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Alles glitzert, und der Weihnachtsmann fährt rückwärts
Es tröpfelt, ich habe Matsch an den Schuhen. „In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Leckerei ...", dröhnt es aus den Lautsprechern. Lichter spiegeln sich in Pfützen. Wir sind in Herne – auf Crange. Das Konga, die höchste voll thematisierte Riesenschaukel der Welt, ist auch da, aber ansonsten ist alles ein bisschen anders als im Hochsommer, wenn sich hier Tausende begeisterte Kirmesgänger:innen auf dem größten Volksfest NRWs – der Cranger Kirmes – tummeln.
Von Katrin Ziegast (Text) und Sascha Menge (Fotos)
Wir sind auf dem Cranger Weihnachtszauber, und hier ist Kirmes drin, aber noch viel mehr als das. Was hier aufgefahren wird, ähnelt einem Freizeitpark – wechselnde Xmas-Shows mit Elfen und Zauberern, ein fliegender Weihnachtsmann, ein Märchenwald, man kann hier Eislaufen, Eisstockschießen und vieles mehr – es ist für jeden etwas dabei.
Wir sprechen mit Veranstalter Sebastian Küchenmeister, dessen Baby der Cranger Weihnachtszauber ist. Seit Mitte November sind die Pforten geöffnet: Pünktlich, wenn auch alle anderen Weihnachtsmärkte öffnen, fällt hier der Startschuss.
Küchenmeister kommt aus einer Schausteller-Familie und ist seit seinem 18. Lebensjahr Schausteller: „Ich habe mit Torwandschießen angefangen.“ Seine Eltern sind Schausteller in der vierten Generation; er führt die Tradition fort und weiß, worauf es ankommt. Das Schausteller-Dasein ist nicht easy, hier wird mit harten Bandagen gekämpft. „Es muss immer was Neues her, man muss auf jegliches Wetter vorbereitet sind. Wir haben dieses Jahr die komplette Eisbahn und die Rutschbahn überdacht – mal eben, weil ich will, dass die Leute auch bei Regen Spaß haben.“ Das sind große Investitionen, die zu Buche schlagen. Küchenmeister hat auch eine Verantwortung für „seine“ Schausteller:innen, die hier den Weihnachtszauber bespielen.
Sebastian Küchenmeister will mit seiner Veranstaltung Kinderaugen zum Leuchten bringen
© Sascha Menge
Für jede:n muss es sich lohnen, und jede:r wird konfrontiert mit wahnsinnigen Preisanstiegen für Rohprodukte und Energie. Der Backfisch kostet zum Beispiel beim Traditionsunternehmen Fischhaus Lichte 7,50 Euro, das sei derselbe Preis wie im vergangenen Jahr, sagt Anna Lichte. Lichtes Mitarbeiter:innen haben schon ein paar Backfische fertig ausgebacken. Sie rutschen gerade die legendäre Backfisch-Rutsche runter zum Kunden. Hier stehen immer viele Leute an – das Fischhaus Lichte ist bekannt, und der Fisch mit Knoblauchsoße ist wirklich grandios lecker.
Der Stand von Fischhaus Lichte auf dem Cranger Weihnachtszauber
© Sascha Menge
Ein bisschen Kirmesflair gehört auch dazu
© Sascha Menge
Hier wuppt die gesamte Familie Meeß-Gusik die Fahrgeschäfte
© Sascha Menge
Hier fliegt der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten über Crange - und das sogar auch rückwärts
© Sascha Menge
Vom Riesenrad aus kann man den Cranger Weihnachtszauber besonders schön erleben
© Sascha Menge
Sebastian Küchenmeister will mit seiner Veranstaltung Kinderaugen zum Leuchten bringen
© Sascha Menge
Daniel Meeß-Gusik (l.) und Sebastian Küchenmeister
© Sascha Menge
© Sascha Menge
© Sascha Menge
Vor ein paar Wochen saß Veranstalter Sebastian Küchenmeister noch im Flieger nach China, um seine eigene Deko für den Weihnachtszauber auszusuchen. Es ist ihm eine Herzenssache, dass alles stimmig ist, aber eben auch der Preis. Wenn er selbst hinfährt und ordert, ist es um ein Vielfaches günstiger. Und er benötigt Massen an Kugeln, Girlanden und Lichtern. „Wenn Sie so große Flächen haben, dann müssen Sie wirklich klotzen, sonst sieht es mickrig aus“, erklärt Küchenmeister sein Vorgehen. Hier musste einiges an Deko in Position gebracht werden. Mal eben wurden 45.000 Kugeln und acht Kilometer Lichtergirlande mit 15.000 Kabelbindern aufgehängt.
