe des Kemnader Sees in Witten. Binnen kurzer Zeit machte er daraus einen Hotspot für alle, die das Gefühl von „Sonne, Sommer, Meer“ gerne auch im Binnenland und das ganze Jahr über haben wollen. Den Kern des Blue Beach bildet eine große Halle, deren Wände ringsherum mit einer Ozean-Optik versehen sind.
Der Hallenboden ist mit feinem Sand bedeckt. Das helle Material ist 50 Zentimeter hoch aufgeschüttet, wird regelmäßig gesiebt und gesäubert. Der Sand zeichnet sich durch eine runde Körnung aus. „Das ist wichtig für Hechtsprünge beim Beachvolleyball“, sagt Heemann. „Wenn man auf eckigen Körnern landet, tut das richtig weh.“ Nachteil: „Mit runder Körnung lassen sich keine Sandburgen bauen, aber damit können unsere Gäste leben.“ Selbst Kita-Kinder, die ­häufig zu Besuch sind, zeigen sich nicht enttäuscht. „Immerhin können sie bei uns nach Herzenslust buddeln.“ Und das gerne auch im Winter: Eine Fußbodenheizung erwärmt den Sand auf mehr als 20 Grad. Spezielle Gebläse sorgen zudem für eine angenehme Lufttemperatur. Auch der Außenbereich kann im Winter genutzt werden. „Wir haben Wärmepilze und Feuertonnen.“
Die Beachvolleyball-Szene ist häufig in Witten zu Gast, darunter auch Goldmedaillen-Gewinner:innen. Meist pritschen und baggern aber Hobbyspieler:innen in der Halle. Beach-Handball und -Fußball sind ebenfalls möglich. „Wir können die Halle innerhalb weniger Minuten umgestalten“, sagt Heemann. Ob Party, Firmenevent oder großes Kino – vieles ist möglich. Auf einer Empore kann man sich den Rum oder den Cappuccino schmecken lassen und dabei aufs Treiben im Sand blicken. „Viele Unternehmen nutzen die Möglichkeit für Teambuilding und Networking ,am Strand’”, so der Betreiber, der sich die Geschäftsführung mit Tim Schwigon teilt. Auch Heemanns Sohn Luis gehört zum festen Team, das aus rund zehn Personen besteht. „Einige kommen aus der Surfer-Szene. Auf jeden Fall lieben wir alle das Meer“, sagt ­Heemann senior. Spontane Besuche sind zu den regulären Öffnungszeiten jederzeit möglich. „Wer sich sportlich betätigen möchte, sollte aber vorher online einen Court buchen.“

Hier gibt es noch mehr Bilder der Freizeitangebote in den 4 Städten:


Interview: Wirtschaftsfaktor ­Freizeit

IHK-Referentin Stefanie Rogg betreut den Wirtschaftsbereich, der für Kurzweil in der Region sorgt.

Wenn es um starke Standorte geht, denkt man vor allem an Industrie und Handel. Welche Rolle spielt die Freizeit­wirtschaft?

Dieser Wirtschaftszweig wird leider häufig unterschätzt. ­Dabei ist er von großer Bedeutung. Das zeigt allein diese Zahl: Knapp 2.400 Unternehmen im Kammerbezirk gehören zur Freizeitwirtschaft. Und damit ist nur die enge Definition gemeint, also ohne Gastronomie, Hotellerie etc. Zählt man solche Betriebe hinzu, wächst die Zahl noch einmal gewaltig.

Wie ist unsere Region aufgestellt, was die Vielfalt an ­Freizeitaktivitäten betrifft?

Die Region rund um Bochum, Herne, Witten und Hattingen ist in Sachen Freizeit bestens aufgestellt. Ein dichtes Netz aus vielfältigen Angeboten reicht von traditionsreichen Klassikern wie dem Endstation.kino oder dem Bochumer Bowling Treff bis hin zu modernen, experimentellen Formaten wie der Randalezentrale Hattingen. Neu und kreativ sind die Secco Studios, Bochums erstes Tufting-Atelier. Wer den Sternenhimmel mit Musik erleben möchte, findet im Planetarium Bochum ein Highlight. Bewegungsfreudige können im Open Space urbane Tanz- und Bewegungskünste erproben, während der Kunstpark Herne kreative Workshops für alle Altersgruppen bietet.
Diese Beispiele zeigen nur einen kleinen Ausschnitt – ­insgesamt sorgt die Mischung aus großen Publikumsmagneten und kreativen Nischenangeboten dafür, dass die Freizeitlandschaft so attraktiv und lebendig wirkt.

Wie profitiert die hiesige Gesamtwirtschaft von ­einer ­solchen Infrastruktur?

Wer Fach- und Arbeitskräfte sucht, kann mit diesen sogenannten „weichen“ Standortfaktoren punkten. Es besteht ein hoher Bedarf an Treffpunkten für Sport, Spiel und Geselligkeit – wie die Corona-Pandemie eindrucksvoll bewiesen hat. Tagestouristen bringen Kaufkraft in die Region, die einheimische Bevölkerung nutzt die attraktiven Angebote vor der Haustür. Von einer starken und abwechslungsreichen Freizeitwirtschaft wie bei uns im Mittleren Ruhrgebiet profitieren also alle.