Flächen dringend gesucht

Der Mangel an Gewerbeflächen im Ruhrgebiet ist weiterhin groß. Die Entwicklung von Brachflächen ist deshalb von besonderer Bedeutung, um den Bedarf der kommenden Jahre zu decken. Eine solche Sanierung ist aber besonders zeitauf­wendig und kosten­intensiv. Die Kommunen brauchen deshalb dringend Unterstützung, um den Wirtschaftsstandort Metropole Ruhr zu entwickeln.
Von Sven Frohwein
Wird sich in Herne wiederholen, was in der Nachbarstadt Bochum so gut geklappt hat? Hernes Stadtdirektor Dr. Hans Werner Klee und Dr. Svenja Rebsch von der Herner Wirtschaftsförderung blicken auf die riesige Fläche. Vor ihnen liegen 25 Hektar ehemaliger Zechenstandort Blumenthal. Ein Gelände, so groß wie 35 Fußballfelder. Hier, im Herner Ortsteil Wanne-Eickel, wo bis in die 90er-Jahre Tausende Kumpel Millionen Tonnen Kohle förderten, soll etwas völlig Neues entstehen: ein Technologiepark, neue Heimat für innovative und zukunftsorientierte Unternehmen, die „Techno Ruhr International“. Die Fläche ist ein Glücksfall für Herne. Denn Gewerbeflächen sind Mangelware im Ruhrgebiet. In fast jeder Stadt im Revier ringen Stadtplaner:innen und Wirtschaftsförder:innen mit der Flächenknappheit. Oft ist viel Kreativität gefragt, um Bestandsunternehmen und Investor:innen attraktive Angebote machen zu können.
Laut Business Metropole Ruhr (BMR), der Wirtschaftsförderungs-Tochter des Regionalverbands Ruhr (RVR), sind zurzeit in der gesamten Region zwischen Duisburg und Hamm gerade einmal etwas mehr als 1.600 Hektar Gewerbeflächen verfügbar. Gut die Hälfte unterliegt „schwerwiegenden Nutzungsrestriktionen“, so BMR. Im Klartext: Hier fehlen zum Beispiel die verkehrliche Erschließung oder notwendige Strom- und Energieversorgungswege. Vielfach schlummern im Erdreich auch Hinterlassenschaften ehemaliger Produktionsbetriebe. Oft sind die Böden mit PCB oder polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, kurz PAK, belastet. Diese krebserregenden Stoffe sind typische Hinterlassenschaften der Schwer- und Montanindustrie – und deshalb auf alten Industriebrachen im Ruhrgebiet keine Seltenheit. Das macht die Umwandlung dieser Flächen für die Kommunen im Revier so schwer: Böden müssen aufwendig saniert oder so abgedichtet werden, dass sie keine Gefahr für neue Betriebe darstellen. Diese Sanierung treibt die Kosten in die Höhe.
Die hohe Nachfrage von Unternehmen, die wachsen möchten, können wir nur schwer bedienen.
Doch an diesem Punkt sind die Herner Stadtplaner:innen und Wirtschaftsförderer:innen noch gar nicht. „Blumenthal ist eine Chance für Herne“, sagt Dr. Dirk Drenk, Geschäftsführer der hiesigen Wirtschaftsförderung Herne.Business. Drenk freut sich. Erst kürzlich bekam die Stadt die Aussicht auf viereinhalb Millionen Euro aus dem sogenannten 5-StandorteProgramm der NRW-Landesregierung (siehe Kasten S. 12). Mit dem dringend benötigten Geld sollen eine Projektentwicklungsgesellschaft für „General Blumenthal“ auf den Weg gebracht und die Machbarkeit sowie Nutzungsmöglichkeiten durch diverse Gutachten bzw. Vertiefungsstudien untersucht werden. Die Millionen aus Düsseldorf verstehen sich als Anschubfinanzierung; die Reaktivierung der Fläche wird ein Vielfaches verschlingen. „Das ist ein Dekadenprojekt“, sagt Drenk. Wiederholt sich dann in Herne, was in Bochum auf der ehemaligen Opel-Fläche so gut geklappt hat? „Wir haben erst einmal das begründete Vorurteil, dass es funktioniert“, sagt Hernes Stadtdirektor Dr. Hans Werner Klee. „Wir müssen jetzt ermitteln, wie viel Fläche wir für eine neue Nutzung verfügbar machen können und welche Hinterlassenschaften konkret im Boden schlummern“, so Klee weiter. „Wenn wir wissen, wie es hier weitergehen kann, werden wir uns natürlich um weitere Fördermittel aus dem 5-StandorteProgramm bemühen“, sagt Projektleiterin Dr. Svenja Rebsch beim Ortstermin in Wanne-Eickel.