Bei Lichte rutscht der Backfisch noch von der legendären Backfisch-Rutsche
© Sascha Menge
Wenn Ende November Auftakt ist, weiß keine:r der SchauSchausteller:innen, wie viel jede:r wirklich einbringen wird. Die gestiegenen Energie- und Personalkosten sind definitiv ein Thema. Überhaupt, Personal: Wie auch in anderen Branchen sei es nicht leicht, gute Leute zu bekommen. „Das Thema Rechnen ist ein Riesenproblem. In Berlin auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ist es schon so, dass die Preise danach gestaltet werden, was am einfachsten zu rechnen ist", so Küchenmeister. „Immer fünf Euro für einen Glühwein und fünf Euro Pfand. Zehn rein, zehn raus“, rechnet er vor. Sonst wird das nichts.
Den Kostendruck bestätigt Holger Wennrich, Geschäftsführer vom Stadtmarketing Herne mit Blick auf die deutschlandweite Situation. „Der Cranger Weihnachtszauber ist für Herne erstmal ein Gewinn. Die Veranstaltung zieht nachweislich viele Menschen in die Stadt, und wir sind grundsätzlich nicht nur in der Winterzeit, sondern ganzjährig daran interessiert, dass sich im Bereich der Kulturwirtschaft Formate in Herne etablieren, die die Stadt nicht selbst durchführen muss. Das ist in Zeiten leerer Kassen mehr als sinnvoll.“
Es ist eine tolle Entwicklung, dass so viele Unternehmer hier in Herne ein Geschäft vermuten und ihre Formate umsetzen.
Ein klares Bekenntnis zum Standort Herne also. „Herne scheint genügend Strahlkraft zu haben, die dafür sorgt, dass die Veranstaltungen gut besucht werden und Geld verdient wird“, führt Wennrich weiter aus.
Der Erfolg des Cranger Weihnachtszaubers basiert natürlich auch auf der starken Marke Crange, das weiß auch Sebastian Küchenmeister. Aber ihm ist auch klar, dass man viel Werbung reinstecken muss, damit die Leute zu ihm kommen – gerade auch, weil sie bewusst zum Kirmesplatz kommen müssen – und nicht einfach in der Innenstadt von Weihnachtsstand zu Weihnachtsstand schlendern.
Wennrich erklärt, dass man ursprünglich davon ausgegangen war, dass auf dem Kirmesplatz eine große weihnachtsmarktartige Veranstaltung umgesetzt wird. In den letzten Jahren hat es eine Art Transformation hin zur Winterkirmes gegeben. „Die Menschen haben mit den Füßen abgestimmt. Sie finden das Format gut und richtig. Insofern gibt es da erst mal auch nichts zu kritisieren“, betont er.
Spannend ist auf jeden Fall, dass es in Herne vielfältige Angebote zur Weihnachtszeit gibt – derzeit sind es laut Herne Marketing über zehn. „Das Thema weihnachtliches Amüsement ist da also quasi übererfüllt“, gibt Holger Wennrich zu bedenken. Natürlich ist es volkswirtschaftlich schwierig für alle Formate, ihr Geld zu verdienen. Der Herner Marketingchef sieht das entspannt: „Es ist erst mal eine tolle Entwicklung, dass so viele Unternehmer in der Weihnachtszeit hier ein Geschäft vermuten und ihre Formate umsetzen. Und klar ist auch, dass so ein Riesenevent wie der Weihnachtszauber mit seiner entsprechenden Vertriebskraft und Werbe-Power das Ganze pusht.“
Aber hilft das auch dem Einzelhandel? „Wir wünschen uns natürlich mehr Umsatz im Einzelhandel. Darauf arbeitet ja jede Stadt in der Weihnachtszeit hin“, erklärt Wennrich. „Aber auch hier sind die Städte eigentlich immer nur Passagier bei der Geschichte und müssen sich anschauen, was der Markt da draußen mit ihnen veranstaltet.“
Daniel Meeß-Gusik will nicht nur Passagier sein, sondern ganz bewusst mit seinem Kinder-Kettenkarussell und der neu erworbenen Familien-Achterbahn "Mexico City" die ganze Familie ansprechen. Hier leuchten die Kinderaugen – ab vier Jahren ist man dabei. „Meine Tochter durfte natürlich schon mit drei Jahren mitfahren, ist ja klar“, gibt er schmunzelnd zu. Kinder sind die besten Tester:innen: gnadenlos ehrlich und jederzeit bereit. So hat das auch zu sein in einer Schausteller-Familie.
