Die richtigen Getriebe für die Energiewende

Die ZF Industrieantriebe Witten GmbH baut eines der leistungsstärksten Getriebe für Windkraftanlagen. An der Mannesmannstraße werden aber auch Bauteile für Minenfahrzeuge, Seilbahnen, Tunnelbohrmaschinen und Bohrplattformen produziert. Ein Besuch vor Ort.
Von Sven Frohwein
Das Thermometer zeigt zwei Grad unter Null, dicke Flocken fallen vom Himmel an diesem Vormittag Anfang März. Genau das richtige Wetter, um sich nach drinnen zu verkrümeln – einzutauchen in diese Werkhallen, von denen einige hier schon vor über 100 Jahren standen. Industriegeschichte zu erleben – und einen Weltmarktführer für Großgetriebe unter die Lupe zu nehmen. Im Herzen von Witten, umgeben von Wohnbebauung, steht hier einer der traditionsreichsten Maschinenbauer der Region. Davon zeugen auch zwei Buchstaben auf dem ältesten Gebäude des weiträumigen Werksgeländes. L&S prangt da auf den roten Ziegeln gegenüber den Besucherparkplätzen. L&S steht für Lohmann & Stolterfoht, einem ursprünglichen Kupplungs-Hersteller, der bereits 1890 erste Werkshallen in Witten bezog.
Reiner Viebahn und Christoph Kainzbauer sehen ihren Betrieb ganz in der Tradition dieses Vorreiters deutscher Ingenieurskunst. Viebahn ist seit 2021 Werksleiter bei der ZF Industrieantriebe Witten GmbH. Kainzbauer verantwortet weltweit bei ZF Friedrichshafen, einem der weltgrößten Getriebehersteller, die Produktlinie Industriegetriebe. Und die werden hier in Witten in den unterschiedlichsten Größen und für die verschiedensten Zwecke gebaut.
„Wir haben das Getriebe für die weltgrößte in Serie befindliche Windkraftanlage im Angebot“, sagt Christoph Kainzbauer, als er durch die Werkhallen führt. Das Ding ist ein Trumm. 72 Tonnen schwer und für den Offshore-Einsatz gedacht – also für Windparks auf hoher See. Das Getriebe wird nicht nur in Witten gebaut und getestet, sondern wurde auch hier vor Ort entwickelt.
Die Minenbetreiber investieren massiv. Mittlerweile sind Minenstandorte wieder profitabel geworden, die es früher nicht waren.
Seit 2015 ist das Werk mit rund 650 Beschäftigten ein Teil von ZF. Der international tätige Konzern mit Sitz in Friedrichshafen übernahm den Standort von Bosch-Rexroth, davon zeugen unter anderem noch zahlreiche Getriebe, die in den Hallen zur Wartung und Aufbereitung stehen. Denn in Witten bauen sie nicht nur Getriebe für Windräder, sondern auch für den Einsatz in Minenbaggern, in Offshore-Plattformen oder aber für Tunnelbohrmaschinen. „Unsere Getriebe haben den Gotthardtunnel gebohrt“, sagt Christoph Kainzbauer nicht ohne Stolz. „Und aktuell sind sie am Brenner-Basistunnel im Einsatz.“ Und: Die Wittener seien Weltmarktführer für Seilbahngetriebe.
