Feierabendmärkte - ein gutes Rezept zur Stadtentwicklung

Von Katrin Ziegast
Er ist der Vorreiter und transportiert wunderbar das urbane Lebensgefühl, dem sich alle generationsübergreifend hingeben – der Moltkemarkt auf dem Springerplatz in der Bochumer Innenstadt. Der Ort überrascht etwas, weil er eben nicht an den üblichen Marktplätzen in Innnenstadtnähe verortet ist. Aber die Wege sind geübt, und so kommen auch die, die sich hier der allseits beliebten Feierabend-Aktivität widmen – „Sehen und gesehen werden“ und dabei schlendern, genießen und ein bisschen einkaufen.
Man fühlt sich tatsächlich wie in der Toskana, wenn Massimo Battiston aus der toskanischen Maremma seinen „Naschteller mit Wein“ offeriert – da sitzt man dann mit seinem Tellerchen voller fein geschnittenem Parmaschinken, einer hervorragenden Käseauswahl und schnabuliert so vor sich hin. Genau wie die beiden Damen, die mit knallbunten Tops und modischen Sonnenbrillen an ihrem Aperol Spritz nippen.
„Für mich ist es das Flair hier, deswegen komme ich hierhin – man trifft sich mit Freunden und findet immer jemanden zum Quatschen“, sagt Uli. Ihre Freundin Claudia ergänzt: „Das Klientel ist hier gut, und viele Besucher:innen sind auch in unserem Alter, das mögen wir“, sagen die beiden Mittfünfzigerinnen schmunzelnd.
Erlebnisstiftende Aktivitäten – das wünscht sich der Handel und hat schon eruiert, dass Menschen sich mit ihrer Stadt oder eben ihrem Viertel identifizieren wollen. Das weiß Dr. Siegbert Panteleit schon länger – er hat zusammen mit Handelsexperten wie Herwig Niggemann, Friedrich Schmid u. a. den Moltkemarkt zu dem gemacht, was er heute ist. Ein abendlicher Versorgungsmarkt mit Convenience und Unterhaltung. Standortbasierte Händler:innen bieten ihre Waren feil und laden zum Verkosten ein. „Anfangs meinten alle ‚Das geht nicht‘. Wir konnten die Stadt aber überzeugen, dass es rechtlich möglich ist, ein Marktformat zu kreieren, wo man Waren kaufen, sitzend Alkohol trinken und sogar noch veranstaltungsähnliche Formate integrieren kann“, führt Panteleit aus.
Die Abendkund:innen sind eher Genussmenschen, die das soziale Miteinander schätzen
In diesem Jahr feiert der Moltkemarkt sein zehntes Jubiläum und wurde vielfach kopiert – allein in den kleinen und großen Ruhrgebietsstädten wie Hattingen, Herne oder Dortmund haben sich Feierabendmärkte etabliert und sind beliebt. Spannenderweise ist das Publikum meist bunt gemischt - jede:r findet hier seine Nische: „Ich bin heute zum ersten Mal da, mir gefällt es! – Es ist klein und gemütlich, nicht so gezwungen, verschiedene schöne Gerüche und was zu trinken – mehr braucht man doch nicht“, resümiert Ole. Der 36-Jährige sitzt mit seiner Clique und Baby entspannt auf einem Mäuerchen. Einkaufen steht demnach nicht ganz oben auf der Hitliste, dies ergibt jedenfalls unsere Mini-Umfrage. Funktioniert denn dann das Konzept überhaupt gewinnbringend für alle? „Wir müssen hier nachjustieren, es darf nicht ein reiner Event-Markt mit Konsum entstehen“, warnt Initiator Panteleit.
„Morgens gehen die Kunden gezielt einkaufen, abends will der Kunde eher Meute machen.”
Die Kund:innen an diesem Abend scheinen eher Genussmenschen, die Essen und Kochen erleben wollen. „Es kommen interessanterweise ganz andere Kunden als auf den klassischen Wochenmärkten“, erzählt Massimo vom italienischen Feinkoststand. „Morgens gehen die Kunden gezielt einkaufen, abends will der Kunde eher Meute machen – probieren, sich inspirieren lassen, und, schwupp, ist er dem Lebensgefühl erlegen und nimmt was mit.“