25 Hektar sind aus Sicht des Wirtschaftsförderers Drenk trotzdem nur „drei Tropfen auf den heißen Stein“: „Die hohe Nachfrage von Unternehmen, die wachsen möchten, können wir nur schwer bedienen. Wir haben so gut wie keine Flächen im städtischen Besitz, aber auch private Flächen sind kaum verfügbar.“ Der Markt sei leergefegt: „Da ist viel zu wenig Bewegung drin.“ Zudem sei die Flächenkonkurrenz groß. Es gebe auch eine große Nachfrage nach Wohn- und Erholungsfläche, deshalb sei an eine Ausweisung von Gewerbegebieten auf der grünen Wiese gar nicht erst zu denken. „Da wird es schwierig, politische Mehrheiten zu organisieren“, sagt Dr. Dirk Drenk.
Ein Umstand, den man in Witten nur zu gut kennt. Aktuell ist ein Streit um die Ausweisung eines neuen Gewerbegebietes im Stadtteil Stockum entbrannt. Der RVR hat die zurzeit landwirtschaftlich genutzte Fläche als potenzielles Gewerbegebiet ausgewiesen, der Rat der Stadt hatte dafür auch 2019 grünes Licht gegeben, 2020 dann aber wegen veränderter politischer Mehrheiten einen Rückzieher gemacht: Die Verbandsversammlung des RVR soll aufgefordert werden, den an der Autobahn A44 gelegenen Vöckenberg als landwirtschaftliche Nutzfläche festzuschreiben, fordert eine Mehrheit des Wittener Stadtrates.
Dabei stünden der Stadt neue Gewerbeflächen gut zu Gesicht, um beispielsweise die Abwanderung von Bestandsunternehmen zu vermeiden. „Wir können den Firmen keine attraktiven Angebote machen“, sagt Heiko Kubski, Abteilungsleiter Wirtschaftsentwicklung und Standortmanagement bei der Stadt Witten. Das sei auch Wittens Topografie geschuldet, pflichtet ihm Philipp Pössel, Abteilungsleiter Gesamtstädtische Planung im Planungsamt, bei: „Nördlich der Ruhr macht die Dichte der Bebauung eine Ausweisung neuer Flächen schwierig. Und südlich der Ruhr verhindern freiraumbezogene Restriktionen entsprechende Flächenentwicklungen“, betont Pössel. „Es ist politisch nicht gewünscht, auf der grünen Wiese zu entwickeln.“ Das Fazit des Wittener Planers: „Dann sind uns die Hände gebunden, und wir müssen uns auf komplexe Flächensanierungen konzentrieren.“
Was die Wittener wenig freuen dürfte: Laut Business Me­tropole Ruhr wächst der Flächenmangel weiter, die Zahl der schnell entwickelbaren Flächen nimmt kontinuierlich ab, die Zahl vorbelasteter Flächen steigt. „Die Revitalisierung von Brachflächen muss also sichergestellt und die Region in die Lage versetzt werden, dies zu tun“, heißt es dazu von BMR aus Essen. Eine Idee: die Schaffung eines Fonds mit Mitteln des Landes NRW, um die Kommunen bei der Revitalisierung der dringend benötigten Gewerbeflächen zu unterstützen. „Wir erhoffen uns noch für 2023 die Erarbeitung konkreter Lösungsansätze mit der Landesregierung“, sagt BMR-Geschäftsführerin Prof. Dr. Julia Frohne. „Die Revitalisierung von Brachflächen ist eine kostspielige Mammutaufgabe, welche die Kommunen allein nicht stemmen können.“ Die Altschulden der Städte seien ein weiteres Hindernis. „Deshalb sind zusätzliche Mittel nötig, die über die bestehenden Förderanträge hinausgehen, wenn die Kommunen in die Lage versetzt werden sollen, die Flächen selbst aufzubereiten“, sagt die BMR-Geschäftsführerin.
Die Vermarktungserfolge der vergangenen Jahre haben aber auch eine Kehrseite.
Fördermittel, wie sie seit 2015 nach Bochum geflossen sind. Nachdem der Autobauer Opel 2012 seinen Rückzug aus der Stadt bekannt gab, ersannen Landesregierung und Stadt einen Plan, was mit der riesigen Brache, immerhin 70 Hektar groß, passieren sollte. Ein zweistelliger Millionenbetrag wird nach Bochum geflossen sein, wenn das heute MARK 51°7 getaufte ehemalige Opel-Gelände vollständig erschlossen und vermarktet ist. Die eigens für die Revitalisierung der Fläche gegründete Bochum Perspektive GmbH, ein Unternehmen der Bochumer Wirtschaftsförderungsgesellschaft, übernahm 2015 das Gelände, riss die alten Gebäude ab, sanierte den Boden und begann parallel mit Erschließung und Vermarktung. Künftig sollen mehr als 10.000 Menschen auf der Fläche arbeiten, dreimal so viele wie zuletzt bei Opel. MARK 51°7 ist Heimat von Forschungsinstituten und technologieaffinen Unternehmen. Der Plan, Jobs mit Zukunft auf der Fläche zu schaffen, ist aus Sicht der Stadt aufgegangen.
