„Wir haben hinbekommen, was selbst die Platzhirsche nicht geschafft haben.“

Das Bochumer Unternehmen Ingpuls hat sich auf Form-Gedächtnis-Legierungen spezialisiert – und damit schon zahlreiche Preise eingeheimst.
Von Sven Frohwein
Dr. Christian Großmann hat leichte Verspätung. Im Schlepptau hat er seinen Hund. „Sorry, hat etwas länger gedauert. Ich bringe Beppo noch eben hoch ins Büro.“ Großmann kommt gerade von einem Notartermin. Und trotz FFP2-Maske sieht man ihm die gute Laune sofort an. „Wir haben gerade ein weiteres Joint Venture besiegelt“, sagt der 40-Jährige. Großmann ist Geschäftsführer der Bochumer Ingpuls GmbH, einer von dreien. Gemeinsam mit Dr. Burkhard Maaß und Dr. André Kortmann gründete er im Juli 2009 die Ingpuls GmbH, direkt aus der Uni heraus. Die drei Ingenieure waren damals wissenschaftliche Mitarbeiter an der Fakultät für Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum, forschten an sogenannten Form-Gedächtnis-Legierungen – und bauten darum nach und nach eine Geschäftsidee.
Form-Gedächtnis-was? Form-Gedächtnis-Legierungen sind Werkstoffe, die sich unter Temperatureinwirkung an ihre ursprüngliche Form erinnern, oder wie es die Ingpuls-Website beschreibt: „Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nach einer scheinbar plastischen Verformung in eine definierte Form zurückbewegen können.“ Daraus ergeben sich völlig neue Möglichkeiten – in Hausgeräten, in der Medizintechnik oder in der Luft- und Raumfahrt.
© IHK Mittleres Ruhrgebiet
„Wir haben als klassisches Beratungsunternehmen angefangen“, erinnert sich Christian Großmann an seine erste unternehmerische Tätigkeit. Damals seien sie von verschiedenen Firmen angesprochen worden, die auf die Form-Gedächtnis-Forschung in Bochum aufmerksam geworden sind. „Wir haben ihnen dann bei uns an der Ruhr-Uni erklärt, was wir dort mit den anderen Forschern zusammen machen und wie unsere Arbeiten dabei helfen können, die Herausforderungen der Unternehmen in den Griff zu bekommen.“ Auf diese Weise bekamen die drei „einen guten Einblick, wo in der Industrie der Schuh drückt“. Großmann muss lachen: „Das war eigentlich eine bezahlte Wettbewerbsanalyse.“
In der zweiten Phase haben sie als klassisches Ingenieurunternehmen ihren Kunden geholfen, Prototypen zu entwickeln und diese zur Serienreife zu führen. Der Schritt hin zur eigenen Produktion war dann nur logisch. Los ging’s auf dem universitären Maschinenpark. Immer dann, wenn dieser gerade nicht zu Forschungszwecken genutzt wurde, produzierten die drei Ingenieure ihre Federn und Werkstoffe zunächst „in homöopathischen Mengen“, so Großmann. „Da haben wir eine Menge ausprobieren können und viel dazugelernt.“ Und: „Wir haben damals technologisch hinbekommen, was selbst die Platzhirsche nicht geschafft haben.“
“Wir haben bewiesen, dass wir liefern können. So konnten wir das Vertrauen unserer Auftraggeber gewinnen.”