IHK hat einen eigenen Stand beim Hattinger Feierabendmarkt Krämersdorf
Auch die Hattinger:innen sind diesem Gefühl erlegen: Hier auf dem Feierabendmarkt Krämersdorf fühlt man sich ein bisschen versetzt in frühere Zeiten – eben wie in einem kleinen Dorf: Die Marktstände stehen verwinkelt in den Gassen, und man hat Lust, zu verweilen. Die Varianz der Stände ist groß – da kann man bei „Wilma und Willi“ seine Gemüsekiste zusammenstellen, oder man probiert mal was Neues und tobt sich kreativ beim Bemalen von Keramik aus. „Die POTTEERY“ bietet passend zum geselligen Beisammensein dieses Angebot, und es wird auch richtig gut angenommen. Auffällig ist auch, dass sich hier viele Kinder tummeln. Damit die Eltern in Ruhe schlendern und genießen können, bieten Nadine und ihre Kolleg:innen das „Hattinger Kinderzimmer“ an – hier werden die Kleinsten unkompliziert betreut.
Ein eingespieltes Team sind auch die Händler:innen des Feierabendmarktes Krämersdorf: „Wir unterstützen uns gegenseitig und sind immer voller Vorfreude, wenn wir in den sozialen Medien auf kommende Termine hinweisen und die Resonanz der Hattinger so groß ist“, merkt Initiator Maik Böcker an. Schließlich ist es auch ein Markt „von Hattingern für Hattinger“. Seit 2021 bespielt der Feierabendmarkt das Krämersdorf und die angrenzende Kleine Weilstraße. Hier konzentriert sich der Verkauf von 16 bis 20 Uhr auf regionale Produkte, im angrenzenden Krämersdorf laden Händler:innen zum Verweilen und zur Verkostung ein. Das Konzept hat sich bewährt und verbindet elegant beide Seiten eines Feierabendmarktes. Dass beides funktioniert, schaffen nicht alle Initiator:innen eines Feierabendmarktes, oft ist es dann eher ein After-Work-Event mit Gastronomie und hat weniger den Charakter eines Marktes.
Deshalb ist auch die IHK mit einem eigenen Stand vertreten. „Es ist uns wichtig, auf diesen Märkten präsent zu sein für unsere Mitgliedsunternehmen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann. „In entspannter Atmosphäre vor Ort kommen wir ganz anders ins Gespräch als bei Fachveranstaltungen.“ Die IHK-Regionalbetreuerin für Hattingen, Fatma Yüceoglu, ist jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat vor Ort.
„Wir müssen auf ‚Reset‘ drücken und den öffentlichen Raum wieder als Treffpunkt, wo jeder hingehen kann, etablieren.”

Zuspruch aus der Stadtverwaltung, dem Stadtrat und aus der Politik haben die Initiator:innen rund um Maik Böcker von Anfang an bekommen. Auch heute schaut wieder ganz unprätentiös Bürger­meister Dirk Glaser auf ein Feierabend-Kaltgetränk vorbei. Er und seine Stadtverwaltung haben die Rahmenbedingungen geschaffen und erkannt, dass Menschen Identifikationsorte brauchen und es neuer Ansätze bedarf, damit die Kaufkraft lokal verortet bleibt.
„Wir müssen auf ‚Reset‘ drücken und den öffentlichen Raum wieder als Treffpunkt, wo jeder hingehen kann, etablieren. Das schaffen wir nur, wenn wir bei den Märkten beginnen, die in die Städte strahlen“, appelliert Marktexperte Panteleit. „Märkte und auch die Feierabendmärkte haben etwas Seelsorgerisches und halten die Quartiere einer Stadt vital. Das muss im Interesse der öffentlichen Hand sein.“
Vitale Initiativen und Zusammenschlüsse der Händler:innen führen zu neuen Vermarktungsplattformen – genau wie hier in Hattingen mit der Initiative „Nettes Hattingen“ und den lokalen Händler:innen geschehen. Wenn man hier so sitzt im Liegestuhl, dann bleibt dem Slogan „Nett hier“ nichts mehr hinzufügen.
Mehr Infos zu den beschriebenen Märkten auf:
www.moltkemarkt.de
www.kraemersdorf.de