„Die Vermarktungserfolge der vergangenen Jahre haben aber auch eine Kehrseite“, sagt Rouven Beeck, Geschäftsführer der Bochum Wirtschaftsentwicklung. „Wir sind zwar noch nicht komplett ausverkauft, aber haben nur noch wenige verfügbare Flächen.“ 2021 haben sich Bochums Wirtschaftsförder:innen deshalb konkrete Gedanken über weitere Flächenbedarfe gemacht – und acht Potenzialflächen mit insgesamt 45 Hektar identifiziert. „Wir sind schon bei allen Flächen in die Projektarbeit eingestiegen“, sagt Beeck. „Sobald wir Planungsrecht haben, gehen wir in die Vermarktung.“ Künftig sollen Gewerbegebiete in Bochum noch fokussierter entwickelt werden. „Je weniger Flächen Sie zur Verfügung haben, desto wichtiger ist es draufzuschauen, an wen man sie vermarktet, um den Wirtschaftsstandort weiterzuentwickeln.“ Bochum will sich auch künftig auf die beiden Fokusbranchen Gesundheitswirtschaft und IT-Sicherheit konzentrieren. „Aber Sie müssen natürlich auch den Unternehmen ein Angebot machen, die erfolgreich sind, sich aber nicht in bestimmte Fokusbranchen einsortieren lassen“, so Beeck weiter. Zwei der acht neuen Gewerbestandorte seien deshalb so konzipiert, dass sie zur allgemeinen Verfügung stünden.
Das knappe Flächenangebot plagt viele Städte, sie brauchen Unterstützung aus Düsseldorf und Berlin, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann. „Die Wirtschaft braucht Flächen und intakte Infrastruktur. Deshalb ist es so wichtig, Altflächen aufzubereiten. Das schaffen die Städte nicht allein, sondern brauchen dafür weitere Unterstützung durch Bund und Land.“
Bochum will versuchen, einige Flächen ohne Fördermittel zu entwickeln. „Das wird aber nicht überall klappen“, so Beeck weiter. So sei beispielsweise die Fläche Prinz Regent, ein ehemaliger Kraftwerksstandort von RWE, so stark belastet, dass eine Erschließung ohne Drittmittel nicht machbar sei. „Dreck zum Quadrat“ finde man dort. Ist die Sanierung vollbracht, soll auf der Fläche der „Gesundheitscampus II“ entstehen – mit neuem Platz für den Wachstumsmarkt Gesundheitswirtschaft. Denn der erste Gesundheitscampus in unmittelbarer Nähe zum Campus der Ruhr-Universität Bochum ist bereits voll vermarktet.
Um den dringenden Flächenbedarf zu lindern, hat die BMR gemeinsam mit weiteren Partner:innen kürzlich eine weitere Möglichkeit ins Spiel gebracht: die sogenannte Nachverdichtung. In einer modellhaften Untersuchung ging die Business Metropole Ruhr der Frage nach, ob bestehende Gewerbegebiete noch Freiflächen böten, um weiteren Unternehmen ein Angebot zu machen. „Von den knapp 21.000 Hektar genutzten Flächen in Bestandsgebieten in der Region wurden in zehn Pilotgebieten rund 506 Hektar untersucht“, sagt BMR-Geschäftsführerin Frohne. „Dabei identifizierten die Projektbeteiligten ein Nachverdichtungspotenzial von rund 78 Hek­tar, teilweise sehr kleinteilig verteilt und oft in privater Hand.“ Für die Entwicklung großflächiger, zusammenhängender Gewerbegebiete oder die Ansiedlung großer neuer Unternehmen sei dieses Instrument aber nicht geeignet, so Frohne weiter.
Aber auch um kleinere Anfragen zu bedienen, sei das Thema Nachverdichtung schwierig, erklärt Wittens Wirtschaftsförderer Heiko Kubski: „Selbst wenn wir eine Teilfläche identifiziert haben, die man entwickeln könnte, muss das Unternehmen, dem die Fläche gehört, mitspielen.“ Den Firmen sei der Mangel an Gewerbeflächen natürlich auch bewusst. „Und deshalb haben sie kein Interesse daran, nicht genutzte Areale zu verkaufen“, sagt Kubski. „Die fehlen ihnen spätestens dann, wenn sie selbst wachsen möchten.“
Geld für ehemalige Kraftwerksstandorte
Die NRW-Landesregierung stellt im 5-StandorteProgramm Strukturhilfen für die fünf Steinkohlekraftwerksstandorte Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Herne und Kreis Unna zur Verfügung. Durch innovative Projekte sollen laut Landesregierung neue und gut bezahlte Jobs vor Ort entstehen, bevor die Kraftwerke vom Netz genommen werden. Die Bundesregierung stellt bis zum Jahr 2038 eine Milliarde Euro für die Transformation von Steinkohlekraftwerksstandorten zur Verfügung. Auf Nordrhein-Westfalen entfallen hiervon 662 Millionen Euro. Ein Fokus des 5-StandorteProgramms liegt auf der nachhaltigen Entwicklung von Brachflächen.