Nachhaltig werden - wenn erste Schritte vieles in Bewegung bringen

Wenn die Mitarbeitenden der IHK Mittleres Ruhrgebiet für längere Zeit ihr Büro verlassen, erinnert sie ein kleiner Aufkleber daran, das Licht auszuschalten. Eine Kleinigkeit – die gemeinsam mit vielen weiteren Maßnahmen der IHK einen echten Beitrag leistet. Die Kammer hat sich schon früh zur Nachhaltigkeit bekannt und sich dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet. Mittlerweile baut sie nicht nur die eigene Organisation sukzessive nachhaltig um, sondern berät ihre Mitglieder zu ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Lösungen und begleitet sie mit weiteren Partner:innen bei der Transformation.
Trotz guter und bekannter Gründe ist es immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Unternehmen Nachhaltigkeit als strategisches Ziel definieren und umsetzen. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass Nachhaltigkeit langfristiges Denken und Handeln erfordert. Viele Unternehmen agieren heute nur kurzfristig und orientieren sich an den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen. Bei den Stapelkrisen unserer Zeit gerät das Thema schnell in den Hintergrund. So sehen laut einer Studie der Commerzbank (Sept. 2022), 91 % der Befragten vor allem im schonenden Umgang mit Ressourcen viele Chancen. Auch in Bezug auf die Imagepflege (83 %), die Stärkung der sozialen Verantwortung (81 %) und für die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität (73 %) wird Nachhaltigkeit als Chance wahrgenommen. Der Anteil der Unternehmen, die bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie haben (40 %), wächst im Vergleich zur Vorjahresstudie derzeit allerdings nicht.
„Es gibt keine Blaupausen, an denen man sich orientieren könnte.“
Hier ist also durchaus noch Luft nach oben. Doch wie kann man den Fokus auf Nachhaltigkeit stärken? „Anfangen“, meint Katharina Zimmermann von Grubengold und sieht einen weiteren Grund in der Zurückhaltung vieler Unternehmen: „Es gibt keine Blaupausen, Best-Practice-Beispiele, an denen man sich orientieren könnte. Nachhaltige Transformation ist sehr individuell und erfordert zunächst eine intensive Beschäftigung mit seinem Geschäftsmodell.“
Zimmermann begrüßt und unterstützt mit ihren Kolleg:innen auch das „Nachhaltigkeits-Versprechen“ der IHK. Das Projekt hat die Kammer 2022 ins Leben gerufen, um die regionale Wirtschaft in den Städten Bochum, Hattingen, Herne und Witten bei dem Transformationsprozess zu mehr Nachhaltigkeit aktiv und individuell zu begleiten. Mit unterschiedlichen Partner:innen unterstützen die Expert:innen der IHK ca. zehn bis maximal 20 Unternehmen fachlich und strategisch. Auch das „Nachhaltigkeits-Versprechen“ der IHK Mittleres Ruhrgebiet startet immer mit individuellen Workshops und einer Bestandsaufnahme bei den teilnehmenden Unternehmen.

Der Aufwand lohnt sich – auch wirtschaftlich

Einer der Teilnehmer der Initiative „Nachhaltigkeits-Versprechen“ ist Roland Niggemeyer. Der Inhaber von Niggemeyer Pro Imaging GmbH & Co. KG ist Spezialist für großformatige Bildproduktionen und -drucke. Nicht unbedingt eine umweltschonende Branche. Viele der Materialien sind für den einmaligen Einsatz konzipiert, bei Druck und Herstellung wird Chemie eingesetzt. Doch auch wenn der nachhaltigen Transformation in einigen Punkten wirtschaftliche Grenzen gesetzt sind, ist in dem Bochumer Unternehmen in nur wenigen Monaten viel passiert. Die Beleuchtung wurde komplett umgestellt, nachhaltige und recycelte Stoffe kommen vermehrt zum Einsatz. Auch der Maschinenpark wurde überprüft. „Vor einem Jahr haben wir eine neue Maschine installiert und damit eine alte abgelöst. Die neue Maschine ist beim Energie- und Tintenverbrauch so viel effizienter, dass ich bereits nach vier bis fünf Jahren einen Kostenvorteil davon habe“, so Niggemann. Weitere Maschinen sollen folgen.
Das Nachhaltigkeitsteam bei Niggemeyer besteht aus fünf Mitarbeitenden, die das Thema neben ihren eigentlichen Aufgaben vorantreiben. „Das ist schon aufwendig“, sagt der Firmenchef, „aber wir stehen alle dahinter.“ Neben der Überzeugung seien es aber auch die eigenen Kund:innen, die vermehrt nachhaltiges Wirtschaften von ihnen erwarten würden. Niggemeyer und sein Team sind immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und Innovationen. Aktuell testen sie bedruckte Fotovoltaik-Panels. „Wir können nicht alles ändern, aber zumindest das machen, was in unserer Macht steht, und so nachhaltig wie möglich werden.“