Und wie läuft das Geschäft? „Mining boomt“, sagt Reiner Viebahn. Aktuell sei die Auslastung in diesem Bereich sehr gut, Getriebe für Minenbagger seien sehr gefragt. „Die Minenbetreiber investieren massiv. Mittlerweile sind Minenstandorte wieder profitabel geworden, die es früher nicht waren.“ Und Kainzbauer ergänzt: „Aktuell fehlt es an Förderstandorten, um die Energiewende zu schaffen.“ Auch eine Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der damit verbundenen Rohstoffknappheit sowie den massiven Preissteigerungen. Was Kainzbauer besonders freut: „Die Minenbetreiber setzen auch wieder verstärkt auf Service. Davon profitieren wir.“
Beim Thema Windkraft aber zeigen sich Viebahn und Kainzbauer zurückhaltender. Die Politik habe in der Vergangenheit nicht immer die richtigen Prioritäten gesetzt – und vor allem Genehmigungsverfahren unnötig verkompliziert. „Da vergehen schnell fünf bis sieben Jahre von der ersten Idee bis zum Bau eines Windrades. Die Verfahren ziehen sich wie Kaugummi“, sagt Kainzbauer. Das habe auch massive Auswirkungen auf die Windradhersteller. „Viele machen zurzeit Verluste, bauen Stellen ab.“ Für die Zukunft sind Viebahn und Kainzbauer aber deutlich positiver: „Ein Wachstum sehen wir ab 2024.“ Die beiden hoffen nun auf die Pläne der Politik: eine deutliche Förderung der erneuerbaren Energien in Europa.
Auch ZF in Witten hat turbulente Zeiten hinter sich. Im Jahr 2020 trennte sich ZF von rund 100 Mitarbeiter:innen, außerdem wurden 100 befristete Arbeitsverträge im gewerblichen Bereich nicht verlängert, weil die Nachfrage nach Wind- und Industriegetrieben nachließ. Mittlerweile stimmt die Auslastung des Werkes wieder. Die zukünftige Ausrichtung des Betriebes fokussiert sich auf die Herstellung und den Service von großen Industriegetrieben bzw. den Service von Windkraftgetrieben.
Und der Standort habe eine Menge Potenzial. Was dafür nötig sei? „Wir müssen die Energiewende jetzt konsequent durchziehen“, sagt Viebahn mit Blick auf die Entscheidergremien in Düsseldorf und Berlin. „Die Unternehmen brauchen eine langfristige Rahmenplanung.“ Das kurzfristige Rumdoktern müsse ein Ende haben. „Nur das gibt den Unternehmen in Deutschland Sicherheit.“ Das sei nicht nur für weltweit tätige Konzerne von Wichtigkeit, sondern vor allem für viele mittelständische Betriebe, die oftmals nicht die Kapazitäten hätten, sich sowohl um die rasant verändernden Rahmenbedingungen zu kümmern als auch um die zahlreichen regulatorischen Hemmnisse.
Wir haben hier das entsprechende Know-how und die richtige Mannschaft, um unseren Teil zur Energiewende beizusteuern. Wir sind bereit.
Zur Zukunft gehört auch das Thema Fachkräfte: ZF bildet in Witten natürlich aus. Aktuell sind es ca. 20 Azubis, die hier zu Industrie- und Zerspanungsmechaniker:innen ausgebildet werden. „Und wir suchen noch für das neue Ausbildungsjahr“, sagt Reiner Viebahn während der Führung durch die Ausbildungswerkstatt.
Gerade hat ein Sattelschlepper gebrauchte Windgetriebe geliefert. „Die werden jetzt überholt und dann wieder fit für einen erneuten Einsatz gemacht.“ So ein Getriebe muss halten. „Wir stellen Präzisionsmaschinen im großen Maßstab her, die hohen Belastungen standhalten müssen und für eine Nutzung auf 20 bis 25 Jahre ausgelegt sind“, sagt Christoph Kainzbauer. Jede Minute, die ein Getriebe ausgebaut sei, koste den Windradbetreiber Geld. „Deshalb ist hier perfektes Timing wichtig – auch, weil Aus- und Einbau sehr zeitaufwendig sind.“
Umso wichtiger sei es, dass die Getriebe ausgiebig geprüft werden, bevor sie die Werkhallen in Witten verlassen. Der Prüfstand für die Windradgetriebe ist haushoch – und ebenfalls eine Eigenentwicklung. Standortleiter Reiner Viebahn: „Wir haben hier das entsprechende Know-how und die richtige Mannschaft, um unseren Teil zur Energiewende beizusteuern. Wir sind bereit.“