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Zwei hochkarätige Referenten in der ersten Vollversammlung 2025
Spannende Vorträge standen auf der Tagesordnung unserer IHK-Vollversammlung: Oberst Dirk Franke vom Landeskommando NRW hat Einblicke in den Operationsplan Deutschland gegeben. Und der Geschäftsführer der Außenhandelskammer Ukraine Reiner Perau machte deutlich, welche wachsenden Geschäftszweige er in dem osteuropäischen Land sieht.
Von Christina Kiesewetter
Der Operationsplan Deutschland ist Teil eines Nato-Konzeptes für die schnelle Verlegung von Truppen nach Osteuropa. Deutschland wird dabei zur logistischen Drehscheibe. Oberst Dirk Franke vom Landeskommando NRW wies die Unternehmer:innen aus Bochum, Herne, Witten und Hattingen auf die Herausforderung hin, die das mitbringt: Infrastruktur, Verpflegung der Soldat:innen, Logistik, sanitäre Versorgung – das alles werde gerade geprüft und durchgeplant. „Wir müssen jetzt Vorsorge treffen – auch für das, was lange undenkbar war.“
Konzentriert hörten die Vertreter:innen der Vollversammlung dem Vortrag von Oberst Dirk Franke zu.
Die Entwicklung deute darauf hin, dass Russland ab 2028 militärisch das Potenzial habe, die Nato anzugreifen. Darauf stelle man sich ein. Und natürlich habe der Operationsplan auch eine strategische Botschaft: „Wir sind vorbereitet.“
In der anschließenden Diskussion ging es auch um die Frage, ob sich die Bundeswehr nicht viel stärker mit digitaler Abwehr, Störung von Satellitensystemen und neuer technologischer Kriegsführung beschäftigen müsse. „Das müssen wir“, stimmte Oberst Dirk Franke zu. Entscheidend seien am Ende aber dennoch die Bodentruppen. „Kriege werden geführt, um Gebiete dazuzugewinnen. Und wenn Sie Boden einnehmen wollen, bleibt es entscheidend, wie und wo Sie Ihre Truppen am Boden haben.“
Damit das „Haus der Gesamtverteidigung in Deutschland“ sicher stehe, sei jede:r gefragt – auch die Wirtschaft. An die Unternehmer:innen appellierte Franke: „Wir sind darauf angewiesen, dass Sie Ihre Reservisten auch gehen lassen, wenn sie für Übungen gebraucht werden.“ Zudem sei es wichtig, dass die Wirtschaft sich im Ernstfall flexibel zeige und sich überlege: Was von meiner Produktion oder Dienstleistung ist im Krisenfall interessant, und wie könnten wir das verfügbar machen? Es sei wichtig, sich auf viele mögliche Szenarien vorzubereiten, schließt Franke. „Aber eins wissen wir alle: Wir wissen überhaupt nicht, was passieren wird.“
IHK-Präsident Philipp Böhme (r.) und IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann (l.) haben die beiden Gäste Reiner Perau (2.v.l.) und Oberst Dirk Franke in die Vollversammlung eingeladen.
Über das ukrainische Leben und die Arbeit der Wirtschaft in Kriegszeiten berichtete außerdem Reiner Perau, seit Anfang 2023 Geschäftsführer der Außenhandelskammer (AHK) Ukraine. „Die Wirtschaft hat sich schnell stabilisiert, wir haben derzeit ein Wachstum von drei Prozent“, berichtet er. Seinen Dienstsitz hat Perau in Berlin und Kiew. „Wenn Sie in Kiew leben, stellen Sie schnell fest: Das Staatswesen funktioniert relativ normal.“ Mit Ausnahme der 1.000 Kilometer langen Front gehe der Alltag weiter. Zwar müssten um Mitternacht alle zu Hause sein, und der häufige nächtliche Luftalarm sei für viele zermürbend. „Aber alle Restaurants und Läden sind geöffnet, das gesellschaftliche Leben findet statt.“
„Ich kenne mehrere Unternehmen, die seit dem Krieg Rekordergebnisse eingefahren haben. Viele stecken einen Teil der Gewinne dann in die Produktion von neuen Ideen, die der Verteidigung und dem Zivilschutz dienen.“
Auch in den Unternehmen gehe die Arbeit weiter. „Natürlich müssen sie mit weniger Personal auskommen, und wenn es gerade wieder eine Welle der Mobilmachung gibt, muss die Wirtschaft kreativ werden.“ Aber auch hier gelte: Die Krise wirkt innovationsfördernd. „Ich kenne mehrere Unternehmen, die seit dem Krieg Rekordergebnisse eingefahren haben. Viele stecken einen Teil der Gewinne dann in die Produktion von neuen Ideen, die der Verteidigung und dem Zivilschutz dienen.“ Es gebe außerdem seit Beginn des Krieges eine sehr aktive Gründerszene. Welche Wirtschaftszweige in der Ukraine perspektivisch wachsen, konnte Reiner Perau ebenfalls beantworten: „Die Ukraine wünscht sich natürlich, nach dem Krieg zum Zentrum der europäischen Rüstungsproduktion zu werden. Denn hier gibt es Erfahrung in moderner Kriegsführung.“
Außerdem wäre für die Ukraine Nearshoring ein spannendes Geschäftsfeld, vor allem für die Automobilindustrie der Nachbarländer. Das Umstellen auf regenerative Energie werde darüber hinaus nach dem Krieg ein Geschäftsfeld sein wie auch weiterhin die Agrarindustrie. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Stimmung gerade schlecht ist. „Die Gesellschaft ist extrem müde, und sehr viele Menschen sind traumatisiert.“ Sie fänden, dass der von den USA geforderte Rohstoffdeal auf eine Enteignung der Ukraine hinauslaufe. Und eine Friedensperspektive fehle den meisten ebenfalls. „Eine häufige Aussage ist: Die Russen wollen keinen Frieden, die Russen wollen die Ukraine. Und wenn sie das nicht erreichen können, lassen sie sich auf keine Friedensverhandlungen ein.“
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Christina Kiesewetter