Nachhaltiger werden – trotz Produktion in China

Schwierige Rahmenbedingungen in Sachen Nachhaltigkeit hat auch Teilnehmer Dr. Jonas Otten-Weinschenker. Der Jungunternehmer hat sich vor drei Jahren selbstständig gemacht und ist der erste autorisierte Distributor von Foldscope Instruments, Inc., in Europa geworden. Foldscopes sind Faltmikroskope, die innovatives Design, einen niedrigen Preis, geringes Gewicht und Robustheit vereinen und damit optimal für Bildungseinrichtungen sein sollen, so der Hersteller. Der günstige Preis liegt auch in der zentralen weltweiten Produktion in China begründet. Eine Rahmenbedingung, die Dr. Jonas Otten-Weinschenker von Beginn an als Schwachstelle empfunden hat, sich aber nicht so schnell ändern lässt: „Als Start-up konnte ich anfänglich keine große Lagerhaltung finanzieren, auch die Stückzahlen und Bestellungen sind ja nicht direkt verlässlich und vorhersagbar.“ Große Bestellungen mussten so schon mal per Luftfracht geliefert werden, der ökologisch sinnvollere Schienenweg dauert sechs bis zehn Wochen – wenn man Glück hat.
Otten-Weinschenker ist sich bewusst, dass er nicht an allen Umständen etwas ändern kann, zumindest nicht kurzfristig. Aber der engagierte Start-up-Gründer packt das Thema Nachhaltigkeit trotzdem überall an, wo ihm der Spielraum geboten wird. Für die Verpackung seiner Falt-Mikroskope verwertet er zum Beispiel alte Kartonage, auf betrieblich unnötige Autofahrten verzichtet er weitestgehend, und durch die IHK-Initiative plant er, auch die Emissionen durch den Warentransport immer weiter zu verringern. „Die Workshops haben mir noch mal den Anstoß gegeben, meine Lagerhaltung und Warenverfügbarkeit zu professionalisieren und zu schauen, wie ich Unsicherheiten abfedern kann, ohne jede größere Bestellung einzeln aus China zu importieren.“ Wie fast alle Teilnehmenden hat er die Initiative „Nachhaltigkeits-Versprechen“ bereits mehrfach weiterempfohlen. „Alle Treffen und Workshops bisher waren unglaublich hilfreich. Ich glaube, bei der nächsten Runde wird es eher zu viele Bewerber:innen geben“, begeistert sich Otten-Weinschenker.

“Mit ihrer Teilnahme tragen die Unternehmen aktiv dazu bei, die Transformation zu einer ganzheitlich nachhaltigen Wirtschaft voranzutreiben. Dabei stehen wir ihnen gern mit fachlicher Expertise zur Seite – und bieten ihnen ein Netzwerk, in dem sie sich mit anderen austauschen und voneinander lernen können.” 
Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet

Digitale Lösungen für mehr Nachhaltigkeit

Die Runde der ersten Teilnehmenden zeigt, dass Nachhaltigkeit ein Thema für jede Unternehmensgröße und Branche sowie jedes Unternehmensalter ist. Und dass jedes Unternehmen sehr individuell seinen Wirkungsgrad analysieren und seine Handlungsfelder festlegen muss.
Dr. Mandana Banedj-Schafii, Gründerin und Geschäftsführerin der medmehr GmbH, war bei ihrer ersten Bestandsaufnahme zunächst erschrocken: 30.274,5 Liter Kraftstoff verbrauchte das Unternehmen 2022 und emittierte damit ca. 77 Tonnen CO2. Das fast 30-köpfige Team für Hygiene-, Laborund Medizintechnik ist in ganz Deutschland unterwegs und betreut Praxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen mit Technik und umfangreichen individuellen Servicelösungen. Mit der Reichweite eines Elektrofahrzeugs sind die Strecken nicht wirtschaftlich zu meistern. Die  Emissionen durch Mobilität kann das Unternehmen vorerst nicht signifikant reduzieren. Stattdessen wurde massiv in die Digitalisierung der Prozesse investiert. Mit der eigenen App „datamehr“  vereinfacht und verschlankt das Unternehmen aus Bochum Prozesse, spart Logistik und damit Emissionen und vermeidet viel unnötigen Papierverbrauch und Tinte – in einer Branche, in der vieles in mehrfacher Ausfertigung postalisch verschickt wird.
Nach eigenen Hochrechnungen können damit in naher Zukunft 185 kg CO2 pro Jahr eingespart werden. Weitere 20 kg kommen durch die Wiederverwendung der Kartonage und Füllmittel zusammen. Alleine die Umstellung auf Hafermilch im Büro spart weitere 113 kg CO2 pro Jahr. Banedj-Schafii hat ihre Mitarbeitenden von Anfang an eng eingebunden.
Bei einem Ideenwettbewerb hat das Team unzählige weitere praktikable große wie kleine  Verbesserungsvorschläge zusammengetragen, auf die die Geschäftsleitung nach eigener Aussage alleine niemals gekommen wäre. Eine Idee: Statt kleiner, immer neuer Dosen für den  Edelstahlreiniger könne man doch ein Nachfüllsystem mit großen Kanistern etablieren. Ein anderer Vorschlag wird gerade gepflanzt: Statt eines schützenden Zauns um den neuen Firmensitz wird  Spalierobst angebaut. Zur Freude von Mitarbeitenden und Bienen. Den eigenen Honig plant man als nachhaltiges Give-away an Kund:innen und Partner:innen zu verschenken.