Dann ging alles ganz schnell: Als ein Automobilindustriezulieferer vor der Tür stand, um eines ihrer Produkte im großen Stil einzukaufen, zögerten die drei Gründer nicht lang: „Wir hatten eine Chance und haben sie ergriffen.“ Danach musste eine eigene Produktion her – und das so schnell wie möglich. Das war im September 2015. „Wir hatten gerade mal etwas mehr als ein Jahr, um die Produktion aufzubauen“, erinnert sich Großmann. Eine Halle musste angemietet, Anlagen gekauft und allen voran die Banken davon überzeugt werden, dass Ingpuls das Zeug dazu hat, richtig durchzustarten. Mit dem Auftrag in der Tasche war es dann auch möglich, erste Business Angels und Kreditgeber an Bord zu holen. Und im Oktober des folgenden Jahres startete Ingpuls mit den ersten Lieferungen ihrer Spezialfedern, den sogenannten Thermoaktoren. Der Anfang war gemacht. „Aber wir mussten die Menge der produzierten Teile schnell steigern, um unseren Lieferverpflichtungen auch nachkommen zu können.“ Jeder im Unternehmen habe sich damals mächtig reingehängt. Am Ende ging die Rechnung auf: „Wir haben bewiesen, dass wir liefern können. So konnten wir das Vertrauen unserer Auftraggeber gewinnen“, sagt Großmann.
Mittlerweile ist Ingpuls weltweit bekannt und ein etablierter Player für Form-Gedächtnis-Legierungen. Ihre Produkte aus Nitinol, einer speziellen Nickel-Titan-Legierung, kommen nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in der Medizintechnik zum Einsatz. Und das kam so: Der hervorragende Ruf des Unternehmens drang bis in die USA – zum Medizintechnikunternehmen Resonetics. „Über Umwege durch den Markt ist dann erstmals Material von uns zu den Materialexperten von Resonetics gelangt“, so Großmann. „Und kurze Zeit später intensivierte sich der Kontakt. „Wir sind schnell gemeinsam zu der Erkenntnis gekommen, eine Partnerschaft einzugehen, in der wir die Stärken beider Unternehmen auf ideale Weise zusammenführen“, sagt Großmann. Daraus ist ein Joint-Venture geworden: die Ingpuls Medical GmbH. Das Unternehmen produziert Material, aus dem z.B. Führungsdrähte oder Stents gefertigt werden, also Komponenten für Katheter oder Implantate, die einen wichtigen Beitrag für lebensnotwendige kardiovaskuläre oder neurovaskuläre Therapien leisten. „Hier muss das Produkt sehr stabile Eigenschaften haben, die z. B. durch Werkstoffe von besonderer Reinheit erreicht werden können. Und wir können das“, sagt Großmann nicht ganz ohne Stolz. Diese Innovationskraft wurde bereits mehrfach ausgezeichnet: Ingpuls ist Top-Innovator der Jahre 2019 und 2021 – und zog 2021 ins Finale des Deutschen Innovationspreises ein.
Und wie geht’s weiter? „Wir werden unsere Produktion erweitern und eine eigene Rohr- und Blechfertigung aufbauen.“ Dafür muss ein Neubau her. Schon wieder. Erst im Juli 2020 bezog Ingpuls den neuen Standort auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Robert Müser im Bochumer Stadtteil Werne – im Schatten des Förderturms von Schacht Arnold. Jetzt wird angebaut. „Dann können wir Draht, Rohr und Blech aus Nitinol fertigen, das ist die Champions League der Halbzeugfertigung“, sagt Großmann, während er uns durch die 2.500 Quadratmeter große Produktionshalle führt. Produktionspläne aktualisieren sich automatisch an großen Monitoren, nur wenige Mitarbeiter:innen sind am Nachmittag noch damit beschäftigt, bestehende Aufträge abzuarbeiten. Gefilmt und fotografiert werden darf hier nicht überall. „Betriebsgeheimnisse verbergen sich in vielen Details.“ Für ein geschultes Auge sei es jederzeit möglich, Rückschlüsse auf Produktionsabläufe zu ziehen. „Das möchten wir gern vermeiden“, so Großmann.
Ingpuls, mittlerweile über 60 Menschen stark, möchte weiter wachsen. Das nächste Joint Venture steht bereits in den Startlöchern. Doch dazu sagt Christian Großmann noch nichts, zu frisch ist die Unterschrift unter dem Notarvertrag. „Wir wollen damit 2023 durchstarten“, sagt der Ingpuls-CEO. Bis dahin wird Stillschweigen gewahrt. Und auch das können sie bei Ingpuls.
Mehr Infos zum Unternehmen: www.ingpuls.de