Hier wuppt die gesamte Familie Meeß-Gusik die Fahrgeschäfte
© Sascha Menge
Daniel Meeß-Gusik stand mit seinen Fahrgeschäften 16 Jahre in Berlin, und nun ist er in Herne und freut sich, dass gleich zwei seiner Fahrgeschäfte für Kinder hier laufen. Das Kinder-Kettenkarrussel ist 30 Jahre alt, wunderschöne Malereien zieren es. „Wir haben lange gesucht, bis wir jemanden gefunden haben, der diesen Stil nachbessern konnte.“
Es gibt immer etwas zu tun, dann regnet es gerade zu viel, und die Sicherungen springen raus – alles Dinge, die Besucher:innen nicht mitbekommen sollen und wo es immer darum geht, schnell zu handeln. Genau das kann man auch beobachten, wenn beim allabendlichen Weihnachtsmann-Auftritt in luftiger Höhe etwas nicht perfekt nach Plan läuft. Ein Hochseilartist der bekannten Traber-Artistenfamilie mimt den fliegenden Weihnachtsmann, der hoch über den Köpfen der Besucher:innen in seiner Kutsche vorbeifliegt. „Er kann sich drehen, das kann der Weihnachtsmann auf dem Bochumer Weihnachtsmarkt nicht“, wirft Sebastian Küchenmeister noch stolz ins Feld ein. Und dann musste es natürlich so kommen, dass der Weihnachtsmann ausnahmsweise wegen technischer Defekte den Rückwärtsgang einlegen muss. Küchenmeister greift jedoch vorher schon zum Telefon, und zwar weil die Beleuchtung, die um punkt 18 Uhr bei allen Fahrgeschäften ausgeschaltet werden soll, ausgerechnet bei seiner Konga nicht aus ist.
Hier fliegt der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten über Crange - und das sogar auch rückwärts
© Sascha Menge
Hier ist ein Perfektionist am Start, der jeden Abend die perfekte Illusion und Kulisse schaffen will, und das muss ihm in dieser Taktung erstmal jemand nachmachen. Seit 2018 hat er den Cranger Weihnachtszauber immer wieder neu erfunden. „Also, das Risiko war sehr groß“, gibt er zu bedenken. „Aber ich habe mich dann wirklich wahnsinnig gefreut, dass am Eröffnungswochenende so viele Besucherinnen hier waren.
Aber dafür musste er auch viel Geld in die Hand nehmen, um z. B. die Social-Media-Werbetrommel zu rühren. Er hat Großflächenplakate und Radiowerbung geschaltet, Kooperationen mit Zeitungen vereinbart.
Ich bin Disney-Fan und will, dass man sich hier wegträumt von all dem Druck und Stress.
Auch das Thema Sicherheit ist aufgrund der weltweiten Sicherheitslage im vergangenen Herbst wieder in den Vordergrund gerückt. Der gesamte Kirmes-Bereich wird mit Kameras videoüberwacht. „Wir haben einen kompletten ausgestatteten Container, quasi einen Überwachungscontainer, wo am Wochenende jemand drinsitzt“, führt Küchenmeister aus. Das sind Punkte, die einen immer größeren Kostenrahmen einnehmen und die man im Vorfeld einkalkulieren muss. Und natürlich die GEMA, die sich die Einheitsmusik gut bezahlen lässt.
Kirmes ist das ganz große Business, und das lässt sich natürlich auch tracken. „Unsere Parkplätze sind mit Kameras ausgestattet. Ich mache immer eine Auswertung, wo die Besucher herkommen“, fächert Küchenmeister auf. „Wir sehen, dass der Kern der Leute aus einem Umkreis von 120 Kilometer kommt. Aber wir haben auch viele Leute, die aus Holland und Belgien zu uns kommen.“
Allrounder Sebastian Küchenmeister träumt von seiner ganz eigenen Vision: „Ich möchte hier was machen, was für die ganze Familie ist. Ich bin Disney-Fan und will, dass man sich hier wegträumt von all dem Druck und Stress. Die Kinder freuen sich, Papa trinkt Glühwein, Mama isst was Schönes, und alle haben ein Lächeln im Gesicht. Und das kann die alte Oma vom nebenan bezeugen, die seit 70 Jahren an der Cranger Kirche wohnt. „Der Küchenmeister zaubert hier so vielen Besuchern und Kindern ein Lachen ins Gesicht und alles funkelt, alles glitzert“.
Ach übrigens – das WINTERGLÜHEN bei Oskar am Kanal ist auch eine nette Alternative ab November. Oskar Steinmeister hat eine kleine Winterwelt am Kanal kreiert. Von Donnerstag bis Sonntag kann man gemütlich im Winterzelt, im Fondue- und Raclette-Stübli oder im überdachten Außenbereich Wintergrill-Spezialitäten vom Buffet oder à la carte genießen. Mal was anderes – eben Kontrastprogramm zur Kirmes. All das geht in Crange!